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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Börsensteuerdebatte.

Schaffung der Tortur, der grausamen Strafen und der Leibeigenschaft, die reli¬
giöse Toleranz, die Erhebung und das Selbstgefühl der mittlern und selbst
geringern Klassen und die ungehemmte Entfaltung aller geistigen Kräfte, die
volle Würdigung des menschlichen Wertes, die ihn unabhängig von Stand und
Geburt zu schätzen weiß." Dieser weltgeschichtliche Beruf des Liberalismus darf
nicht übersehen und nicht verkannt werden. Ebensowenig aber dürfen wir die
Augen vor einem letzten Mangel desselben verschließen. Der Liberalismus wird
von der Humanität getrieben und sucht deren Gebote zu verwirklichen. Aber
er ist erfüllt von der Menschlichkeit ohne Gottesfurcht, er empfindet durch und
durch profan. Daher die Abneigung gegen Todesstrafe, ja gegen strenge
Strafen überhaupt; man will Besserung, Sicherstellung der Gesellschaft, nicht
den Triumph von Gottes Ordnung über den Verbrecher, nicht Strafen nach
der Gerechtigkeit, und so führt der Liberalismus zur Nachsicht gegen das Laster,
zu gegenseitiger Verweichlichung und zu gefährlicher Erschlaffung der Zucht.




Die Börsensteuerdebatte.*)

as Lebenselement der Börse ist der Lärm; er ist zugleich die
Hauptquelle ihrer Erfolge. Auch jetzt, wo man in Deutschland
einen ernsteren Anlauf genommen hat, eine Absonderlichkeit im
modernen Staatsleben, den wirklichen Staat im Staate, den in
Deutschland die Börse bildet, wenigstens nach einer Seite hin an
die Einordnung in das Staatsgefüge zu gewöhnen, hat sich dies wieder gezeigt.
Es ist der Börse gelungen, fast sämtliche Vertretungen des Handels mit sich
fortzureißen in die Bekämpfung des Börstensteuerentwnrfes, worin sie durch den
Verfasser des letztern nicht wenig unterstützt worden ist, da derselbe, um die



^) Seitdem dieser Aufsatz geschrieben wurde, ist das Börsensteuergesetz beim Reichstage
eingebracht worden. Zur weiteren Behandlung kam dasselbe nicht. Doch ist an der aber¬
maligen Vorlegung nach Eröffnung des nächsten Reichstages nicht zu zweifeln. Zuvor jedoch
wird der Entwurf dem preußischen Staatsrate zu nochmaliger Beratung vorgelegt werden.
Es ist möglich, daß er aus dieser Beratung als organisches Börsengesetz hervorgeht. Die
Börse scheint dies auch zu fürchten, denn einige ihrer Blätter erklären bereits, der Staatsrat
sei zur Beratung eines derartigen Gesetzes nicht befähigt; zu solcher Berntnng seien nur
Börsianer geschickt. Wir begnügen uns, dies als ein neues klassisches Zeugnis der Keckheit
der Interessengruppe, welche schon die ganze Welt in der Tasche zu haben glaubt, festzu¬
halten.
Die Börsensteuerdebatte.

Schaffung der Tortur, der grausamen Strafen und der Leibeigenschaft, die reli¬
giöse Toleranz, die Erhebung und das Selbstgefühl der mittlern und selbst
geringern Klassen und die ungehemmte Entfaltung aller geistigen Kräfte, die
volle Würdigung des menschlichen Wertes, die ihn unabhängig von Stand und
Geburt zu schätzen weiß." Dieser weltgeschichtliche Beruf des Liberalismus darf
nicht übersehen und nicht verkannt werden. Ebensowenig aber dürfen wir die
Augen vor einem letzten Mangel desselben verschließen. Der Liberalismus wird
von der Humanität getrieben und sucht deren Gebote zu verwirklichen. Aber
er ist erfüllt von der Menschlichkeit ohne Gottesfurcht, er empfindet durch und
durch profan. Daher die Abneigung gegen Todesstrafe, ja gegen strenge
Strafen überhaupt; man will Besserung, Sicherstellung der Gesellschaft, nicht
den Triumph von Gottes Ordnung über den Verbrecher, nicht Strafen nach
der Gerechtigkeit, und so führt der Liberalismus zur Nachsicht gegen das Laster,
zu gegenseitiger Verweichlichung und zu gefährlicher Erschlaffung der Zucht.




Die Börsensteuerdebatte.*)

as Lebenselement der Börse ist der Lärm; er ist zugleich die
Hauptquelle ihrer Erfolge. Auch jetzt, wo man in Deutschland
einen ernsteren Anlauf genommen hat, eine Absonderlichkeit im
modernen Staatsleben, den wirklichen Staat im Staate, den in
Deutschland die Börse bildet, wenigstens nach einer Seite hin an
die Einordnung in das Staatsgefüge zu gewöhnen, hat sich dies wieder gezeigt.
Es ist der Börse gelungen, fast sämtliche Vertretungen des Handels mit sich
fortzureißen in die Bekämpfung des Börstensteuerentwnrfes, worin sie durch den
Verfasser des letztern nicht wenig unterstützt worden ist, da derselbe, um die



^) Seitdem dieser Aufsatz geschrieben wurde, ist das Börsensteuergesetz beim Reichstage
eingebracht worden. Zur weiteren Behandlung kam dasselbe nicht. Doch ist an der aber¬
maligen Vorlegung nach Eröffnung des nächsten Reichstages nicht zu zweifeln. Zuvor jedoch
wird der Entwurf dem preußischen Staatsrate zu nochmaliger Beratung vorgelegt werden.
Es ist möglich, daß er aus dieser Beratung als organisches Börsengesetz hervorgeht. Die
Börse scheint dies auch zu fürchten, denn einige ihrer Blätter erklären bereits, der Staatsrat
sei zur Beratung eines derartigen Gesetzes nicht befähigt; zu solcher Berntnng seien nur
Börsianer geschickt. Wir begnügen uns, dies als ein neues klassisches Zeugnis der Keckheit
der Interessengruppe, welche schon die ganze Welt in der Tasche zu haben glaubt, festzu¬
halten.
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[0268] Die Börsensteuerdebatte. Schaffung der Tortur, der grausamen Strafen und der Leibeigenschaft, die reli¬ giöse Toleranz, die Erhebung und das Selbstgefühl der mittlern und selbst geringern Klassen und die ungehemmte Entfaltung aller geistigen Kräfte, die volle Würdigung des menschlichen Wertes, die ihn unabhängig von Stand und Geburt zu schätzen weiß." Dieser weltgeschichtliche Beruf des Liberalismus darf nicht übersehen und nicht verkannt werden. Ebensowenig aber dürfen wir die Augen vor einem letzten Mangel desselben verschließen. Der Liberalismus wird von der Humanität getrieben und sucht deren Gebote zu verwirklichen. Aber er ist erfüllt von der Menschlichkeit ohne Gottesfurcht, er empfindet durch und durch profan. Daher die Abneigung gegen Todesstrafe, ja gegen strenge Strafen überhaupt; man will Besserung, Sicherstellung der Gesellschaft, nicht den Triumph von Gottes Ordnung über den Verbrecher, nicht Strafen nach der Gerechtigkeit, und so führt der Liberalismus zur Nachsicht gegen das Laster, zu gegenseitiger Verweichlichung und zu gefährlicher Erschlaffung der Zucht. Die Börsensteuerdebatte.*) as Lebenselement der Börse ist der Lärm; er ist zugleich die Hauptquelle ihrer Erfolge. Auch jetzt, wo man in Deutschland einen ernsteren Anlauf genommen hat, eine Absonderlichkeit im modernen Staatsleben, den wirklichen Staat im Staate, den in Deutschland die Börse bildet, wenigstens nach einer Seite hin an die Einordnung in das Staatsgefüge zu gewöhnen, hat sich dies wieder gezeigt. Es ist der Börse gelungen, fast sämtliche Vertretungen des Handels mit sich fortzureißen in die Bekämpfung des Börstensteuerentwnrfes, worin sie durch den Verfasser des letztern nicht wenig unterstützt worden ist, da derselbe, um die ^) Seitdem dieser Aufsatz geschrieben wurde, ist das Börsensteuergesetz beim Reichstage eingebracht worden. Zur weiteren Behandlung kam dasselbe nicht. Doch ist an der aber¬ maligen Vorlegung nach Eröffnung des nächsten Reichstages nicht zu zweifeln. Zuvor jedoch wird der Entwurf dem preußischen Staatsrate zu nochmaliger Beratung vorgelegt werden. Es ist möglich, daß er aus dieser Beratung als organisches Börsengesetz hervorgeht. Die Börse scheint dies auch zu fürchten, denn einige ihrer Blätter erklären bereits, der Staatsrat sei zur Beratung eines derartigen Gesetzes nicht befähigt; zu solcher Berntnng seien nur Börsianer geschickt. Wir begnügen uns, dies als ein neues klassisches Zeugnis der Keckheit der Interessengruppe, welche schon die ganze Welt in der Tasche zu haben glaubt, festzu¬ halten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/268>, abgerufen am 02.05.2024.