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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Lngel auf Grden.

hinzu: Ich möchte Rina sehen. Ich muß ihr sagen, an wen mein Schreiben
gerichtet ist.

Der Doktor erwiederte, er müsse warten, bis Nina von selbst komme: sie
bedürfe nach diesen angestrengten Tagen zu sehr der Ruhe, als daß er den
Mut hätte, sie zu stören, nachdem sie endlich seinen dringenden Ermahnungen
nachgegeben habe. Mandozzi beruhigte sich, schloß die Augen und schien'zu
schlafen.

Als Rina später in das Zimmer zurückkehrte, beeilte sich der Doktor, ihr
mitzuteilen, daß Mandozzi wieder zur Besinnung gekommen sei, und daß alles
sogut gehe, wie man nur wünschen könne. Der Kranke richtete einen Blick voll
Demut und voll Liebe auf sie. Er bat sie, ihn einen Augenblick im Geheimen
anzugehören. Sie blieben allein.

Nina, verzeihst du mir? hub er plötzlich an. Ich habe dir deine Jugend
geraubt. Recht oft, glaube es mir, habe ich mein Unrecht gegen dich gefühlt,
aber niemals habe ich es so klar erkannt, wie jetzt, wieviele Schmerzen ich dir
zugefügt habe. Verzeihe mir!

Ich verzeihe Euch, sagte Nina schlicht. Meine Schmerzen kommen nicht in
Betracht. Und Ihr könnt alles wieder gutmachen, wenn Ihr meinem Sohne
einen Vater wiedergebe, dessen er sich nicht zu schämen braucht.

Guido! Mein Guido! rief Mandozzi schluchzend aus. Laß mich ihn sehen!

Noch nicht, antwortete Rina. Das Kind ist allzu empfänglich. Ihr dürft
ihn erst sehen, wenn Ihr ganz wiederhergestellt seid.

Mandozzi war im Begriffe, auszurufen, daß es das letztem"! sei, daß er
ihn sehen würde, aber er hielt sich zurück.

Ich will mich gedulden! rief er aus, aber in seinem Innern fügte er hinzu:
Ich verdiene es nicht!

Lege deine Hand her auf das Kissen, bat der Kranke, und nachdem Nina
so gethan, brachte er sein Gesicht langsam an ihre Hand, bis seine Lippen sie
berührten, und küßte sie. Ich danke dir!

Die Nacht war hereingebrochen. Auf die Bitte des Arztes und die noch
dringenderen Bitten des Kranken hatte sich Rina zurückgezogen. Eine Frau
aus dem Dorfe saß in der einen Ecke des Zinnners und wachte bei einer Lampe.
Um Mitternacht rief Mandozzi, der lange still dagelegen hatte, diese zu sich,
und befahl ihr, sie solle hinuntergehen und Eis heraufholen.

Als die Frau zurückkehrte, fand sie ihn ein paar Schritte vom Bette tot
am Boden liegen.

Auf der Karte, welche Mandozzi unter das Kopfkissen gelegt hatte, stand
folgendes:

"Niemand hat Schuld an meinem Tode. Ich habe mich selbst getötet.
Das Leben ist mir unerträglich. Sei glücklich, Rina, deinen Namen segnend
sterbe ich. Mache, daß mein Sohn in Liebe meiner gedenkt."




20.

Den Schluß dieser Geschichte mögen ein paar Briefe erzählen, welche wir
vor uns liegen haben. Der erste ist von Josef Devmmis an Paul Amardi
gerichtet und' lautet folgendermaßen:

X., den 20. August 1862.

Ich reise ab und sende dir diese Kunde und mein Lebewohl auf diesem


Grenzboten III. 1884. L0
Die Lngel auf Grden.

hinzu: Ich möchte Rina sehen. Ich muß ihr sagen, an wen mein Schreiben
gerichtet ist.

Der Doktor erwiederte, er müsse warten, bis Nina von selbst komme: sie
bedürfe nach diesen angestrengten Tagen zu sehr der Ruhe, als daß er den
Mut hätte, sie zu stören, nachdem sie endlich seinen dringenden Ermahnungen
nachgegeben habe. Mandozzi beruhigte sich, schloß die Augen und schien'zu
schlafen.

Als Rina später in das Zimmer zurückkehrte, beeilte sich der Doktor, ihr
mitzuteilen, daß Mandozzi wieder zur Besinnung gekommen sei, und daß alles
sogut gehe, wie man nur wünschen könne. Der Kranke richtete einen Blick voll
Demut und voll Liebe auf sie. Er bat sie, ihn einen Augenblick im Geheimen
anzugehören. Sie blieben allein.

Nina, verzeihst du mir? hub er plötzlich an. Ich habe dir deine Jugend
geraubt. Recht oft, glaube es mir, habe ich mein Unrecht gegen dich gefühlt,
aber niemals habe ich es so klar erkannt, wie jetzt, wieviele Schmerzen ich dir
zugefügt habe. Verzeihe mir!

Ich verzeihe Euch, sagte Nina schlicht. Meine Schmerzen kommen nicht in
Betracht. Und Ihr könnt alles wieder gutmachen, wenn Ihr meinem Sohne
einen Vater wiedergebe, dessen er sich nicht zu schämen braucht.

Guido! Mein Guido! rief Mandozzi schluchzend aus. Laß mich ihn sehen!

Noch nicht, antwortete Rina. Das Kind ist allzu empfänglich. Ihr dürft
ihn erst sehen, wenn Ihr ganz wiederhergestellt seid.

Mandozzi war im Begriffe, auszurufen, daß es das letztem«! sei, daß er
ihn sehen würde, aber er hielt sich zurück.

Ich will mich gedulden! rief er aus, aber in seinem Innern fügte er hinzu:
Ich verdiene es nicht!

Lege deine Hand her auf das Kissen, bat der Kranke, und nachdem Nina
so gethan, brachte er sein Gesicht langsam an ihre Hand, bis seine Lippen sie
berührten, und küßte sie. Ich danke dir!

Die Nacht war hereingebrochen. Auf die Bitte des Arztes und die noch
dringenderen Bitten des Kranken hatte sich Rina zurückgezogen. Eine Frau
aus dem Dorfe saß in der einen Ecke des Zinnners und wachte bei einer Lampe.
Um Mitternacht rief Mandozzi, der lange still dagelegen hatte, diese zu sich,
und befahl ihr, sie solle hinuntergehen und Eis heraufholen.

Als die Frau zurückkehrte, fand sie ihn ein paar Schritte vom Bette tot
am Boden liegen.

Auf der Karte, welche Mandozzi unter das Kopfkissen gelegt hatte, stand
folgendes:

„Niemand hat Schuld an meinem Tode. Ich habe mich selbst getötet.
Das Leben ist mir unerträglich. Sei glücklich, Rina, deinen Namen segnend
sterbe ich. Mache, daß mein Sohn in Liebe meiner gedenkt."




20.

Den Schluß dieser Geschichte mögen ein paar Briefe erzählen, welche wir
vor uns liegen haben. Der erste ist von Josef Devmmis an Paul Amardi
gerichtet und' lautet folgendermaßen:

X., den 20. August 1862.

Ich reise ab und sende dir diese Kunde und mein Lebewohl auf diesem


Grenzboten III. 1884. L0
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[0641] Die Lngel auf Grden. hinzu: Ich möchte Rina sehen. Ich muß ihr sagen, an wen mein Schreiben gerichtet ist. Der Doktor erwiederte, er müsse warten, bis Nina von selbst komme: sie bedürfe nach diesen angestrengten Tagen zu sehr der Ruhe, als daß er den Mut hätte, sie zu stören, nachdem sie endlich seinen dringenden Ermahnungen nachgegeben habe. Mandozzi beruhigte sich, schloß die Augen und schien'zu schlafen. Als Rina später in das Zimmer zurückkehrte, beeilte sich der Doktor, ihr mitzuteilen, daß Mandozzi wieder zur Besinnung gekommen sei, und daß alles sogut gehe, wie man nur wünschen könne. Der Kranke richtete einen Blick voll Demut und voll Liebe auf sie. Er bat sie, ihn einen Augenblick im Geheimen anzugehören. Sie blieben allein. Nina, verzeihst du mir? hub er plötzlich an. Ich habe dir deine Jugend geraubt. Recht oft, glaube es mir, habe ich mein Unrecht gegen dich gefühlt, aber niemals habe ich es so klar erkannt, wie jetzt, wieviele Schmerzen ich dir zugefügt habe. Verzeihe mir! Ich verzeihe Euch, sagte Nina schlicht. Meine Schmerzen kommen nicht in Betracht. Und Ihr könnt alles wieder gutmachen, wenn Ihr meinem Sohne einen Vater wiedergebe, dessen er sich nicht zu schämen braucht. Guido! Mein Guido! rief Mandozzi schluchzend aus. Laß mich ihn sehen! Noch nicht, antwortete Rina. Das Kind ist allzu empfänglich. Ihr dürft ihn erst sehen, wenn Ihr ganz wiederhergestellt seid. Mandozzi war im Begriffe, auszurufen, daß es das letztem«! sei, daß er ihn sehen würde, aber er hielt sich zurück. Ich will mich gedulden! rief er aus, aber in seinem Innern fügte er hinzu: Ich verdiene es nicht! Lege deine Hand her auf das Kissen, bat der Kranke, und nachdem Nina so gethan, brachte er sein Gesicht langsam an ihre Hand, bis seine Lippen sie berührten, und küßte sie. Ich danke dir! Die Nacht war hereingebrochen. Auf die Bitte des Arztes und die noch dringenderen Bitten des Kranken hatte sich Rina zurückgezogen. Eine Frau aus dem Dorfe saß in der einen Ecke des Zinnners und wachte bei einer Lampe. Um Mitternacht rief Mandozzi, der lange still dagelegen hatte, diese zu sich, und befahl ihr, sie solle hinuntergehen und Eis heraufholen. Als die Frau zurückkehrte, fand sie ihn ein paar Schritte vom Bette tot am Boden liegen. Auf der Karte, welche Mandozzi unter das Kopfkissen gelegt hatte, stand folgendes: „Niemand hat Schuld an meinem Tode. Ich habe mich selbst getötet. Das Leben ist mir unerträglich. Sei glücklich, Rina, deinen Namen segnend sterbe ich. Mache, daß mein Sohn in Liebe meiner gedenkt." 20. Den Schluß dieser Geschichte mögen ein paar Briefe erzählen, welche wir vor uns liegen haben. Der erste ist von Josef Devmmis an Paul Amardi gerichtet und' lautet folgendermaßen: X., den 20. August 1862. Ich reise ab und sende dir diese Kunde und mein Lebewohl auf diesem Grenzboten III. 1884. L0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/641>, abgerufen am 01.05.2024.