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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Zweites Quartal.

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Zur auswärtigen Politik.

bis 20 Millionen Rubel ein, durch Zuschlage vermehrt stieg sie 1867 auf rund
Million, und 1879 erreichte sie die Höhe von 117'/z Millionen. Diese
rapide Steigerung zeigt deutlich, wie diese Auflage gerade die unbemittelten Klassen
in fortwährend steigendem Maße belastete, und daraus läßt sich auf den eben¬
falls immer zunehmenden Grad der Unzufriedenheit schließen, welche die Steuer
hervorrief. Man wird den Ausfall vermutlich durch indirekte Steuern decken,
was in Rußland leichter angeht als im konstitutionellen Deutschland, wo die
Fraktionspolitik alle derartige Reformen verhindert oder verhunzt, und wo es
eine liberale Partei giebt, welche (wir meinen nicht die Fortschrittler oder die
Secessionisten) bei Hofe wissen läßt: "Wir sind keineswegs so sehr gegen
das Tabaksmonopol, aber wir wollen es zur Morgengabe sür den
zukünftigen (liberal gedachten) Kaiser aufheben."


2. Die ägyptische Verlegenheit.

Die Lage der Westmächte in der äghptischen Frage hat sich in den letzten
acht Tagen nicht gebessert. Vor Alexandrien mußten sie, ohne einschreiten zu
können, einem blutigen Aufstande des arabischen Pöbels gege die europäische Ko¬
lonie zusehen, und in Konstantinopel wissen bis jetzt bloß Zeitungskorrespondente"
von der Einwilligung der Pforte in den Kvnferenzplan. Man war in London zu
rechter Zeit gewarnt und auf den richtigen Weg gewiesen worden, hatte aber für
die sich entwickelnden Thatsachen nur Zaudern und Bedenklichkeit. Vor fast fünf
Monaten telegraphirte der englische Generalkonsul in Kairo dem Lord Gran-
ville, daß ihm ein Minister des Chedive gesagt habe, der einzige Ausweg aus
der Verlegenheit sei die unverzügliche Absendung einer Kommission von feiten
der Pforte, der sobald als möglich ein türkisches Heer zu folgen habe. Makel
schrieb dazu: "Die Sache eilt und verlangt sofortige Beachtung." Grenville
aber befahl dem Konsul, nichts zu überstürzen. Das ist denn auch nicht ge¬
schehen, so wenig in Kairo wie in London. Man unterhandelte hier mit Freh-
cinet, der gegen jede Intervention war, und zuletzt sah man sich bei dieser Un-
thätigkeit, welche durch die Absendung der Geschwader mir scheinbar unterbrochen
wurde, vor Unordnung, Aufruhr und Blutvergießen.

Es liegen jetzt sechs der stärksten Panzerschiffe Englands vor Alexandrien.
Sie bilden mit den ihnen beigegebenen kleinern Fahrzeugen und dem franzö¬
sischen Geschwader die gewaltigste Armada, welche die Welt in den letzten Jahren
gesehen hat, haben aber bis jetzt auf den Gang der Ereignisse so gut wie gar
keinen Einfluß geübt und mehr geschadet als genützt. Sie wurden zur Unter¬
stützung des Chedive, zur Einschüchterung der Aufrührer und zur Veschützung
des Lebens und Eigentums der in Ägypten angesiedelten Europäer abgesandt,
und siehe da, sie haben keinen einzigen dieser Zwecke erfüllt. Unter den Kanonen
dieser Schiffe ist in Alexandrien ein Aufstand ausgebrochen, der erst dann ge-


Zur auswärtigen Politik.

bis 20 Millionen Rubel ein, durch Zuschlage vermehrt stieg sie 1867 auf rund
Million, und 1879 erreichte sie die Höhe von 117'/z Millionen. Diese
rapide Steigerung zeigt deutlich, wie diese Auflage gerade die unbemittelten Klassen
in fortwährend steigendem Maße belastete, und daraus läßt sich auf den eben¬
falls immer zunehmenden Grad der Unzufriedenheit schließen, welche die Steuer
hervorrief. Man wird den Ausfall vermutlich durch indirekte Steuern decken,
was in Rußland leichter angeht als im konstitutionellen Deutschland, wo die
Fraktionspolitik alle derartige Reformen verhindert oder verhunzt, und wo es
eine liberale Partei giebt, welche (wir meinen nicht die Fortschrittler oder die
Secessionisten) bei Hofe wissen läßt: „Wir sind keineswegs so sehr gegen
das Tabaksmonopol, aber wir wollen es zur Morgengabe sür den
zukünftigen (liberal gedachten) Kaiser aufheben."


2. Die ägyptische Verlegenheit.

Die Lage der Westmächte in der äghptischen Frage hat sich in den letzten
acht Tagen nicht gebessert. Vor Alexandrien mußten sie, ohne einschreiten zu
können, einem blutigen Aufstande des arabischen Pöbels gege die europäische Ko¬
lonie zusehen, und in Konstantinopel wissen bis jetzt bloß Zeitungskorrespondente»
von der Einwilligung der Pforte in den Kvnferenzplan. Man war in London zu
rechter Zeit gewarnt und auf den richtigen Weg gewiesen worden, hatte aber für
die sich entwickelnden Thatsachen nur Zaudern und Bedenklichkeit. Vor fast fünf
Monaten telegraphirte der englische Generalkonsul in Kairo dem Lord Gran-
ville, daß ihm ein Minister des Chedive gesagt habe, der einzige Ausweg aus
der Verlegenheit sei die unverzügliche Absendung einer Kommission von feiten
der Pforte, der sobald als möglich ein türkisches Heer zu folgen habe. Makel
schrieb dazu: „Die Sache eilt und verlangt sofortige Beachtung." Grenville
aber befahl dem Konsul, nichts zu überstürzen. Das ist denn auch nicht ge¬
schehen, so wenig in Kairo wie in London. Man unterhandelte hier mit Freh-
cinet, der gegen jede Intervention war, und zuletzt sah man sich bei dieser Un-
thätigkeit, welche durch die Absendung der Geschwader mir scheinbar unterbrochen
wurde, vor Unordnung, Aufruhr und Blutvergießen.

Es liegen jetzt sechs der stärksten Panzerschiffe Englands vor Alexandrien.
Sie bilden mit den ihnen beigegebenen kleinern Fahrzeugen und dem franzö¬
sischen Geschwader die gewaltigste Armada, welche die Welt in den letzten Jahren
gesehen hat, haben aber bis jetzt auf den Gang der Ereignisse so gut wie gar
keinen Einfluß geübt und mehr geschadet als genützt. Sie wurden zur Unter¬
stützung des Chedive, zur Einschüchterung der Aufrührer und zur Veschützung
des Lebens und Eigentums der in Ägypten angesiedelten Europäer abgesandt,
und siehe da, sie haben keinen einzigen dieser Zwecke erfüllt. Unter den Kanonen
dieser Schiffe ist in Alexandrien ein Aufstand ausgebrochen, der erst dann ge-


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[0628] Zur auswärtigen Politik. bis 20 Millionen Rubel ein, durch Zuschlage vermehrt stieg sie 1867 auf rund Million, und 1879 erreichte sie die Höhe von 117'/z Millionen. Diese rapide Steigerung zeigt deutlich, wie diese Auflage gerade die unbemittelten Klassen in fortwährend steigendem Maße belastete, und daraus läßt sich auf den eben¬ falls immer zunehmenden Grad der Unzufriedenheit schließen, welche die Steuer hervorrief. Man wird den Ausfall vermutlich durch indirekte Steuern decken, was in Rußland leichter angeht als im konstitutionellen Deutschland, wo die Fraktionspolitik alle derartige Reformen verhindert oder verhunzt, und wo es eine liberale Partei giebt, welche (wir meinen nicht die Fortschrittler oder die Secessionisten) bei Hofe wissen läßt: „Wir sind keineswegs so sehr gegen das Tabaksmonopol, aber wir wollen es zur Morgengabe sür den zukünftigen (liberal gedachten) Kaiser aufheben." 2. Die ägyptische Verlegenheit. Die Lage der Westmächte in der äghptischen Frage hat sich in den letzten acht Tagen nicht gebessert. Vor Alexandrien mußten sie, ohne einschreiten zu können, einem blutigen Aufstande des arabischen Pöbels gege die europäische Ko¬ lonie zusehen, und in Konstantinopel wissen bis jetzt bloß Zeitungskorrespondente» von der Einwilligung der Pforte in den Kvnferenzplan. Man war in London zu rechter Zeit gewarnt und auf den richtigen Weg gewiesen worden, hatte aber für die sich entwickelnden Thatsachen nur Zaudern und Bedenklichkeit. Vor fast fünf Monaten telegraphirte der englische Generalkonsul in Kairo dem Lord Gran- ville, daß ihm ein Minister des Chedive gesagt habe, der einzige Ausweg aus der Verlegenheit sei die unverzügliche Absendung einer Kommission von feiten der Pforte, der sobald als möglich ein türkisches Heer zu folgen habe. Makel schrieb dazu: „Die Sache eilt und verlangt sofortige Beachtung." Grenville aber befahl dem Konsul, nichts zu überstürzen. Das ist denn auch nicht ge¬ schehen, so wenig in Kairo wie in London. Man unterhandelte hier mit Freh- cinet, der gegen jede Intervention war, und zuletzt sah man sich bei dieser Un- thätigkeit, welche durch die Absendung der Geschwader mir scheinbar unterbrochen wurde, vor Unordnung, Aufruhr und Blutvergießen. Es liegen jetzt sechs der stärksten Panzerschiffe Englands vor Alexandrien. Sie bilden mit den ihnen beigegebenen kleinern Fahrzeugen und dem franzö¬ sischen Geschwader die gewaltigste Armada, welche die Welt in den letzten Jahren gesehen hat, haben aber bis jetzt auf den Gang der Ereignisse so gut wie gar keinen Einfluß geübt und mehr geschadet als genützt. Sie wurden zur Unter¬ stützung des Chedive, zur Einschüchterung der Aufrührer und zur Veschützung des Lebens und Eigentums der in Ägypten angesiedelten Europäer abgesandt, und siehe da, sie haben keinen einzigen dieser Zwecke erfüllt. Unter den Kanonen dieser Schiffe ist in Alexandrien ein Aufstand ausgebrochen, der erst dann ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89806/628>, abgerufen am 02.05.2024.