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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Vunsens Freunde und die Wahrheit.

or einigen Woche" erschien in einem Münchener Blatte ein bisher
noch nicht gedruckter Brief des verstorbenen Gemahls der Königin
Viktoria an den bekannten einstigen Hausfreund und vertrauten
Berater des Londoner Hoff Freiherrn von Stockmar, in welchem
Prinz Albert diesem den Hergang beim Rücktritte Bunsens von
seinem Posten als preußischer Gesandter an jenem Hofe berichtet. Das Schreiben
war offenbar echt und erregte als "Enthüllung" von hoher und allem Anschein
nach tief eiugeweihter Hand unter Diplomaten und Historikern ungewöhnliches
Aufsehen und in der deutschen und englischen Presse lebhafte Erörterungen. Es
war augenscheinlich von einer Person in die Öffentlichkeit gebracht worden, welche
Stockmar nahe gestanden und gegen Bunsen wohlwollend gesinnt gewesen war.
Wer freilich darin die Wahrheit gefunden, ist vor einigen Tagen gründlich und
zuverlässig, nämlich aus archivalischen Quellen, eines Besseren belehrt worden.
Das Febrnarheft der "Deutschen Revue" enthält einen Aufsatz mit der Über¬
schrift "Der Rücktritt Bunsens von dem Londoner Posten," in welchem "ach¬
gewiesen wird, daß die Vorstellung des Prinzen Albert von den Gründen, welche
zur Entlassung des Gesandten geführt haben, mit der Wirklichkeit in direkten:
Gegensatze steht. Indem wir im Folgenden den Inhalt des Briefs und den
Gedankengang der Widerlegung kurz resummiren, begleiten wir unsern Auszug
mit einigen Bemerkungen, die ebenfalls aus guter Quelle geschöpft sind.

Nach dem Briefe des Prinzen, der vom 8. Mai 1354 datirt ist, wäre
Vunsens "Sturz" eine in Berlin lauge ersehnte, dem Kaiser Nikolaus versprochene
Konzession zu dem Zwecke gewesen, von diesem Verzeihung für die Mitunter¬
zeichnung des Wiener Protokolls vom 9. April 1854 zu erlangen (in welchem
ans Preußens Vorschlag ausgesprochen wurde, worüber die Westmächte, Öster-


Grmzbotc" 1. 18L2, 47


Vunsens Freunde und die Wahrheit.

or einigen Woche» erschien in einem Münchener Blatte ein bisher
noch nicht gedruckter Brief des verstorbenen Gemahls der Königin
Viktoria an den bekannten einstigen Hausfreund und vertrauten
Berater des Londoner Hoff Freiherrn von Stockmar, in welchem
Prinz Albert diesem den Hergang beim Rücktritte Bunsens von
seinem Posten als preußischer Gesandter an jenem Hofe berichtet. Das Schreiben
war offenbar echt und erregte als „Enthüllung" von hoher und allem Anschein
nach tief eiugeweihter Hand unter Diplomaten und Historikern ungewöhnliches
Aufsehen und in der deutschen und englischen Presse lebhafte Erörterungen. Es
war augenscheinlich von einer Person in die Öffentlichkeit gebracht worden, welche
Stockmar nahe gestanden und gegen Bunsen wohlwollend gesinnt gewesen war.
Wer freilich darin die Wahrheit gefunden, ist vor einigen Tagen gründlich und
zuverlässig, nämlich aus archivalischen Quellen, eines Besseren belehrt worden.
Das Febrnarheft der „Deutschen Revue" enthält einen Aufsatz mit der Über¬
schrift „Der Rücktritt Bunsens von dem Londoner Posten," in welchem »ach¬
gewiesen wird, daß die Vorstellung des Prinzen Albert von den Gründen, welche
zur Entlassung des Gesandten geführt haben, mit der Wirklichkeit in direkten:
Gegensatze steht. Indem wir im Folgenden den Inhalt des Briefs und den
Gedankengang der Widerlegung kurz resummiren, begleiten wir unsern Auszug
mit einigen Bemerkungen, die ebenfalls aus guter Quelle geschöpft sind.

Nach dem Briefe des Prinzen, der vom 8. Mai 1354 datirt ist, wäre
Vunsens „Sturz" eine in Berlin lauge ersehnte, dem Kaiser Nikolaus versprochene
Konzession zu dem Zwecke gewesen, von diesem Verzeihung für die Mitunter¬
zeichnung des Wiener Protokolls vom 9. April 1854 zu erlangen (in welchem
ans Preußens Vorschlag ausgesprochen wurde, worüber die Westmächte, Öster-


Grmzbotc» 1. 18L2, 47
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[0377] [Abbildung] Vunsens Freunde und die Wahrheit. or einigen Woche» erschien in einem Münchener Blatte ein bisher noch nicht gedruckter Brief des verstorbenen Gemahls der Königin Viktoria an den bekannten einstigen Hausfreund und vertrauten Berater des Londoner Hoff Freiherrn von Stockmar, in welchem Prinz Albert diesem den Hergang beim Rücktritte Bunsens von seinem Posten als preußischer Gesandter an jenem Hofe berichtet. Das Schreiben war offenbar echt und erregte als „Enthüllung" von hoher und allem Anschein nach tief eiugeweihter Hand unter Diplomaten und Historikern ungewöhnliches Aufsehen und in der deutschen und englischen Presse lebhafte Erörterungen. Es war augenscheinlich von einer Person in die Öffentlichkeit gebracht worden, welche Stockmar nahe gestanden und gegen Bunsen wohlwollend gesinnt gewesen war. Wer freilich darin die Wahrheit gefunden, ist vor einigen Tagen gründlich und zuverlässig, nämlich aus archivalischen Quellen, eines Besseren belehrt worden. Das Febrnarheft der „Deutschen Revue" enthält einen Aufsatz mit der Über¬ schrift „Der Rücktritt Bunsens von dem Londoner Posten," in welchem »ach¬ gewiesen wird, daß die Vorstellung des Prinzen Albert von den Gründen, welche zur Entlassung des Gesandten geführt haben, mit der Wirklichkeit in direkten: Gegensatze steht. Indem wir im Folgenden den Inhalt des Briefs und den Gedankengang der Widerlegung kurz resummiren, begleiten wir unsern Auszug mit einigen Bemerkungen, die ebenfalls aus guter Quelle geschöpft sind. Nach dem Briefe des Prinzen, der vom 8. Mai 1354 datirt ist, wäre Vunsens „Sturz" eine in Berlin lauge ersehnte, dem Kaiser Nikolaus versprochene Konzession zu dem Zwecke gewesen, von diesem Verzeihung für die Mitunter¬ zeichnung des Wiener Protokolls vom 9. April 1854 zu erlangen (in welchem ans Preußens Vorschlag ausgesprochen wurde, worüber die Westmächte, Öster- Grmzbotc» 1. 18L2, 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/377>, abgerufen am 06.05.2024.