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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Staatsgefährliche Lehren,

Anlage zumuten kann, genau dasselbe Schreibeheft mit zur Schule zu bringen,
und sich so selbst des einfachsten Mittels begeben, die Verschiedenheit der
Kinder und die Verschiedenheit des häuslichen Einflusses kennen zu lernen.
Wenn ich Schulmeister wäre, so würde ich anordnen, daß kein in der Papier¬
handlung fertig gekauftes Schreibeheft in der Schule gebraucht werden dürfe.
Ich würde die Kinder unbedingt dazu anleiten, sich ihre Hefte selber anzu¬
fertigen und für den Gebrauch vorzubereiten. Es würde dabei vielleicht der
kleine Übelstand entstehen, daß das Heft des einen Jungen um einen Viertelzoll
größer als das des andern ausfallen würde -- für manchen Schulmeister,
der zu Ostern zu den öffentlichen Prüfungen die Hefte seiner Jungen womög¬
lich vom Buchbinder einbinden und mit goldbedruckten Schilden versehen läßt,
freilich eine schwere Herzkränkung --, aber ich würde gleich am ersten Hefte sehen,
in welchem Hause Ordnung und Schönheitssinn herrscht und in welchem nicht,
welcher Junge sich geschickt anstellt und welcher nicht, wer zur Sorgfalt und
Sauberkeit erzogen ist und wer nicht.

Du lachst, lieber Leser, über den Ernst, mit dem ich solche Kleinigkeiten
behandle? Du hast gut lachen. Wer, wie ich, sechs Kinder gleichzeitig zur
Schule schickt, für den ist dieses Thema durchaus keine Kleinigkeit. Ich werde
natürlich nach Ostern geduldig wieder meinen Beutel ziehen und Groschen über
Groschen zu Herrn Mitscherlich schicken. Aber lieb wäre mir's doch, wenn mich
ein kundiger Mann einmal darüber aufklärte, daß ich in dieser Frage im Irr¬
tum sei.

^ rg.


?g,tsrtarmli"s.


Htaatsgefährliche Lehren.

!alls noch Jemand von den unglücklichen Beamte" am Leben
sein sollte, welchen in den dreißiger und vierziger Jahren die
Zensur über Druckschriften aufgebürdet war, so wird er wohl
mit stiller Befriedigung von den Verhandlungen des preußischen
. I Landtages im Februar dieses Jahres Kenntnis genommen haben.
Kein Zorn- und Schmähwort wurde seinerzeit stark genug befunden für die
Männer, welche ihres leidigen Amtes getreu "ach ihren Vorschriften walteten,
häufig auch im Zweifel oder aus Liebedienerei oder in der Parteiwut über
ihre Vorschriften hinausgriffen. Gedankenmörder, Jdeenhcnker, ohnmächtige
Werkzeuge der Tyrannei, elende Schergen, die das einzige Hemmnis bildeten
der politischen und -- literarischen Größe Deutschlands! Darin war alle Weltt>K<W"


Staatsgefährliche Lehren,

Anlage zumuten kann, genau dasselbe Schreibeheft mit zur Schule zu bringen,
und sich so selbst des einfachsten Mittels begeben, die Verschiedenheit der
Kinder und die Verschiedenheit des häuslichen Einflusses kennen zu lernen.
Wenn ich Schulmeister wäre, so würde ich anordnen, daß kein in der Papier¬
handlung fertig gekauftes Schreibeheft in der Schule gebraucht werden dürfe.
Ich würde die Kinder unbedingt dazu anleiten, sich ihre Hefte selber anzu¬
fertigen und für den Gebrauch vorzubereiten. Es würde dabei vielleicht der
kleine Übelstand entstehen, daß das Heft des einen Jungen um einen Viertelzoll
größer als das des andern ausfallen würde — für manchen Schulmeister,
der zu Ostern zu den öffentlichen Prüfungen die Hefte seiner Jungen womög¬
lich vom Buchbinder einbinden und mit goldbedruckten Schilden versehen läßt,
freilich eine schwere Herzkränkung —, aber ich würde gleich am ersten Hefte sehen,
in welchem Hause Ordnung und Schönheitssinn herrscht und in welchem nicht,
welcher Junge sich geschickt anstellt und welcher nicht, wer zur Sorgfalt und
Sauberkeit erzogen ist und wer nicht.

Du lachst, lieber Leser, über den Ernst, mit dem ich solche Kleinigkeiten
behandle? Du hast gut lachen. Wer, wie ich, sechs Kinder gleichzeitig zur
Schule schickt, für den ist dieses Thema durchaus keine Kleinigkeit. Ich werde
natürlich nach Ostern geduldig wieder meinen Beutel ziehen und Groschen über
Groschen zu Herrn Mitscherlich schicken. Aber lieb wäre mir's doch, wenn mich
ein kundiger Mann einmal darüber aufklärte, daß ich in dieser Frage im Irr¬
tum sei.

^ rg.


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Htaatsgefährliche Lehren.

!alls noch Jemand von den unglücklichen Beamte» am Leben
sein sollte, welchen in den dreißiger und vierziger Jahren die
Zensur über Druckschriften aufgebürdet war, so wird er wohl
mit stiller Befriedigung von den Verhandlungen des preußischen
. I Landtages im Februar dieses Jahres Kenntnis genommen haben.
Kein Zorn- und Schmähwort wurde seinerzeit stark genug befunden für die
Männer, welche ihres leidigen Amtes getreu »ach ihren Vorschriften walteten,
häufig auch im Zweifel oder aus Liebedienerei oder in der Parteiwut über
ihre Vorschriften hinausgriffen. Gedankenmörder, Jdeenhcnker, ohnmächtige
Werkzeuge der Tyrannei, elende Schergen, die das einzige Hemmnis bildeten
der politischen und — literarischen Größe Deutschlands! Darin war alle Weltt>K<W»


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[0701] Staatsgefährliche Lehren, Anlage zumuten kann, genau dasselbe Schreibeheft mit zur Schule zu bringen, und sich so selbst des einfachsten Mittels begeben, die Verschiedenheit der Kinder und die Verschiedenheit des häuslichen Einflusses kennen zu lernen. Wenn ich Schulmeister wäre, so würde ich anordnen, daß kein in der Papier¬ handlung fertig gekauftes Schreibeheft in der Schule gebraucht werden dürfe. Ich würde die Kinder unbedingt dazu anleiten, sich ihre Hefte selber anzu¬ fertigen und für den Gebrauch vorzubereiten. Es würde dabei vielleicht der kleine Übelstand entstehen, daß das Heft des einen Jungen um einen Viertelzoll größer als das des andern ausfallen würde — für manchen Schulmeister, der zu Ostern zu den öffentlichen Prüfungen die Hefte seiner Jungen womög¬ lich vom Buchbinder einbinden und mit goldbedruckten Schilden versehen läßt, freilich eine schwere Herzkränkung —, aber ich würde gleich am ersten Hefte sehen, in welchem Hause Ordnung und Schönheitssinn herrscht und in welchem nicht, welcher Junge sich geschickt anstellt und welcher nicht, wer zur Sorgfalt und Sauberkeit erzogen ist und wer nicht. Du lachst, lieber Leser, über den Ernst, mit dem ich solche Kleinigkeiten behandle? Du hast gut lachen. Wer, wie ich, sechs Kinder gleichzeitig zur Schule schickt, für den ist dieses Thema durchaus keine Kleinigkeit. Ich werde natürlich nach Ostern geduldig wieder meinen Beutel ziehen und Groschen über Groschen zu Herrn Mitscherlich schicken. Aber lieb wäre mir's doch, wenn mich ein kundiger Mann einmal darüber aufklärte, daß ich in dieser Frage im Irr¬ tum sei. ^ rg. ?g,tsrtarmli»s. Htaatsgefährliche Lehren. !alls noch Jemand von den unglücklichen Beamte» am Leben sein sollte, welchen in den dreißiger und vierziger Jahren die Zensur über Druckschriften aufgebürdet war, so wird er wohl mit stiller Befriedigung von den Verhandlungen des preußischen . I Landtages im Februar dieses Jahres Kenntnis genommen haben. Kein Zorn- und Schmähwort wurde seinerzeit stark genug befunden für die Männer, welche ihres leidigen Amtes getreu »ach ihren Vorschriften walteten, häufig auch im Zweifel oder aus Liebedienerei oder in der Parteiwut über ihre Vorschriften hinausgriffen. Gedankenmörder, Jdeenhcnker, ohnmächtige Werkzeuge der Tyrannei, elende Schergen, die das einzige Hemmnis bildeten der politischen und — literarischen Größe Deutschlands! Darin war alle Weltt>K<W»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/701>, abgerufen am 06.05.2024.