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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Athenais.

eit die Popularisirung der Wissenschaft -- dank aller Flachheit,
aller wüsten Spekulation und allem Schwindel, welche damit
verbunden worden -- in ziemlichen Verruf geraten ist, geschieht
es selten, daß eine vorzügliche historische Spezialstudie in an¬
ziehender und vollendeter Form vor das Publikum tritt. Eine
Fülle der Forschung, feiner Charakteristik und durchdringenden Urteils wird in
Schriften niedergelegt, welche über die engsten Fachkreise keinen Schritt hinaus
gelangen und selten ein paar Schritte darüber hinaus mittelbar wirken. Es
kommt darauf an. ob man diesen Zustand als den gesundesten und erfreulichsten
erachtet oder umgekehrt eine Gefahr vielleicht für die historische Literatur und
ganz gewiß für die historische Bildung des grüßern Publikums in demselben er¬
blickt. Wer das letztre thut, hat seit Jahren jede gute historische Monographie,
die zugleich ein fesselndes Buch ist und den Reiz künstlerischer Darstellung nicht
verschmäht, mit Freuden begrüßt, dies aber freilich nur in längern Pausen ver¬
mocht. Eine dieser seltner und seltner gewordenen Arbeiten bietet Ferdinand
Gregorovius in dem kleinen, aber vorzüglichen Buche "Athenais. Geschichte
einer byzantinischen Kaiserin,"*) der Geschichte jener athenischen Philosophen¬
tochter, "welche als die byzantinische Kaiserin Eudokia durch ihren Geist und
ihre Erlebnisse berühmt gewesen ist." Athenais-Eudokia war die Gemahlin des
Kaisers Theodosius II.. der dem Namen nach von 408--450 nach Christus über
das oströmische Reich herrschte, und ihre Biographie ruft uns eines der denk¬
würdigsten Frauenschicksale vor Augen, von denen die Geschichte zu berichten weiß.

Zwar ehe wir uns ganz der Freude über das vortreffliche Werk eines der
wenigen im guten Sinne vornehmen Schriftsteller überlassen, welche die Literatur
der Gegenwart zählt, sollten wir mit dem Verfasser der "Athenals" ernstlich
hadern. "Ich wundre mich," heißt es in seiner Vorrede, "daß von unsern
heutigen Dichter", welche gerade Zustünde und Zeiten, die vom modernen Be¬
wußtsein am weitesten abgelegen sind, mit so vielem Geschick und Erfolg in so¬
genannten kulturhistorischen Romanen dargestellt haben, keiner an Athenars sich
versucht hat, und doch hat Kingsley in seiner "Hypatia" gezeigt, wie dankbar
für einen reflektirenden Dichter eben diese Epoche des im Christentum unter¬
gehenden Hellenismus sein kann." Was um des Himmels willen fällt Gregorovins
bei? Warum malt er den Teufel an die Wand und beschwört uus zu ägyp¬
tischen und ostgotischeu, altnordischen und römischen Romanen noch einen



AthcnaiS. Geschichte einer byzantinische" Kaiserin von Ferdinand Gregor" plus.
^pzi-z, F. A. Brockhaus, 1882.
Athenais.

eit die Popularisirung der Wissenschaft — dank aller Flachheit,
aller wüsten Spekulation und allem Schwindel, welche damit
verbunden worden — in ziemlichen Verruf geraten ist, geschieht
es selten, daß eine vorzügliche historische Spezialstudie in an¬
ziehender und vollendeter Form vor das Publikum tritt. Eine
Fülle der Forschung, feiner Charakteristik und durchdringenden Urteils wird in
Schriften niedergelegt, welche über die engsten Fachkreise keinen Schritt hinaus
gelangen und selten ein paar Schritte darüber hinaus mittelbar wirken. Es
kommt darauf an. ob man diesen Zustand als den gesundesten und erfreulichsten
erachtet oder umgekehrt eine Gefahr vielleicht für die historische Literatur und
ganz gewiß für die historische Bildung des grüßern Publikums in demselben er¬
blickt. Wer das letztre thut, hat seit Jahren jede gute historische Monographie,
die zugleich ein fesselndes Buch ist und den Reiz künstlerischer Darstellung nicht
verschmäht, mit Freuden begrüßt, dies aber freilich nur in längern Pausen ver¬
mocht. Eine dieser seltner und seltner gewordenen Arbeiten bietet Ferdinand
Gregorovius in dem kleinen, aber vorzüglichen Buche „Athenais. Geschichte
einer byzantinischen Kaiserin,"*) der Geschichte jener athenischen Philosophen¬
tochter, „welche als die byzantinische Kaiserin Eudokia durch ihren Geist und
ihre Erlebnisse berühmt gewesen ist." Athenais-Eudokia war die Gemahlin des
Kaisers Theodosius II.. der dem Namen nach von 408—450 nach Christus über
das oströmische Reich herrschte, und ihre Biographie ruft uns eines der denk¬
würdigsten Frauenschicksale vor Augen, von denen die Geschichte zu berichten weiß.

Zwar ehe wir uns ganz der Freude über das vortreffliche Werk eines der
wenigen im guten Sinne vornehmen Schriftsteller überlassen, welche die Literatur
der Gegenwart zählt, sollten wir mit dem Verfasser der „Athenals" ernstlich
hadern. „Ich wundre mich," heißt es in seiner Vorrede, „daß von unsern
heutigen Dichter», welche gerade Zustünde und Zeiten, die vom modernen Be¬
wußtsein am weitesten abgelegen sind, mit so vielem Geschick und Erfolg in so¬
genannten kulturhistorischen Romanen dargestellt haben, keiner an Athenars sich
versucht hat, und doch hat Kingsley in seiner «Hypatia» gezeigt, wie dankbar
für einen reflektirenden Dichter eben diese Epoche des im Christentum unter¬
gehenden Hellenismus sein kann." Was um des Himmels willen fällt Gregorovins
bei? Warum malt er den Teufel an die Wand und beschwört uus zu ägyp¬
tischen und ostgotischeu, altnordischen und römischen Romanen noch einen



AthcnaiS. Geschichte einer byzantinische» Kaiserin von Ferdinand Gregor» plus.
^pzi-z, F. A. Brockhaus, 1882.
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[0043] Athenais. eit die Popularisirung der Wissenschaft — dank aller Flachheit, aller wüsten Spekulation und allem Schwindel, welche damit verbunden worden — in ziemlichen Verruf geraten ist, geschieht es selten, daß eine vorzügliche historische Spezialstudie in an¬ ziehender und vollendeter Form vor das Publikum tritt. Eine Fülle der Forschung, feiner Charakteristik und durchdringenden Urteils wird in Schriften niedergelegt, welche über die engsten Fachkreise keinen Schritt hinaus gelangen und selten ein paar Schritte darüber hinaus mittelbar wirken. Es kommt darauf an. ob man diesen Zustand als den gesundesten und erfreulichsten erachtet oder umgekehrt eine Gefahr vielleicht für die historische Literatur und ganz gewiß für die historische Bildung des grüßern Publikums in demselben er¬ blickt. Wer das letztre thut, hat seit Jahren jede gute historische Monographie, die zugleich ein fesselndes Buch ist und den Reiz künstlerischer Darstellung nicht verschmäht, mit Freuden begrüßt, dies aber freilich nur in längern Pausen ver¬ mocht. Eine dieser seltner und seltner gewordenen Arbeiten bietet Ferdinand Gregorovius in dem kleinen, aber vorzüglichen Buche „Athenais. Geschichte einer byzantinischen Kaiserin,"*) der Geschichte jener athenischen Philosophen¬ tochter, „welche als die byzantinische Kaiserin Eudokia durch ihren Geist und ihre Erlebnisse berühmt gewesen ist." Athenais-Eudokia war die Gemahlin des Kaisers Theodosius II.. der dem Namen nach von 408—450 nach Christus über das oströmische Reich herrschte, und ihre Biographie ruft uns eines der denk¬ würdigsten Frauenschicksale vor Augen, von denen die Geschichte zu berichten weiß. Zwar ehe wir uns ganz der Freude über das vortreffliche Werk eines der wenigen im guten Sinne vornehmen Schriftsteller überlassen, welche die Literatur der Gegenwart zählt, sollten wir mit dem Verfasser der „Athenals" ernstlich hadern. „Ich wundre mich," heißt es in seiner Vorrede, „daß von unsern heutigen Dichter», welche gerade Zustünde und Zeiten, die vom modernen Be¬ wußtsein am weitesten abgelegen sind, mit so vielem Geschick und Erfolg in so¬ genannten kulturhistorischen Romanen dargestellt haben, keiner an Athenars sich versucht hat, und doch hat Kingsley in seiner «Hypatia» gezeigt, wie dankbar für einen reflektirenden Dichter eben diese Epoche des im Christentum unter¬ gehenden Hellenismus sein kann." Was um des Himmels willen fällt Gregorovins bei? Warum malt er den Teufel an die Wand und beschwört uus zu ägyp¬ tischen und ostgotischeu, altnordischen und römischen Romanen noch einen AthcnaiS. Geschichte einer byzantinische» Kaiserin von Ferdinand Gregor» plus. ^pzi-z, F. A. Brockhaus, 1882.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/43>, abgerufen am 06.05.2024.