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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Zweites Quartal.

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Zum Gedächtnis Hermann Hettners.

in 29. Mai, am zweiten Pfingsttage mittags, ist zu Dresden
einer der hervorragendsten und verdienstvollsten Männer der Gegen¬
wart, der Literatur- und Kunsthistoriker Hermann Hettner, einer
reichen Thätigkeit, bedeutenden Arbeitsplänen und Hoffnungen,
die er für die Zukunft noch hegte, und dem lebendigen Anteil,
den er unermüdlich an der Entwicklung der historischen Wissenschaft, der bildenden
Kunst und der poetischen Literatur nahm, in verhältnismäßig frühem Lebensalter
(er war 1821 zu Leysersdorf in Schlesien geboren) entrissen worden. Obwohl seit
einigen Jahren leidend, hatte er erst im verflossenen Winter die Vorträge, die er
als Professor der Kunstgeschichte sowohl am Dresdener Polytechnikum als an der
Akademie der bildenden Künste hielt, eingestellt und sich mit dem Gedanken ver¬
traut gemacht, in Zukunft seiner akademischen Thätigkeit zu entsagen. Dafür
hoffte er in Italien wie daheim jene Forschungen und Abhandlungen weiter¬
führen zu können, von welchen ein erster Teil als "Italienische Studien" im
Jahre 1880 erschienen und nun leider Hettners letzte vollendete Arbeit ge¬
blieben ist.

Unter den ernsten Schriftstellern der letzten Jahrzehnte hat der Verfasser
der "Literaturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts" eine seltene Popularität
erlangt. Man darf sagen, daß nicht leicht ein zweites Buch von so bedeutendem
Gehalt, so breiter Anlage, so durchgebildeter Form ein so großes Publikum ge¬
wonnen hat, wie Hettners Hauptwerk. Die eigentümliche geistige Lebendigkeit,
die Schärfe und Klarheit in der Darstellung seiner Anschauungen, die feine An¬
schmiegung des Stils an den jeweiligen Stoff, welche aus seinen mündlichen
Vorträgen in gesteigertem Maße und mit andern wertvollen Eigenschaften ver¬
bunden in seine literarischen Arbeiten übergingen, überwandten die Blasirtheit,
die Großmannssucht und die zerstreute Unterhaltungslust des heutigen Publikums.


Grenzboten II. 1882. 66


Zum Gedächtnis Hermann Hettners.

in 29. Mai, am zweiten Pfingsttage mittags, ist zu Dresden
einer der hervorragendsten und verdienstvollsten Männer der Gegen¬
wart, der Literatur- und Kunsthistoriker Hermann Hettner, einer
reichen Thätigkeit, bedeutenden Arbeitsplänen und Hoffnungen,
die er für die Zukunft noch hegte, und dem lebendigen Anteil,
den er unermüdlich an der Entwicklung der historischen Wissenschaft, der bildenden
Kunst und der poetischen Literatur nahm, in verhältnismäßig frühem Lebensalter
(er war 1821 zu Leysersdorf in Schlesien geboren) entrissen worden. Obwohl seit
einigen Jahren leidend, hatte er erst im verflossenen Winter die Vorträge, die er
als Professor der Kunstgeschichte sowohl am Dresdener Polytechnikum als an der
Akademie der bildenden Künste hielt, eingestellt und sich mit dem Gedanken ver¬
traut gemacht, in Zukunft seiner akademischen Thätigkeit zu entsagen. Dafür
hoffte er in Italien wie daheim jene Forschungen und Abhandlungen weiter¬
führen zu können, von welchen ein erster Teil als „Italienische Studien" im
Jahre 1880 erschienen und nun leider Hettners letzte vollendete Arbeit ge¬
blieben ist.

Unter den ernsten Schriftstellern der letzten Jahrzehnte hat der Verfasser
der „Literaturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts" eine seltene Popularität
erlangt. Man darf sagen, daß nicht leicht ein zweites Buch von so bedeutendem
Gehalt, so breiter Anlage, so durchgebildeter Form ein so großes Publikum ge¬
wonnen hat, wie Hettners Hauptwerk. Die eigentümliche geistige Lebendigkeit,
die Schärfe und Klarheit in der Darstellung seiner Anschauungen, die feine An¬
schmiegung des Stils an den jeweiligen Stoff, welche aus seinen mündlichen
Vorträgen in gesteigertem Maße und mit andern wertvollen Eigenschaften ver¬
bunden in seine literarischen Arbeiten übergingen, überwandten die Blasirtheit,
die Großmannssucht und die zerstreute Unterhaltungslust des heutigen Publikums.


Grenzboten II. 1882. 66
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[0521] [Abbildung] Zum Gedächtnis Hermann Hettners. in 29. Mai, am zweiten Pfingsttage mittags, ist zu Dresden einer der hervorragendsten und verdienstvollsten Männer der Gegen¬ wart, der Literatur- und Kunsthistoriker Hermann Hettner, einer reichen Thätigkeit, bedeutenden Arbeitsplänen und Hoffnungen, die er für die Zukunft noch hegte, und dem lebendigen Anteil, den er unermüdlich an der Entwicklung der historischen Wissenschaft, der bildenden Kunst und der poetischen Literatur nahm, in verhältnismäßig frühem Lebensalter (er war 1821 zu Leysersdorf in Schlesien geboren) entrissen worden. Obwohl seit einigen Jahren leidend, hatte er erst im verflossenen Winter die Vorträge, die er als Professor der Kunstgeschichte sowohl am Dresdener Polytechnikum als an der Akademie der bildenden Künste hielt, eingestellt und sich mit dem Gedanken ver¬ traut gemacht, in Zukunft seiner akademischen Thätigkeit zu entsagen. Dafür hoffte er in Italien wie daheim jene Forschungen und Abhandlungen weiter¬ führen zu können, von welchen ein erster Teil als „Italienische Studien" im Jahre 1880 erschienen und nun leider Hettners letzte vollendete Arbeit ge¬ blieben ist. Unter den ernsten Schriftstellern der letzten Jahrzehnte hat der Verfasser der „Literaturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts" eine seltene Popularität erlangt. Man darf sagen, daß nicht leicht ein zweites Buch von so bedeutendem Gehalt, so breiter Anlage, so durchgebildeter Form ein so großes Publikum ge¬ wonnen hat, wie Hettners Hauptwerk. Die eigentümliche geistige Lebendigkeit, die Schärfe und Klarheit in der Darstellung seiner Anschauungen, die feine An¬ schmiegung des Stils an den jeweiligen Stoff, welche aus seinen mündlichen Vorträgen in gesteigertem Maße und mit andern wertvollen Eigenschaften ver¬ bunden in seine literarischen Arbeiten übergingen, überwandten die Blasirtheit, die Großmannssucht und die zerstreute Unterhaltungslust des heutigen Publikums. Grenzboten II. 1882. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89806/521>, abgerufen am 02.05.2024.