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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Zweites Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

Achtes Aapitel.
falscher Liebe böses Lüde.
Das Recht, mit "naoweislich fester Hand,
Setzt unsern selbstgemischten, gist'gen Kelch
An unsre eignen Lippen.

Dem großen Finanzmann Irrwisch glückten, seitdem er mit Lilli gebrochen,
alle seine Pläne. Es hatte sich eine wilde Energie seiner bemächtigt, die ihn
vor keinem noch so kühnen Unternehmen zurückschrecken ließ, und wenn er sich
selbst fragte, woher er diesen Mut und diese Umsicht habe, so gestand er sich,
daß ihm deshalb alles gelinge, weil es ihm vollständig gleichgiltig war, ob alles
zu Grunde ginge.

Er verfuhr mit einer rastlosen Beobachtung der Verhältnisse und mit völliger
Verachtung der Menschen, jeden Augenblick bereit, alles aufs Spiel zu setzen.
Er führte Finanzsvekulntionen aus, die ihn hätten ruiniren können, die aber
sein Vermögen und das seiner Bank in kurzer Zeit nahezu verdoppelten. Er
hatte alle Angriffe, welche sich gegen ihn richteten, zum Schweigen gebracht.
Alle wohlgesinnten Organe der Öffentlichkeit erklärten sich für ihn, glänzende
Schriften zu seiner Rechtfertigung erschienen, und seine Gegner wurden unter
dem Gewicht der öffentlichen Meinung völlig erdrückt.

So lag er nun eines Morgens, dieses günstige Resultat überdenkend und
die Bilanz seines Vermögensansweises überblickend, auf dem mechanischen Ruhe¬
stuhl, der allen seinen Bewegungen gefällig und bequem nachgab, in seinem
prachtvollen Bankbureau und starrte mit verstörtem Auge vor sich hin.

Z)r. Irrwisch konnte Lilli nicht vergessen.

Er hatte sich bezwungen und sie nicht besucht, weil er sich sagte, es sei
klüger so, und weil er sich vor ihr fürchtete. Er hatte sie selbst dann nicht
besucht, als der Prinz von Parolignac abgereist war und die Nachricht von
dessen Vermählung bekannt wurde. Er wollte der Feindin nicht den Dolch in
die Hand geben, womit sie ihn töten konnte. Er hatte viel versucht, sie zu ver¬
gessen, er hatte alle Mittel angewandt, die ihm bekannt waren. Er hatte zuerst
alle Zerstreuungen aufgesucht, die für ihn noch Reiz zu haben schienen. Er
war jeden Abend in Gesellschaft und trank Champagner im Übermaß. Er hatte
sich eine neue Geliebte genommen, ein schönes, schwarzäugiges Mädchen vom
Theater, mit einer hellen Stimme. Aber es half ihm nichts. Die Gesellschaften
erschienen ihm fade, der Wein schmeckte ihm nicht mehr, das schwarzäugige
Madchen langweilte ihn, so sehr er sich Mühe gab, sie reizend zu finden.

Er hatte sich mit Eifer in die Politik geworfen, er blendete durch die
Beredtsamkeit, welche sein Seelenfieber ihm einhauchte, er spielte an der Börse
das hohe Spiel, mit dem sich selbst die Roulettetafel und der Farotisch nicht
vergleichen können.


Bakchen und Thyrsosträger.

Achtes Aapitel.
falscher Liebe böses Lüde.
Das Recht, mit »naoweislich fester Hand,
Setzt unsern selbstgemischten, gist'gen Kelch
An unsre eignen Lippen.

Dem großen Finanzmann Irrwisch glückten, seitdem er mit Lilli gebrochen,
alle seine Pläne. Es hatte sich eine wilde Energie seiner bemächtigt, die ihn
vor keinem noch so kühnen Unternehmen zurückschrecken ließ, und wenn er sich
selbst fragte, woher er diesen Mut und diese Umsicht habe, so gestand er sich,
daß ihm deshalb alles gelinge, weil es ihm vollständig gleichgiltig war, ob alles
zu Grunde ginge.

Er verfuhr mit einer rastlosen Beobachtung der Verhältnisse und mit völliger
Verachtung der Menschen, jeden Augenblick bereit, alles aufs Spiel zu setzen.
Er führte Finanzsvekulntionen aus, die ihn hätten ruiniren können, die aber
sein Vermögen und das seiner Bank in kurzer Zeit nahezu verdoppelten. Er
hatte alle Angriffe, welche sich gegen ihn richteten, zum Schweigen gebracht.
Alle wohlgesinnten Organe der Öffentlichkeit erklärten sich für ihn, glänzende
Schriften zu seiner Rechtfertigung erschienen, und seine Gegner wurden unter
dem Gewicht der öffentlichen Meinung völlig erdrückt.

So lag er nun eines Morgens, dieses günstige Resultat überdenkend und
die Bilanz seines Vermögensansweises überblickend, auf dem mechanischen Ruhe¬
stuhl, der allen seinen Bewegungen gefällig und bequem nachgab, in seinem
prachtvollen Bankbureau und starrte mit verstörtem Auge vor sich hin.

Z)r. Irrwisch konnte Lilli nicht vergessen.

Er hatte sich bezwungen und sie nicht besucht, weil er sich sagte, es sei
klüger so, und weil er sich vor ihr fürchtete. Er hatte sie selbst dann nicht
besucht, als der Prinz von Parolignac abgereist war und die Nachricht von
dessen Vermählung bekannt wurde. Er wollte der Feindin nicht den Dolch in
die Hand geben, womit sie ihn töten konnte. Er hatte viel versucht, sie zu ver¬
gessen, er hatte alle Mittel angewandt, die ihm bekannt waren. Er hatte zuerst
alle Zerstreuungen aufgesucht, die für ihn noch Reiz zu haben schienen. Er
war jeden Abend in Gesellschaft und trank Champagner im Übermaß. Er hatte
sich eine neue Geliebte genommen, ein schönes, schwarzäugiges Mädchen vom
Theater, mit einer hellen Stimme. Aber es half ihm nichts. Die Gesellschaften
erschienen ihm fade, der Wein schmeckte ihm nicht mehr, das schwarzäugige
Madchen langweilte ihn, so sehr er sich Mühe gab, sie reizend zu finden.

Er hatte sich mit Eifer in die Politik geworfen, er blendete durch die
Beredtsamkeit, welche sein Seelenfieber ihm einhauchte, er spielte an der Börse
das hohe Spiel, mit dem sich selbst die Roulettetafel und der Farotisch nicht
vergleichen können.


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[0311] Bakchen und Thyrsosträger. Achtes Aapitel. falscher Liebe böses Lüde. Das Recht, mit »naoweislich fester Hand, Setzt unsern selbstgemischten, gist'gen Kelch An unsre eignen Lippen. Dem großen Finanzmann Irrwisch glückten, seitdem er mit Lilli gebrochen, alle seine Pläne. Es hatte sich eine wilde Energie seiner bemächtigt, die ihn vor keinem noch so kühnen Unternehmen zurückschrecken ließ, und wenn er sich selbst fragte, woher er diesen Mut und diese Umsicht habe, so gestand er sich, daß ihm deshalb alles gelinge, weil es ihm vollständig gleichgiltig war, ob alles zu Grunde ginge. Er verfuhr mit einer rastlosen Beobachtung der Verhältnisse und mit völliger Verachtung der Menschen, jeden Augenblick bereit, alles aufs Spiel zu setzen. Er führte Finanzsvekulntionen aus, die ihn hätten ruiniren können, die aber sein Vermögen und das seiner Bank in kurzer Zeit nahezu verdoppelten. Er hatte alle Angriffe, welche sich gegen ihn richteten, zum Schweigen gebracht. Alle wohlgesinnten Organe der Öffentlichkeit erklärten sich für ihn, glänzende Schriften zu seiner Rechtfertigung erschienen, und seine Gegner wurden unter dem Gewicht der öffentlichen Meinung völlig erdrückt. So lag er nun eines Morgens, dieses günstige Resultat überdenkend und die Bilanz seines Vermögensansweises überblickend, auf dem mechanischen Ruhe¬ stuhl, der allen seinen Bewegungen gefällig und bequem nachgab, in seinem prachtvollen Bankbureau und starrte mit verstörtem Auge vor sich hin. Z)r. Irrwisch konnte Lilli nicht vergessen. Er hatte sich bezwungen und sie nicht besucht, weil er sich sagte, es sei klüger so, und weil er sich vor ihr fürchtete. Er hatte sie selbst dann nicht besucht, als der Prinz von Parolignac abgereist war und die Nachricht von dessen Vermählung bekannt wurde. Er wollte der Feindin nicht den Dolch in die Hand geben, womit sie ihn töten konnte. Er hatte viel versucht, sie zu ver¬ gessen, er hatte alle Mittel angewandt, die ihm bekannt waren. Er hatte zuerst alle Zerstreuungen aufgesucht, die für ihn noch Reiz zu haben schienen. Er war jeden Abend in Gesellschaft und trank Champagner im Übermaß. Er hatte sich eine neue Geliebte genommen, ein schönes, schwarzäugiges Mädchen vom Theater, mit einer hellen Stimme. Aber es half ihm nichts. Die Gesellschaften erschienen ihm fade, der Wein schmeckte ihm nicht mehr, das schwarzäugige Madchen langweilte ihn, so sehr er sich Mühe gab, sie reizend zu finden. Er hatte sich mit Eifer in die Politik geworfen, er blendete durch die Beredtsamkeit, welche sein Seelenfieber ihm einhauchte, er spielte an der Börse das hohe Spiel, mit dem sich selbst die Roulettetafel und der Farotisch nicht vergleichen können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89806/311>, abgerufen am 02.05.2024.