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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Gewerbeordnungsnovelle.

le liberale Presse, auch die gemäßigtem Organe derselben, er¬
gehen sich fortwährend in erregten Auslassungen gegen die Be¬
stimmungen der Gewerbeordnungsnovelle, wie sie aus den Be¬
schlüssen des Reichstags hervorgegangen ist. Die Nativualzeitung
findet, daß durch dieses neue Gesetz "die Literatur unter polizei¬
liche Aufsicht gestellt" werde, "das stärkste, was seit Abschaffung der Zensur
an obrigkeitlicher Beaufsichtigung der geistigen Entwicklung der deutschen Nation
geboten worden." Und was ist es, was in dieser Weise dem deutschen Volke
als Unterdrückung seiner geistigen Entwicklung denunzirt wird? Daß Druck¬
schriften, welche religiöses oder sittliches Ärgernis zu erregen geeignet find,
nicht mehr im Wege der Kolportage vertrieben werden sollen! In einem wei¬
tern Artikel findet das genannte Blatt den ganzen Kaufmannsstand tief herab¬
gewürdigt und verletzt, weil gewissen Personen von entschiedner Anrüchigkeit nicht
allein der Hausirbetrieb, sondern auch die Berechtigung, als Geschäftsreisende
in der Welt umherzuziehen, versagt werden soll. Das sei ein schwerer Schlag
gegen den tüchtigen und ehrenwerten deutschen Kaufmannsstand, den dieser nur
mit Mühe ohne allzu großen Schaden überwinden werde.

Betrachten wir zunächst den angeblich so verhängnisvollen Beschluß gegen
die geistige Entwicklung. Wer etwas älter an Jahren ist, wird sich einer Zeit
erinnern, wo es einen Kolportagebuchhandel in Deutschland kaum gab. Und doch
war schon damals das deutsche Volk recht leidlich gebildet. Nun hat sich im Laufe
des letzten Menschenalters dieser Handel in einer Art entwickelt, daß, wie der
Abgeordnete Kapp uns belehrt, ein Fünftel des ganzen deutschen Buchhandels
darauf beruht. Dieser blühende Industriezweig, sagt man, darf nicht zerstört
werden. Das ist immer die Weisheit unsrer modernen Jndnstriemänner. Wir


Gu'nzboten II. 1883. 73


Die Gewerbeordnungsnovelle.

le liberale Presse, auch die gemäßigtem Organe derselben, er¬
gehen sich fortwährend in erregten Auslassungen gegen die Be¬
stimmungen der Gewerbeordnungsnovelle, wie sie aus den Be¬
schlüssen des Reichstags hervorgegangen ist. Die Nativualzeitung
findet, daß durch dieses neue Gesetz „die Literatur unter polizei¬
liche Aufsicht gestellt" werde, „das stärkste, was seit Abschaffung der Zensur
an obrigkeitlicher Beaufsichtigung der geistigen Entwicklung der deutschen Nation
geboten worden." Und was ist es, was in dieser Weise dem deutschen Volke
als Unterdrückung seiner geistigen Entwicklung denunzirt wird? Daß Druck¬
schriften, welche religiöses oder sittliches Ärgernis zu erregen geeignet find,
nicht mehr im Wege der Kolportage vertrieben werden sollen! In einem wei¬
tern Artikel findet das genannte Blatt den ganzen Kaufmannsstand tief herab¬
gewürdigt und verletzt, weil gewissen Personen von entschiedner Anrüchigkeit nicht
allein der Hausirbetrieb, sondern auch die Berechtigung, als Geschäftsreisende
in der Welt umherzuziehen, versagt werden soll. Das sei ein schwerer Schlag
gegen den tüchtigen und ehrenwerten deutschen Kaufmannsstand, den dieser nur
mit Mühe ohne allzu großen Schaden überwinden werde.

Betrachten wir zunächst den angeblich so verhängnisvollen Beschluß gegen
die geistige Entwicklung. Wer etwas älter an Jahren ist, wird sich einer Zeit
erinnern, wo es einen Kolportagebuchhandel in Deutschland kaum gab. Und doch
war schon damals das deutsche Volk recht leidlich gebildet. Nun hat sich im Laufe
des letzten Menschenalters dieser Handel in einer Art entwickelt, daß, wie der
Abgeordnete Kapp uns belehrt, ein Fünftel des ganzen deutschen Buchhandels
darauf beruht. Dieser blühende Industriezweig, sagt man, darf nicht zerstört
werden. Das ist immer die Weisheit unsrer modernen Jndnstriemänner. Wir


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[0585] [Abbildung] Die Gewerbeordnungsnovelle. le liberale Presse, auch die gemäßigtem Organe derselben, er¬ gehen sich fortwährend in erregten Auslassungen gegen die Be¬ stimmungen der Gewerbeordnungsnovelle, wie sie aus den Be¬ schlüssen des Reichstags hervorgegangen ist. Die Nativualzeitung findet, daß durch dieses neue Gesetz „die Literatur unter polizei¬ liche Aufsicht gestellt" werde, „das stärkste, was seit Abschaffung der Zensur an obrigkeitlicher Beaufsichtigung der geistigen Entwicklung der deutschen Nation geboten worden." Und was ist es, was in dieser Weise dem deutschen Volke als Unterdrückung seiner geistigen Entwicklung denunzirt wird? Daß Druck¬ schriften, welche religiöses oder sittliches Ärgernis zu erregen geeignet find, nicht mehr im Wege der Kolportage vertrieben werden sollen! In einem wei¬ tern Artikel findet das genannte Blatt den ganzen Kaufmannsstand tief herab¬ gewürdigt und verletzt, weil gewissen Personen von entschiedner Anrüchigkeit nicht allein der Hausirbetrieb, sondern auch die Berechtigung, als Geschäftsreisende in der Welt umherzuziehen, versagt werden soll. Das sei ein schwerer Schlag gegen den tüchtigen und ehrenwerten deutschen Kaufmannsstand, den dieser nur mit Mühe ohne allzu großen Schaden überwinden werde. Betrachten wir zunächst den angeblich so verhängnisvollen Beschluß gegen die geistige Entwicklung. Wer etwas älter an Jahren ist, wird sich einer Zeit erinnern, wo es einen Kolportagebuchhandel in Deutschland kaum gab. Und doch war schon damals das deutsche Volk recht leidlich gebildet. Nun hat sich im Laufe des letzten Menschenalters dieser Handel in einer Art entwickelt, daß, wie der Abgeordnete Kapp uns belehrt, ein Fünftel des ganzen deutschen Buchhandels darauf beruht. Dieser blühende Industriezweig, sagt man, darf nicht zerstört werden. Das ist immer die Weisheit unsrer modernen Jndnstriemänner. Wir Gu'nzboten II. 1883. 73

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/585>, abgerufen am 05.05.2024.