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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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sein Arbeitszimmer, wo er lange Zeit in sich gekehrt das Bildnis seines Ahnen
Blasius betrachtete, der aus dem Moder vergangner Zeiten heraus seine Hand
in das Dasein der Lebenden streckte.




Dreißigstes Aapitel.

Dorotheens Augen hatten einen unheimlichen Glanz, der Millicent beun¬
ruhigte, als sie der Freundin behilflich war, sich ihres Reitanzuges zu entledigen,
und ihre Lippen öffneten sich zu keiner Mitteilung. Es schien, als herrsche eine
Bewegung in ihrem Innern, welche sich scheue, an die Außenwelt zu treten.
Ihr starres Wesen verließ sie den Tag über nicht und erweichte sich selbst
nicht vor Millieents zärtlichem Anschmiegen und der beweglichen Frage ihrer
bittenden Augen.

Beim Thee wie beim Mittagessen, wo sie mit ihrem Vater und der Gräfin
zusammentraf, bewahrte sie eine eisige Haltung und sprach nur wenige und
gleichgiltige Worte. Doch redeten ihre blassen Wangen und heißen Augen ver¬
ständlich genug und beunruhigten namentlich die Gräfin, welche vom Baron
erfahren hatte, was auf dem Spazierritte gesprochen worden war, und es vor-
gezogen hätte, Dorothea in Thränen zu sehen. Einige male begegneten sich die
Blicke beider Damen, und in diesen Sekunden ward zwischen ihnen eine stumme
Unterhaltung gepflogen, welche sehr beredt war.

Gräfin Sibylle nahm ein ruhiges, beinahe schmachtendes Wesen an, worin
sie sich als die natürliche Bundesgenossin ihres Wirtes darstellte, und sie wußte
mit leicht gesenktem Kopfe und einem gelegentlichen kaum hörbaren Seufzer in
dem Baron das Gefühl hervorzurufen, daß er ein Vater sei, der wenig Dank
von seinem Kinde ernte. Sie sah ihn zuweilen in einer Art und Weise an,
welche ihm sagte, daß er nicht allein stehe, indem er Gehorsam verlange, und
daß es jemand gebe, der auf alle Fälle mit ihm sei, seine Empfindungen ver¬
stehe und ihm nötigenfalls Trost verleihen könne.

Dorothea bemerkte recht wohl dies stumme Spiel, ihre Beobachtung schien
sich dnrch die Eröffnung ihres Vaters verschärft zu haben, und die Gräfin konnte
in ihrer Miene lesen, was ihr nicht angenehm zu erfahren war.

Die Stunden schlichen langsam dahin, weil kein unbefangenes Gespräch
möglich war, und zu ungewöhnlich früher Zeit erhob sich nach dem Thee die
Gräfin, indem sie erklärte, daß sie sich noch immer angegriffen fühle. Der
Baron sah seine Tochter noch einmal fragend an, indem jene gute Nacht
wünschte, aber Dorothea erklärte ebenfalls, daß sie müde sei, und zog sich eben¬
falls zurück.

Sie sank, als sie auf ihrem Zimmer angelangt war, in ihrem Stuhl zu¬
sammen und starrte trübe vor sich hin.

Millicent kam leise heran, betrachtete die Freundin erst von weitem und
kniete dann neben ihr nieder.

Ich habe deinen Brief besorgt, sagte sie, als Dorothea ihr noch immer
keine Aufmerksamkeit schenkte.

Du hast ihn besorgt! entgegnete Dorothea. Ach, Kind, Kind! Was soll
daraus werden?

Millicent strich ihr liebkosend über das Haar und küßte ihr die schlaff
herabhängende Hand.


sein Arbeitszimmer, wo er lange Zeit in sich gekehrt das Bildnis seines Ahnen
Blasius betrachtete, der aus dem Moder vergangner Zeiten heraus seine Hand
in das Dasein der Lebenden streckte.




Dreißigstes Aapitel.

Dorotheens Augen hatten einen unheimlichen Glanz, der Millicent beun¬
ruhigte, als sie der Freundin behilflich war, sich ihres Reitanzuges zu entledigen,
und ihre Lippen öffneten sich zu keiner Mitteilung. Es schien, als herrsche eine
Bewegung in ihrem Innern, welche sich scheue, an die Außenwelt zu treten.
Ihr starres Wesen verließ sie den Tag über nicht und erweichte sich selbst
nicht vor Millieents zärtlichem Anschmiegen und der beweglichen Frage ihrer
bittenden Augen.

Beim Thee wie beim Mittagessen, wo sie mit ihrem Vater und der Gräfin
zusammentraf, bewahrte sie eine eisige Haltung und sprach nur wenige und
gleichgiltige Worte. Doch redeten ihre blassen Wangen und heißen Augen ver¬
ständlich genug und beunruhigten namentlich die Gräfin, welche vom Baron
erfahren hatte, was auf dem Spazierritte gesprochen worden war, und es vor-
gezogen hätte, Dorothea in Thränen zu sehen. Einige male begegneten sich die
Blicke beider Damen, und in diesen Sekunden ward zwischen ihnen eine stumme
Unterhaltung gepflogen, welche sehr beredt war.

Gräfin Sibylle nahm ein ruhiges, beinahe schmachtendes Wesen an, worin
sie sich als die natürliche Bundesgenossin ihres Wirtes darstellte, und sie wußte
mit leicht gesenktem Kopfe und einem gelegentlichen kaum hörbaren Seufzer in
dem Baron das Gefühl hervorzurufen, daß er ein Vater sei, der wenig Dank
von seinem Kinde ernte. Sie sah ihn zuweilen in einer Art und Weise an,
welche ihm sagte, daß er nicht allein stehe, indem er Gehorsam verlange, und
daß es jemand gebe, der auf alle Fälle mit ihm sei, seine Empfindungen ver¬
stehe und ihm nötigenfalls Trost verleihen könne.

Dorothea bemerkte recht wohl dies stumme Spiel, ihre Beobachtung schien
sich dnrch die Eröffnung ihres Vaters verschärft zu haben, und die Gräfin konnte
in ihrer Miene lesen, was ihr nicht angenehm zu erfahren war.

Die Stunden schlichen langsam dahin, weil kein unbefangenes Gespräch
möglich war, und zu ungewöhnlich früher Zeit erhob sich nach dem Thee die
Gräfin, indem sie erklärte, daß sie sich noch immer angegriffen fühle. Der
Baron sah seine Tochter noch einmal fragend an, indem jene gute Nacht
wünschte, aber Dorothea erklärte ebenfalls, daß sie müde sei, und zog sich eben¬
falls zurück.

Sie sank, als sie auf ihrem Zimmer angelangt war, in ihrem Stuhl zu¬
sammen und starrte trübe vor sich hin.

Millicent kam leise heran, betrachtete die Freundin erst von weitem und
kniete dann neben ihr nieder.

Ich habe deinen Brief besorgt, sagte sie, als Dorothea ihr noch immer
keine Aufmerksamkeit schenkte.

Du hast ihn besorgt! entgegnete Dorothea. Ach, Kind, Kind! Was soll
daraus werden?

Millicent strich ihr liebkosend über das Haar und küßte ihr die schlaff
herabhängende Hand.


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[0629] sein Arbeitszimmer, wo er lange Zeit in sich gekehrt das Bildnis seines Ahnen Blasius betrachtete, der aus dem Moder vergangner Zeiten heraus seine Hand in das Dasein der Lebenden streckte. Dreißigstes Aapitel. Dorotheens Augen hatten einen unheimlichen Glanz, der Millicent beun¬ ruhigte, als sie der Freundin behilflich war, sich ihres Reitanzuges zu entledigen, und ihre Lippen öffneten sich zu keiner Mitteilung. Es schien, als herrsche eine Bewegung in ihrem Innern, welche sich scheue, an die Außenwelt zu treten. Ihr starres Wesen verließ sie den Tag über nicht und erweichte sich selbst nicht vor Millieents zärtlichem Anschmiegen und der beweglichen Frage ihrer bittenden Augen. Beim Thee wie beim Mittagessen, wo sie mit ihrem Vater und der Gräfin zusammentraf, bewahrte sie eine eisige Haltung und sprach nur wenige und gleichgiltige Worte. Doch redeten ihre blassen Wangen und heißen Augen ver¬ ständlich genug und beunruhigten namentlich die Gräfin, welche vom Baron erfahren hatte, was auf dem Spazierritte gesprochen worden war, und es vor- gezogen hätte, Dorothea in Thränen zu sehen. Einige male begegneten sich die Blicke beider Damen, und in diesen Sekunden ward zwischen ihnen eine stumme Unterhaltung gepflogen, welche sehr beredt war. Gräfin Sibylle nahm ein ruhiges, beinahe schmachtendes Wesen an, worin sie sich als die natürliche Bundesgenossin ihres Wirtes darstellte, und sie wußte mit leicht gesenktem Kopfe und einem gelegentlichen kaum hörbaren Seufzer in dem Baron das Gefühl hervorzurufen, daß er ein Vater sei, der wenig Dank von seinem Kinde ernte. Sie sah ihn zuweilen in einer Art und Weise an, welche ihm sagte, daß er nicht allein stehe, indem er Gehorsam verlange, und daß es jemand gebe, der auf alle Fälle mit ihm sei, seine Empfindungen ver¬ stehe und ihm nötigenfalls Trost verleihen könne. Dorothea bemerkte recht wohl dies stumme Spiel, ihre Beobachtung schien sich dnrch die Eröffnung ihres Vaters verschärft zu haben, und die Gräfin konnte in ihrer Miene lesen, was ihr nicht angenehm zu erfahren war. Die Stunden schlichen langsam dahin, weil kein unbefangenes Gespräch möglich war, und zu ungewöhnlich früher Zeit erhob sich nach dem Thee die Gräfin, indem sie erklärte, daß sie sich noch immer angegriffen fühle. Der Baron sah seine Tochter noch einmal fragend an, indem jene gute Nacht wünschte, aber Dorothea erklärte ebenfalls, daß sie müde sei, und zog sich eben¬ falls zurück. Sie sank, als sie auf ihrem Zimmer angelangt war, in ihrem Stuhl zu¬ sammen und starrte trübe vor sich hin. Millicent kam leise heran, betrachtete die Freundin erst von weitem und kniete dann neben ihr nieder. Ich habe deinen Brief besorgt, sagte sie, als Dorothea ihr noch immer keine Aufmerksamkeit schenkte. Du hast ihn besorgt! entgegnete Dorothea. Ach, Kind, Kind! Was soll daraus werden? Millicent strich ihr liebkosend über das Haar und küßte ihr die schlaff herabhängende Hand.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/629>, abgerufen am 05.05.2024.