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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Sie denken zu Fuß nach Scholldorf zurückzukehren? fragte er Eberhard:.
Das ist. ein weiter Weg und kein sehr angenehmer von hier aus. Begleiten
Sie uns doch, Herr Eschenburg. Sie können dann in meinem Wagen von Eich¬
hausen aus zurückfahren.

Eberhard! errötete vor Vergnügen und verbeugte sich zustimmend. Er
wagte kaum, Dorothea anzusehen, in dem Gefühl, daß jedermann aus seinen
Augen die geheime Geschichte seines Glückes ablesen könne. Dorothea saß mit
stiller, bescheidner Miene neben dem Grafen und sah in den eignen Schoß,
als ginge sie die Sache nichts an. Der Graf aber ließ seinen ruhigen Blick
von einem zum andern wandern und dachte in Erinnerung der eignen Vergangen¬
heit: O wie blind macht uns Männer das Vertrauen!

Der Wagen fuhr vor, und der Baron stieg, von Eberhardt gestützt, ein,
um neben seiner Tochter Platz zu nehmen. Dann setzte sich Eberhardt auf den
Rücksitz, und das leichte, schnelle Gefährt rollte davon. An der dunkeln
Himmelsdecke blitzten die Sterne hervor und ergossen ihr magisches Licht über
das stille Land.

Viel zu schnell für zwei pochende Herzen ging die Fahrt. Sie fühlten sich
so selig eines in des andern Nähe. Das Gespräch ging nur stockend, und wenn
Eberhardt nachher chätte sagen sollen, was er geredet, so würde er es nicht ver¬
mocht haben. Er war ganz in einen Rausch der Liebe versunken, und nur zu¬
weilen weckte es ihn wie ein elektrischer Schlag, wenn ein weiches Kleid ihn
streifend berührte, oder ein feiner Fuß unversehens mit dem seinigen zu¬
sammentraf.

Als er nach einer Fahrt, die ihm mit Blitzesschnelligkeit vergangen zu sein
schien, allein von Eichhausen abwärts fuhr und sich sehnsüchtig in die Ecke
schmiegte, wo die Königin seines Herzens gesessen hatte, da nahm er die freu¬
dige Zuversicht der wahren Liebe ohne irgend ein trübes Vorgefühl mit sich.




Fünfzehntes Rapitel.

Pfarrer Sengstack in Scholldorf war damit beschäftigt, die Predigt für den
nächsten Sonntag auszuarbeiten. Er saß an seinem Schreibtische in der düstern,
kahlen Pfarrwohnung, die keine Spur der verschönernden Hand eines edleren
weiblichen Wesens zeigte, umgeben von Büchern, die teils auf dem Tische vor
ihm, teils neben dem Stuhle auf dem Boden aufgeschichtet lagen. Ein trübes
Lächeln erschien auf seinem Gesicht, indem er die Feder aus der Hand legte und
seufzend in den von der Morgensonne erhellten Garten blickte.

Welcher Strom von erhebenden Gedanken kommt über mich bei dieser herr¬
lichen Epistel des Paulus, und ich muß sie alle unterdrücken! sagte er sich. Ihr
sollt eure Perlen nicht vor die Säue schütten und das Heiligtum nicht den
Hunden geben. O welches Entzücken müßte es sein, vor einer Gemeinde zu


Grenzboten I. 1883. 82
Die Grafen von Altenschwerdt.

Sie denken zu Fuß nach Scholldorf zurückzukehren? fragte er Eberhard:.
Das ist. ein weiter Weg und kein sehr angenehmer von hier aus. Begleiten
Sie uns doch, Herr Eschenburg. Sie können dann in meinem Wagen von Eich¬
hausen aus zurückfahren.

Eberhard! errötete vor Vergnügen und verbeugte sich zustimmend. Er
wagte kaum, Dorothea anzusehen, in dem Gefühl, daß jedermann aus seinen
Augen die geheime Geschichte seines Glückes ablesen könne. Dorothea saß mit
stiller, bescheidner Miene neben dem Grafen und sah in den eignen Schoß,
als ginge sie die Sache nichts an. Der Graf aber ließ seinen ruhigen Blick
von einem zum andern wandern und dachte in Erinnerung der eignen Vergangen¬
heit: O wie blind macht uns Männer das Vertrauen!

Der Wagen fuhr vor, und der Baron stieg, von Eberhardt gestützt, ein,
um neben seiner Tochter Platz zu nehmen. Dann setzte sich Eberhardt auf den
Rücksitz, und das leichte, schnelle Gefährt rollte davon. An der dunkeln
Himmelsdecke blitzten die Sterne hervor und ergossen ihr magisches Licht über
das stille Land.

Viel zu schnell für zwei pochende Herzen ging die Fahrt. Sie fühlten sich
so selig eines in des andern Nähe. Das Gespräch ging nur stockend, und wenn
Eberhardt nachher chätte sagen sollen, was er geredet, so würde er es nicht ver¬
mocht haben. Er war ganz in einen Rausch der Liebe versunken, und nur zu¬
weilen weckte es ihn wie ein elektrischer Schlag, wenn ein weiches Kleid ihn
streifend berührte, oder ein feiner Fuß unversehens mit dem seinigen zu¬
sammentraf.

Als er nach einer Fahrt, die ihm mit Blitzesschnelligkeit vergangen zu sein
schien, allein von Eichhausen abwärts fuhr und sich sehnsüchtig in die Ecke
schmiegte, wo die Königin seines Herzens gesessen hatte, da nahm er die freu¬
dige Zuversicht der wahren Liebe ohne irgend ein trübes Vorgefühl mit sich.




Fünfzehntes Rapitel.

Pfarrer Sengstack in Scholldorf war damit beschäftigt, die Predigt für den
nächsten Sonntag auszuarbeiten. Er saß an seinem Schreibtische in der düstern,
kahlen Pfarrwohnung, die keine Spur der verschönernden Hand eines edleren
weiblichen Wesens zeigte, umgeben von Büchern, die teils auf dem Tische vor
ihm, teils neben dem Stuhle auf dem Boden aufgeschichtet lagen. Ein trübes
Lächeln erschien auf seinem Gesicht, indem er die Feder aus der Hand legte und
seufzend in den von der Morgensonne erhellten Garten blickte.

Welcher Strom von erhebenden Gedanken kommt über mich bei dieser herr¬
lichen Epistel des Paulus, und ich muß sie alle unterdrücken! sagte er sich. Ihr
sollt eure Perlen nicht vor die Säue schütten und das Heiligtum nicht den
Hunden geben. O welches Entzücken müßte es sein, vor einer Gemeinde zu


Grenzboten I. 1883. 82
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[0657] Die Grafen von Altenschwerdt. Sie denken zu Fuß nach Scholldorf zurückzukehren? fragte er Eberhard:. Das ist. ein weiter Weg und kein sehr angenehmer von hier aus. Begleiten Sie uns doch, Herr Eschenburg. Sie können dann in meinem Wagen von Eich¬ hausen aus zurückfahren. Eberhard! errötete vor Vergnügen und verbeugte sich zustimmend. Er wagte kaum, Dorothea anzusehen, in dem Gefühl, daß jedermann aus seinen Augen die geheime Geschichte seines Glückes ablesen könne. Dorothea saß mit stiller, bescheidner Miene neben dem Grafen und sah in den eignen Schoß, als ginge sie die Sache nichts an. Der Graf aber ließ seinen ruhigen Blick von einem zum andern wandern und dachte in Erinnerung der eignen Vergangen¬ heit: O wie blind macht uns Männer das Vertrauen! Der Wagen fuhr vor, und der Baron stieg, von Eberhardt gestützt, ein, um neben seiner Tochter Platz zu nehmen. Dann setzte sich Eberhardt auf den Rücksitz, und das leichte, schnelle Gefährt rollte davon. An der dunkeln Himmelsdecke blitzten die Sterne hervor und ergossen ihr magisches Licht über das stille Land. Viel zu schnell für zwei pochende Herzen ging die Fahrt. Sie fühlten sich so selig eines in des andern Nähe. Das Gespräch ging nur stockend, und wenn Eberhardt nachher chätte sagen sollen, was er geredet, so würde er es nicht ver¬ mocht haben. Er war ganz in einen Rausch der Liebe versunken, und nur zu¬ weilen weckte es ihn wie ein elektrischer Schlag, wenn ein weiches Kleid ihn streifend berührte, oder ein feiner Fuß unversehens mit dem seinigen zu¬ sammentraf. Als er nach einer Fahrt, die ihm mit Blitzesschnelligkeit vergangen zu sein schien, allein von Eichhausen abwärts fuhr und sich sehnsüchtig in die Ecke schmiegte, wo die Königin seines Herzens gesessen hatte, da nahm er die freu¬ dige Zuversicht der wahren Liebe ohne irgend ein trübes Vorgefühl mit sich. Fünfzehntes Rapitel. Pfarrer Sengstack in Scholldorf war damit beschäftigt, die Predigt für den nächsten Sonntag auszuarbeiten. Er saß an seinem Schreibtische in der düstern, kahlen Pfarrwohnung, die keine Spur der verschönernden Hand eines edleren weiblichen Wesens zeigte, umgeben von Büchern, die teils auf dem Tische vor ihm, teils neben dem Stuhle auf dem Boden aufgeschichtet lagen. Ein trübes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, indem er die Feder aus der Hand legte und seufzend in den von der Morgensonne erhellten Garten blickte. Welcher Strom von erhebenden Gedanken kommt über mich bei dieser herr¬ lichen Epistel des Paulus, und ich muß sie alle unterdrücken! sagte er sich. Ihr sollt eure Perlen nicht vor die Säue schütten und das Heiligtum nicht den Hunden geben. O welches Entzücken müßte es sein, vor einer Gemeinde zu Grenzboten I. 1883. 82

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/657>, abgerufen am 06.05.2024.