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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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"An Apostel der Geniezeit.

sein. "Wie kommt es z. B., sagt er, daß man uns einerseits erlaubt, Kohlen
für unsre Dampfer zu landen und aufzuspeichern, und andrerseits uns verbietet,
die Kohlenlager Madagaskars auszubeuten oder die dortige Kohle zu exportiren?
Dasselbe Verbot trifft uns in Bezug auf Bauholz, welches der Hauptstapel¬
artikel der Insel ist, und dessen Ausfuhr uns durch den Vertrag ausdrücklich
untersagt ist. Zahlreichen englischen Ansiedlern in Madagaskar ist es gestattet,
nach Steinkohlen und andern mineralischen Schätzen des Landes zu graben und
Kohlen und Bauholz auszuführen unter dem Vorgeben, daß diese Artikel für
die benachbarte Insel Mauritius bestimmt seien, die mit Madagaskar Küsten¬
handel treibe, welcher von den Verträgen nicht berührt werde. Diese und
andere Mängel des Vertrages werden sich später unzweifelhaft leicht beseitigen
lassen."

Wir ersehen hieraus, daß Amerika nicht unwichtige Interessen in Mada¬
gaskar hat, und daß die Regierung der Vereinigten Staaten die vom Verfasser
bestrittene Herrschaft der Hovas über ganz Madagaskar ebenso wie England
anerkennt. Handeln wird sie deshalb gegen die Franzosen nicht, sicherlich wenigstens
nicht offiziell, ob aber nicht im Stillen? Durch Begünstigung von Waffen¬
sendungen u. dergl.? Die Amerikaner sind ja doch mit den Engländern verwandt
und ebensogut Kaufleute wie diese.




Gin Apostel der Geniezeit.

uf das Zeitalter Voltaires und der Encyklopädisten folgt in der
Geistesgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts dasjenige Rousseaus.
Seit dem Erscheinen des t^inils und der Uouvöllö Ksloiss wird
sein Evangelium des Zurückgehens auf die Natur, seine Verherr¬
lichung des von der Kultur noch unberührten Urzustandes, seine
Bewunderung der ursprünglichen Menschenkraft die Losung, zu welcher sich die
ersten Geister der Zeit bekennen. Mächtiger aber noch als in Frankreich zünden
in Deutschland die Lehren des Genfer Philosophen. Hier führen sie eine neue
Periode herauf, die der ungebundenen Genies, die Zeit des Sturmes und
Dranges. Goethe, Herder, Hamann. Claudius, Klinger, Lenz, Lavater, der
Maler Müller, Heinrich Leopold Wagner, sie alle huldigten anfänglich diesem
Rousseauschen Naturkultus, der ihre ganze Persönlichkeit fast übermächtig ergriff
und all ihr Thun und Treiben bestimmte.

Freilich erlagen die einen unter ihnen, wie Lenz, dem Rausch lind Taumel,
in den sie geraten waren, oder verloren sich, wie Lavater, in maßloser Schwär¬
merei; andre aber, wie Goethe und Schiller, lauterem sich daraus zu dem
Höchsten, was deutsche Kultur bis jetzt geleistet hat. Und in diesem Lichte ge-


«An Apostel der Geniezeit.

sein. „Wie kommt es z. B., sagt er, daß man uns einerseits erlaubt, Kohlen
für unsre Dampfer zu landen und aufzuspeichern, und andrerseits uns verbietet,
die Kohlenlager Madagaskars auszubeuten oder die dortige Kohle zu exportiren?
Dasselbe Verbot trifft uns in Bezug auf Bauholz, welches der Hauptstapel¬
artikel der Insel ist, und dessen Ausfuhr uns durch den Vertrag ausdrücklich
untersagt ist. Zahlreichen englischen Ansiedlern in Madagaskar ist es gestattet,
nach Steinkohlen und andern mineralischen Schätzen des Landes zu graben und
Kohlen und Bauholz auszuführen unter dem Vorgeben, daß diese Artikel für
die benachbarte Insel Mauritius bestimmt seien, die mit Madagaskar Küsten¬
handel treibe, welcher von den Verträgen nicht berührt werde. Diese und
andere Mängel des Vertrages werden sich später unzweifelhaft leicht beseitigen
lassen."

Wir ersehen hieraus, daß Amerika nicht unwichtige Interessen in Mada¬
gaskar hat, und daß die Regierung der Vereinigten Staaten die vom Verfasser
bestrittene Herrschaft der Hovas über ganz Madagaskar ebenso wie England
anerkennt. Handeln wird sie deshalb gegen die Franzosen nicht, sicherlich wenigstens
nicht offiziell, ob aber nicht im Stillen? Durch Begünstigung von Waffen¬
sendungen u. dergl.? Die Amerikaner sind ja doch mit den Engländern verwandt
und ebensogut Kaufleute wie diese.




Gin Apostel der Geniezeit.

uf das Zeitalter Voltaires und der Encyklopädisten folgt in der
Geistesgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts dasjenige Rousseaus.
Seit dem Erscheinen des t^inils und der Uouvöllö Ksloiss wird
sein Evangelium des Zurückgehens auf die Natur, seine Verherr¬
lichung des von der Kultur noch unberührten Urzustandes, seine
Bewunderung der ursprünglichen Menschenkraft die Losung, zu welcher sich die
ersten Geister der Zeit bekennen. Mächtiger aber noch als in Frankreich zünden
in Deutschland die Lehren des Genfer Philosophen. Hier führen sie eine neue
Periode herauf, die der ungebundenen Genies, die Zeit des Sturmes und
Dranges. Goethe, Herder, Hamann. Claudius, Klinger, Lenz, Lavater, der
Maler Müller, Heinrich Leopold Wagner, sie alle huldigten anfänglich diesem
Rousseauschen Naturkultus, der ihre ganze Persönlichkeit fast übermächtig ergriff
und all ihr Thun und Treiben bestimmte.

Freilich erlagen die einen unter ihnen, wie Lenz, dem Rausch lind Taumel,
in den sie geraten waren, oder verloren sich, wie Lavater, in maßloser Schwär¬
merei; andre aber, wie Goethe und Schiller, lauterem sich daraus zu dem
Höchsten, was deutsche Kultur bis jetzt geleistet hat. Und in diesem Lichte ge-


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[0234] «An Apostel der Geniezeit. sein. „Wie kommt es z. B., sagt er, daß man uns einerseits erlaubt, Kohlen für unsre Dampfer zu landen und aufzuspeichern, und andrerseits uns verbietet, die Kohlenlager Madagaskars auszubeuten oder die dortige Kohle zu exportiren? Dasselbe Verbot trifft uns in Bezug auf Bauholz, welches der Hauptstapel¬ artikel der Insel ist, und dessen Ausfuhr uns durch den Vertrag ausdrücklich untersagt ist. Zahlreichen englischen Ansiedlern in Madagaskar ist es gestattet, nach Steinkohlen und andern mineralischen Schätzen des Landes zu graben und Kohlen und Bauholz auszuführen unter dem Vorgeben, daß diese Artikel für die benachbarte Insel Mauritius bestimmt seien, die mit Madagaskar Küsten¬ handel treibe, welcher von den Verträgen nicht berührt werde. Diese und andere Mängel des Vertrages werden sich später unzweifelhaft leicht beseitigen lassen." Wir ersehen hieraus, daß Amerika nicht unwichtige Interessen in Mada¬ gaskar hat, und daß die Regierung der Vereinigten Staaten die vom Verfasser bestrittene Herrschaft der Hovas über ganz Madagaskar ebenso wie England anerkennt. Handeln wird sie deshalb gegen die Franzosen nicht, sicherlich wenigstens nicht offiziell, ob aber nicht im Stillen? Durch Begünstigung von Waffen¬ sendungen u. dergl.? Die Amerikaner sind ja doch mit den Engländern verwandt und ebensogut Kaufleute wie diese. Gin Apostel der Geniezeit. uf das Zeitalter Voltaires und der Encyklopädisten folgt in der Geistesgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts dasjenige Rousseaus. Seit dem Erscheinen des t^inils und der Uouvöllö Ksloiss wird sein Evangelium des Zurückgehens auf die Natur, seine Verherr¬ lichung des von der Kultur noch unberührten Urzustandes, seine Bewunderung der ursprünglichen Menschenkraft die Losung, zu welcher sich die ersten Geister der Zeit bekennen. Mächtiger aber noch als in Frankreich zünden in Deutschland die Lehren des Genfer Philosophen. Hier führen sie eine neue Periode herauf, die der ungebundenen Genies, die Zeit des Sturmes und Dranges. Goethe, Herder, Hamann. Claudius, Klinger, Lenz, Lavater, der Maler Müller, Heinrich Leopold Wagner, sie alle huldigten anfänglich diesem Rousseauschen Naturkultus, der ihre ganze Persönlichkeit fast übermächtig ergriff und all ihr Thun und Treiben bestimmte. Freilich erlagen die einen unter ihnen, wie Lenz, dem Rausch lind Taumel, in den sie geraten waren, oder verloren sich, wie Lavater, in maßloser Schwär¬ merei; andre aber, wie Goethe und Schiller, lauterem sich daraus zu dem Höchsten, was deutsche Kultur bis jetzt geleistet hat. Und in diesem Lichte ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/234>, abgerufen am 05.05.2024.