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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Zum musikalischen Konversationslexikon.

cum der Konversationslexikousschreiber von heute um biographische
Notizen über einen Lebenden in Verlegenheit ist, so schickt er seine
gedruckten Fragebogen aus, und in wenigen Tagen ist beiden ge¬
holfen, dein Frager und dein Gefragten. Ist der Gefragte eitel
genug, den Bogen auszufüllen und zurückzusenden, so kommt er
"ins Konversationslexikon" und wird ein "berühmter Mann"; wirft er den
Fragebogen in den Papierkorb, so bleibt sein Name eben aus dem Konversations¬
lexikon weg, und mit der Berühmtheit ist es nichts. Wenn du nicht willst, so
läßt du's bleiben, mir kann's recht sein -- denkt der Lcxikonsmacher.

Weniger bequem ist das Verfahren, wenn sichs um Verstorbene handelt,
deren Berühmtheit nicht in dem Belieben des Lexikographen ruht. Was gäbe
man da manchmal -- vorausgesetzt, daß man ein wissenschaftlich genauer Ar¬
beiter ist -- für ein einziges sicheres Datum! In ältern gedruckten Quellen
finden sich wohl die oder jene Nachrichten, aber nicht eine einzige stimmt
vollständig mit der andern überein -- welcher soll man glauben? Da gilt es,
Kirchenbücher zu befragen, Taus-, Trau- und Leichcnregister durchzusehen, Bürger¬
und Universitätsmatrikeln aufzuschlagen, Viws aus Schulprogrammen und Doktor¬
dissertationen oder gar vergilbte Magisterpanegyrici und Leichenpredigten zur
Stelle zu schaffen, und wie geringfügig ist dann oft das Ergebnis wochenlanger
mühevoller Forschungen!

Durch Zufall ist der Verfasser der nachfolgende" Mitteilungen noch auf
eine andre Quelle für biographische Nachrichten aufmerksam geworden: auf
schriftliche Bewerbungen um öffentliche Ämter, denen ja in der Regel in früherer
Zeit ausführliche Mitteilungen über den bisherigen Lebensgang des Bewerbers
beigefügt wurden. In Staats- und Stadtarchiven lagern gewiß Massen solcher
Anhalteschreiben aufgespeichert, denn wie Acte mögen sich oft zu einem Amte
gedrängt haben, das doch nur einer erhalten konnte! Von Zeit zu Zeit sind
wohl, um Platz zu gewinnen, ganze Konvolute oder "Kollekten" solcher Schreiben
in die Papiermühle gewandert, und manches interessante Schriftstück mag dabei
vernichtet worden sein in einer Zeit, wo das Makuliren in unsern Archiven noch
summarisch und von urteilsloscn Leuten besorgt wurde; wie manches Gold¬
körnchen mag aber auch hie und da noch in den erhaltenen Massen versteckt
liegen! Eine kleine Probe dieser Art ist uns vor kurzem bei Gelegenheit von
andern Studien durch die Hände gegangen.

Eines der umworbensten Ämter ist seit alter Zeit das Leipziger Thomas-
kantorat gewesen. Schon vor Johann Sebastian Bach haben tüchtige Meister auf


Zum musikalischen Konversationslexikon.

cum der Konversationslexikousschreiber von heute um biographische
Notizen über einen Lebenden in Verlegenheit ist, so schickt er seine
gedruckten Fragebogen aus, und in wenigen Tagen ist beiden ge¬
holfen, dein Frager und dein Gefragten. Ist der Gefragte eitel
genug, den Bogen auszufüllen und zurückzusenden, so kommt er
„ins Konversationslexikon" und wird ein „berühmter Mann"; wirft er den
Fragebogen in den Papierkorb, so bleibt sein Name eben aus dem Konversations¬
lexikon weg, und mit der Berühmtheit ist es nichts. Wenn du nicht willst, so
läßt du's bleiben, mir kann's recht sein — denkt der Lcxikonsmacher.

Weniger bequem ist das Verfahren, wenn sichs um Verstorbene handelt,
deren Berühmtheit nicht in dem Belieben des Lexikographen ruht. Was gäbe
man da manchmal — vorausgesetzt, daß man ein wissenschaftlich genauer Ar¬
beiter ist — für ein einziges sicheres Datum! In ältern gedruckten Quellen
finden sich wohl die oder jene Nachrichten, aber nicht eine einzige stimmt
vollständig mit der andern überein — welcher soll man glauben? Da gilt es,
Kirchenbücher zu befragen, Taus-, Trau- und Leichcnregister durchzusehen, Bürger¬
und Universitätsmatrikeln aufzuschlagen, Viws aus Schulprogrammen und Doktor¬
dissertationen oder gar vergilbte Magisterpanegyrici und Leichenpredigten zur
Stelle zu schaffen, und wie geringfügig ist dann oft das Ergebnis wochenlanger
mühevoller Forschungen!

Durch Zufall ist der Verfasser der nachfolgende» Mitteilungen noch auf
eine andre Quelle für biographische Nachrichten aufmerksam geworden: auf
schriftliche Bewerbungen um öffentliche Ämter, denen ja in der Regel in früherer
Zeit ausführliche Mitteilungen über den bisherigen Lebensgang des Bewerbers
beigefügt wurden. In Staats- und Stadtarchiven lagern gewiß Massen solcher
Anhalteschreiben aufgespeichert, denn wie Acte mögen sich oft zu einem Amte
gedrängt haben, das doch nur einer erhalten konnte! Von Zeit zu Zeit sind
wohl, um Platz zu gewinnen, ganze Konvolute oder „Kollekten" solcher Schreiben
in die Papiermühle gewandert, und manches interessante Schriftstück mag dabei
vernichtet worden sein in einer Zeit, wo das Makuliren in unsern Archiven noch
summarisch und von urteilsloscn Leuten besorgt wurde; wie manches Gold¬
körnchen mag aber auch hie und da noch in den erhaltenen Massen versteckt
liegen! Eine kleine Probe dieser Art ist uns vor kurzem bei Gelegenheit von
andern Studien durch die Hände gegangen.

Eines der umworbensten Ämter ist seit alter Zeit das Leipziger Thomas-
kantorat gewesen. Schon vor Johann Sebastian Bach haben tüchtige Meister auf


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[0579] Zum musikalischen Konversationslexikon. cum der Konversationslexikousschreiber von heute um biographische Notizen über einen Lebenden in Verlegenheit ist, so schickt er seine gedruckten Fragebogen aus, und in wenigen Tagen ist beiden ge¬ holfen, dein Frager und dein Gefragten. Ist der Gefragte eitel genug, den Bogen auszufüllen und zurückzusenden, so kommt er „ins Konversationslexikon" und wird ein „berühmter Mann"; wirft er den Fragebogen in den Papierkorb, so bleibt sein Name eben aus dem Konversations¬ lexikon weg, und mit der Berühmtheit ist es nichts. Wenn du nicht willst, so läßt du's bleiben, mir kann's recht sein — denkt der Lcxikonsmacher. Weniger bequem ist das Verfahren, wenn sichs um Verstorbene handelt, deren Berühmtheit nicht in dem Belieben des Lexikographen ruht. Was gäbe man da manchmal — vorausgesetzt, daß man ein wissenschaftlich genauer Ar¬ beiter ist — für ein einziges sicheres Datum! In ältern gedruckten Quellen finden sich wohl die oder jene Nachrichten, aber nicht eine einzige stimmt vollständig mit der andern überein — welcher soll man glauben? Da gilt es, Kirchenbücher zu befragen, Taus-, Trau- und Leichcnregister durchzusehen, Bürger¬ und Universitätsmatrikeln aufzuschlagen, Viws aus Schulprogrammen und Doktor¬ dissertationen oder gar vergilbte Magisterpanegyrici und Leichenpredigten zur Stelle zu schaffen, und wie geringfügig ist dann oft das Ergebnis wochenlanger mühevoller Forschungen! Durch Zufall ist der Verfasser der nachfolgende» Mitteilungen noch auf eine andre Quelle für biographische Nachrichten aufmerksam geworden: auf schriftliche Bewerbungen um öffentliche Ämter, denen ja in der Regel in früherer Zeit ausführliche Mitteilungen über den bisherigen Lebensgang des Bewerbers beigefügt wurden. In Staats- und Stadtarchiven lagern gewiß Massen solcher Anhalteschreiben aufgespeichert, denn wie Acte mögen sich oft zu einem Amte gedrängt haben, das doch nur einer erhalten konnte! Von Zeit zu Zeit sind wohl, um Platz zu gewinnen, ganze Konvolute oder „Kollekten" solcher Schreiben in die Papiermühle gewandert, und manches interessante Schriftstück mag dabei vernichtet worden sein in einer Zeit, wo das Makuliren in unsern Archiven noch summarisch und von urteilsloscn Leuten besorgt wurde; wie manches Gold¬ körnchen mag aber auch hie und da noch in den erhaltenen Massen versteckt liegen! Eine kleine Probe dieser Art ist uns vor kurzem bei Gelegenheit von andern Studien durch die Hände gegangen. Eines der umworbensten Ämter ist seit alter Zeit das Leipziger Thomas- kantorat gewesen. Schon vor Johann Sebastian Bach haben tüchtige Meister auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/579>, abgerufen am 06.05.2024.