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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Zweites Quartal.

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Lakchen und ThyrsostrLger.

Das selige Leben, leiden Tod,
Den leiden Tod, das selige Leben:
Dem Leben hab ich mich ergeben,
Der Welt will ich ein Weltkind sein,



Sechstes Aapitel.
Das korinthische Mädchen.!
Bald hab ich nichts, bald hab ich alles - ach!
So leb ich traurig -- glücklich Tag für Tag,

Flörchen Schaible und ihre Familie erschwerten dem guten Ephraim seinen
Vorsatz, das Leben zu genießen, in keiner Weise, Sie waren von der bequemsten
Umgänglichkeit. Ohne jemals in England gewesen zu sein und die Lebensweise
der Lords auf ihren Landsitzen kennen gelernt zu haben, führten sie deren
Grundsatz, den Gästen ihre Freiheit zu lassen, in der Praxis aus.

Sie lebten, wie sie immer gelebt hatten, sie aßen, was sie sonst gegessen
hatten, und wenn Ephraim dazu kam, hatte er niemals die Empfindung, er
genire. Man gab ihm einen Teller oder eine Tasse, und damit war die Sache gut.

Ephraim war sehr oft drüben. Vom Mittag an war er ein gern gesehener
Gast. Des morgens arbeitete er, und dann war auch Flörchcu beschäftigt und
ließ sich nicht gern sprechen, Sie besorgte das Hans, reinigte die Kleider ihres
Vaters und Bruders und kochte das Mittagessen, Dann aber machte sie Toilette
und war sehr niedlich anzusehen. Zuweilen ging Ephraim schon zu Mittag
hinüber. Es gab eine geschmälzte Kartoffelsuppe, oder es gab Spätzle, eine
Schüssel, weihe dadurch entstand, daß Flörchen einen Mehlteig durch den Sitz
eines Rohrstuhls in Fett tröpfeln ließ, oder es gab Eierkuchen mit Salat,
Sonntags regelmäßig Fleisch, Obst aus Gmelins Garten alle Tage. Ephraim
schmeckten alle diese primitiven Gerichte, von Flörchens Hand bereitet, ausgezeichnet.

Um drei Uhr ward Kaffee getrunken. Niemals vorher hatte Ephraim einen
so unschuldigen Kaffee gesehen. Niemand hätte behaupten dürfen, er sei durch
diesen Trank zu einer unbedachten Handlung hingerissen worden.

Um sieben Uhr ward Abendbrod gegessen, und es war an Einfachheit
durchaus dem Diner ensprechend.

Wenn Torauto Tasso anstatt am Hofe zu Ferrara bei der Familie Schaible
in Pension gewesen wäre, dachte Ephraim, so würde er wohl nicht geistesver¬
wirrt geworden sein, und kein Antonio hätte von ihm sagen dürfen, daß Ge¬
würze, süße Sachen, starkes Getränk, hastig von ihm verschlungen, sein Blut
verdorben und seinen Sinn getrübt hätten.

Vater Schaible sowohl als Adolf verschwanden bald nach dem Abendessen
und begaben sich in ihre Kneipe. Dann begannen die schönsten Stunden für
Ephraim und Flörchen. Oft saßen sie im Abenddunkel am Fenster hinter dem


Lakchen und ThyrsostrLger.

Das selige Leben, leiden Tod,
Den leiden Tod, das selige Leben:
Dem Leben hab ich mich ergeben,
Der Welt will ich ein Weltkind sein,



Sechstes Aapitel.
Das korinthische Mädchen.!
Bald hab ich nichts, bald hab ich alles - ach!
So leb ich traurig — glücklich Tag für Tag,

Flörchen Schaible und ihre Familie erschwerten dem guten Ephraim seinen
Vorsatz, das Leben zu genießen, in keiner Weise, Sie waren von der bequemsten
Umgänglichkeit. Ohne jemals in England gewesen zu sein und die Lebensweise
der Lords auf ihren Landsitzen kennen gelernt zu haben, führten sie deren
Grundsatz, den Gästen ihre Freiheit zu lassen, in der Praxis aus.

Sie lebten, wie sie immer gelebt hatten, sie aßen, was sie sonst gegessen
hatten, und wenn Ephraim dazu kam, hatte er niemals die Empfindung, er
genire. Man gab ihm einen Teller oder eine Tasse, und damit war die Sache gut.

Ephraim war sehr oft drüben. Vom Mittag an war er ein gern gesehener
Gast. Des morgens arbeitete er, und dann war auch Flörchcu beschäftigt und
ließ sich nicht gern sprechen, Sie besorgte das Hans, reinigte die Kleider ihres
Vaters und Bruders und kochte das Mittagessen, Dann aber machte sie Toilette
und war sehr niedlich anzusehen. Zuweilen ging Ephraim schon zu Mittag
hinüber. Es gab eine geschmälzte Kartoffelsuppe, oder es gab Spätzle, eine
Schüssel, weihe dadurch entstand, daß Flörchen einen Mehlteig durch den Sitz
eines Rohrstuhls in Fett tröpfeln ließ, oder es gab Eierkuchen mit Salat,
Sonntags regelmäßig Fleisch, Obst aus Gmelins Garten alle Tage. Ephraim
schmeckten alle diese primitiven Gerichte, von Flörchens Hand bereitet, ausgezeichnet.

Um drei Uhr ward Kaffee getrunken. Niemals vorher hatte Ephraim einen
so unschuldigen Kaffee gesehen. Niemand hätte behaupten dürfen, er sei durch
diesen Trank zu einer unbedachten Handlung hingerissen worden.

Um sieben Uhr ward Abendbrod gegessen, und es war an Einfachheit
durchaus dem Diner ensprechend.

Wenn Torauto Tasso anstatt am Hofe zu Ferrara bei der Familie Schaible
in Pension gewesen wäre, dachte Ephraim, so würde er wohl nicht geistesver¬
wirrt geworden sein, und kein Antonio hätte von ihm sagen dürfen, daß Ge¬
würze, süße Sachen, starkes Getränk, hastig von ihm verschlungen, sein Blut
verdorben und seinen Sinn getrübt hätten.

Vater Schaible sowohl als Adolf verschwanden bald nach dem Abendessen
und begaben sich in ihre Kneipe. Dann begannen die schönsten Stunden für
Ephraim und Flörchen. Oft saßen sie im Abenddunkel am Fenster hinter dem


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[0254] Lakchen und ThyrsostrLger. Das selige Leben, leiden Tod, Den leiden Tod, das selige Leben: Dem Leben hab ich mich ergeben, Der Welt will ich ein Weltkind sein, Sechstes Aapitel. Das korinthische Mädchen.! Bald hab ich nichts, bald hab ich alles - ach! So leb ich traurig — glücklich Tag für Tag, Flörchen Schaible und ihre Familie erschwerten dem guten Ephraim seinen Vorsatz, das Leben zu genießen, in keiner Weise, Sie waren von der bequemsten Umgänglichkeit. Ohne jemals in England gewesen zu sein und die Lebensweise der Lords auf ihren Landsitzen kennen gelernt zu haben, führten sie deren Grundsatz, den Gästen ihre Freiheit zu lassen, in der Praxis aus. Sie lebten, wie sie immer gelebt hatten, sie aßen, was sie sonst gegessen hatten, und wenn Ephraim dazu kam, hatte er niemals die Empfindung, er genire. Man gab ihm einen Teller oder eine Tasse, und damit war die Sache gut. Ephraim war sehr oft drüben. Vom Mittag an war er ein gern gesehener Gast. Des morgens arbeitete er, und dann war auch Flörchcu beschäftigt und ließ sich nicht gern sprechen, Sie besorgte das Hans, reinigte die Kleider ihres Vaters und Bruders und kochte das Mittagessen, Dann aber machte sie Toilette und war sehr niedlich anzusehen. Zuweilen ging Ephraim schon zu Mittag hinüber. Es gab eine geschmälzte Kartoffelsuppe, oder es gab Spätzle, eine Schüssel, weihe dadurch entstand, daß Flörchen einen Mehlteig durch den Sitz eines Rohrstuhls in Fett tröpfeln ließ, oder es gab Eierkuchen mit Salat, Sonntags regelmäßig Fleisch, Obst aus Gmelins Garten alle Tage. Ephraim schmeckten alle diese primitiven Gerichte, von Flörchens Hand bereitet, ausgezeichnet. Um drei Uhr ward Kaffee getrunken. Niemals vorher hatte Ephraim einen so unschuldigen Kaffee gesehen. Niemand hätte behaupten dürfen, er sei durch diesen Trank zu einer unbedachten Handlung hingerissen worden. Um sieben Uhr ward Abendbrod gegessen, und es war an Einfachheit durchaus dem Diner ensprechend. Wenn Torauto Tasso anstatt am Hofe zu Ferrara bei der Familie Schaible in Pension gewesen wäre, dachte Ephraim, so würde er wohl nicht geistesver¬ wirrt geworden sein, und kein Antonio hätte von ihm sagen dürfen, daß Ge¬ würze, süße Sachen, starkes Getränk, hastig von ihm verschlungen, sein Blut verdorben und seinen Sinn getrübt hätten. Vater Schaible sowohl als Adolf verschwanden bald nach dem Abendessen und begaben sich in ihre Kneipe. Dann begannen die schönsten Stunden für Ephraim und Flörchen. Oft saßen sie im Abenddunkel am Fenster hinter dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89806/254>, abgerufen am 02.05.2024.