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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.
August Niemann Roman von(Gotha),
(Fortsetzung.)

arcens, daß Baron Sextus heute so schlechter Laune war, zog
Gräfin Sibylle ferner Schlüsse und überzeugte sich, scharfsinniger
als er und weit besser mit ihm bekannt, als er es mit sich selbst
war, daß ihn heimlich das Bewußtsein drücke, ein Thor zu sein,
ohne doch von seiner Thorheit abstehen zu können. Sie war daher
doppelt bemüht, liebenswürdig und ganz unbefangen zu erscheinen,
und indem sie einen Vorhang enger zog, welcher das Licht auf sein Gesicht
durchfallen ließ, indem sie seinen Stuhl rückte und ihm die Schlummerrolle mit
leichter Hand unter den Kopf schob, zeigte sie ihm ein Gesicht, das an unschul-
digem, sanftem und vertrauensvollen Ausdruck dein unschuldigen Lächeln eines
Kindes so nahe kam, wie Gräfin Sibyllens strenge, stolze Züge hierzu über¬
haupt nur imstande waren.

Sie war daher einigermaßen überrascht, als der Baron in nicht sehr ver¬
bindlichem Tone nach jener alten Geschichte fragte, von der sie halb und halb
gehofft hatte, daß sie vergessen sei.

Ich erinnere mich wirklich nicht mehr so ganz genau, erwiederte sie. Wenn
dieser Umstand aber so wichtig für Sie ist, lieber Baron, so will ich noch heute
an eine Freundin schreiben, welche damals zugegen war und vielleicht ein besseres
Gedächtnis für die otircmiqus MMÄltlkmse hat als ich.

Nein, sagte Baron Sextus, wir wollen das einfacher machen. Ich bin
kein Freund von Hin- und Herreden hinter jemandes Rücken. Wer ein Schuft
ist, kann mir nicht ins Auge sehen. Ich werde Herrn Eschenburg zu mir bitten
und ihn Mann gegen Mann zur Rede stellen.

Gräfin Sibylle ward von diesen Worten und von dem Gedanken, Eber¬
hard! erscheinen zu sehen, so betroffen, daß sie sich tiefer über ihre Arbeit beugen
mußte, um die Veränderung in ihrem Gesicht zu verbergen. Sie erschrak heftig
bei der Idee, daß Eberhardt nnter solchen Umständen keinen Augenblick erman¬
geln werde, alles zu offenbaren, was sie mit einem Schleier zu bedecken wünschte,
und daß er, erzürnt über ihre Anklage, jede Schonung ihrer selbst vergessen werde.
Sie beschloß, um jeden Preis diese Zusammenkunft zu vereiteln.




Die Grafen von Altenschwerdt.
August Niemann Roman von(Gotha),
(Fortsetzung.)

arcens, daß Baron Sextus heute so schlechter Laune war, zog
Gräfin Sibylle ferner Schlüsse und überzeugte sich, scharfsinniger
als er und weit besser mit ihm bekannt, als er es mit sich selbst
war, daß ihn heimlich das Bewußtsein drücke, ein Thor zu sein,
ohne doch von seiner Thorheit abstehen zu können. Sie war daher
doppelt bemüht, liebenswürdig und ganz unbefangen zu erscheinen,
und indem sie einen Vorhang enger zog, welcher das Licht auf sein Gesicht
durchfallen ließ, indem sie seinen Stuhl rückte und ihm die Schlummerrolle mit
leichter Hand unter den Kopf schob, zeigte sie ihm ein Gesicht, das an unschul-
digem, sanftem und vertrauensvollen Ausdruck dein unschuldigen Lächeln eines
Kindes so nahe kam, wie Gräfin Sibyllens strenge, stolze Züge hierzu über¬
haupt nur imstande waren.

Sie war daher einigermaßen überrascht, als der Baron in nicht sehr ver¬
bindlichem Tone nach jener alten Geschichte fragte, von der sie halb und halb
gehofft hatte, daß sie vergessen sei.

Ich erinnere mich wirklich nicht mehr so ganz genau, erwiederte sie. Wenn
dieser Umstand aber so wichtig für Sie ist, lieber Baron, so will ich noch heute
an eine Freundin schreiben, welche damals zugegen war und vielleicht ein besseres
Gedächtnis für die otircmiqus MMÄltlkmse hat als ich.

Nein, sagte Baron Sextus, wir wollen das einfacher machen. Ich bin
kein Freund von Hin- und Herreden hinter jemandes Rücken. Wer ein Schuft
ist, kann mir nicht ins Auge sehen. Ich werde Herrn Eschenburg zu mir bitten
und ihn Mann gegen Mann zur Rede stellen.

Gräfin Sibylle ward von diesen Worten und von dem Gedanken, Eber¬
hard! erscheinen zu sehen, so betroffen, daß sie sich tiefer über ihre Arbeit beugen
mußte, um die Veränderung in ihrem Gesicht zu verbergen. Sie erschrak heftig
bei der Idee, daß Eberhardt nnter solchen Umständen keinen Augenblick erman¬
geln werde, alles zu offenbaren, was sie mit einem Schleier zu bedecken wünschte,
und daß er, erzürnt über ihre Anklage, jede Schonung ihrer selbst vergessen werde.
Sie beschloß, um jeden Preis diese Zusammenkunft zu vereiteln.


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[0572] [Abbildung] Die Grafen von Altenschwerdt. August Niemann Roman von(Gotha), (Fortsetzung.) arcens, daß Baron Sextus heute so schlechter Laune war, zog Gräfin Sibylle ferner Schlüsse und überzeugte sich, scharfsinniger als er und weit besser mit ihm bekannt, als er es mit sich selbst war, daß ihn heimlich das Bewußtsein drücke, ein Thor zu sein, ohne doch von seiner Thorheit abstehen zu können. Sie war daher doppelt bemüht, liebenswürdig und ganz unbefangen zu erscheinen, und indem sie einen Vorhang enger zog, welcher das Licht auf sein Gesicht durchfallen ließ, indem sie seinen Stuhl rückte und ihm die Schlummerrolle mit leichter Hand unter den Kopf schob, zeigte sie ihm ein Gesicht, das an unschul- digem, sanftem und vertrauensvollen Ausdruck dein unschuldigen Lächeln eines Kindes so nahe kam, wie Gräfin Sibyllens strenge, stolze Züge hierzu über¬ haupt nur imstande waren. Sie war daher einigermaßen überrascht, als der Baron in nicht sehr ver¬ bindlichem Tone nach jener alten Geschichte fragte, von der sie halb und halb gehofft hatte, daß sie vergessen sei. Ich erinnere mich wirklich nicht mehr so ganz genau, erwiederte sie. Wenn dieser Umstand aber so wichtig für Sie ist, lieber Baron, so will ich noch heute an eine Freundin schreiben, welche damals zugegen war und vielleicht ein besseres Gedächtnis für die otircmiqus MMÄltlkmse hat als ich. Nein, sagte Baron Sextus, wir wollen das einfacher machen. Ich bin kein Freund von Hin- und Herreden hinter jemandes Rücken. Wer ein Schuft ist, kann mir nicht ins Auge sehen. Ich werde Herrn Eschenburg zu mir bitten und ihn Mann gegen Mann zur Rede stellen. Gräfin Sibylle ward von diesen Worten und von dem Gedanken, Eber¬ hard! erscheinen zu sehen, so betroffen, daß sie sich tiefer über ihre Arbeit beugen mußte, um die Veränderung in ihrem Gesicht zu verbergen. Sie erschrak heftig bei der Idee, daß Eberhardt nnter solchen Umständen keinen Augenblick erman¬ geln werde, alles zu offenbaren, was sie mit einem Schleier zu bedecken wünschte, und daß er, erzürnt über ihre Anklage, jede Schonung ihrer selbst vergessen werde. Sie beschloß, um jeden Preis diese Zusammenkunft zu vereiteln.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/572>, abgerufen am 05.05.2024.