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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Pfisters Mühle.

dir es gewiß nicht übel. Ich habe ja aber auch zu Hause bei Papa eigentlich
nur mit ihm auf seinem Kirchhofe botanisiren können, und da -- da -- du
weißt ja selber, wie auch du mir dazwischen gekommen bist!




Vierzehntes Blatt.
Krickorode.

Ich trug mein sommertagsmüdes, schlaftrunkenes Weiblein mehr als daß
ich's führte in unser Sommernest, das noch vor Sommersende wie ein ander
Schwalben- oder sonstiges Wandervögelnest mit einer dummen langen Stange
unterm Dachrande weg für alle Zeit herabgestoßen werden sollte. Und nun
ist es mir heute auf dem langweiligen Papier, als trage ich sie in den Herz¬
punkt, die volle Mitte meiner Ävtg, rkZistraw, der Regesten von Pfisters Mühle.

Es wurde aus Abend und Morgen der zweite Weihnachtstag, und Felix
Lippvldes, der sich und uns versprochen hatte, dem Greuel mit auf den Grund
zu kommen, das heißt uns auf unsrer unheimlichen Entdeckungsfahrt stromauf
von Vater Pfisters Mühlwasser zu begleiten, ging wirklich mit.

Er kam unter dem dritten Glockengeläute durch einen dichten Nebel nach der
Mühle und wartete an meines Vaters Schenktische auf einem Fasse sitzend blöd¬
selig in Geduld oder Stumpfsinn darauf, daß der Nebel sich lege, und wir,
Dr. Adam Asche und ich, bereit seien.

Das letztere war bald der Fall, auf das erstere hätten wir den ganzen
Tag vergeblich warten können. Der graue Dunst stieg weder, noch fiel er. Er
blieb liegen, wie er lag, und es war ihm kein Ende abzusehen; ich aber habe
selten ein verdroffneres, grimmigeres Gesicht erblickt als das meines Freundes
Adam bei seiner ersten Begrüßung, sowohl mit dem armen Poeten drinnen wie
mit der grauen, feuchtfrostigen Welt draußen.

Das sage ich Ihnen, Doktor, brummte er, auf den Tisch steigen wir heute
Morgen nicht. Und du, Junge, bilde dir ja nicht ein, daß ich nach Pfisters
Mühle herausgekommen sei, um mir Weltuntergangsgefühle aus deines Vaters
verstänkerter Kneipidylle herauszudestilliren. Idylle hin, Idylle her; trotz Weih¬
nachten, Ostern und Pfingsten in einer Wehmutsthräne habe ich jetzt die Absicht,
ruhig unter den Philistern auf gegebenem, bitter realem Erdboden so gemütlich
als möglich mit zu schmatzen, zu schlucken, zu Prosperiren und möglicherweise
auch zu Propagiren. Zum Henker, am liebsten wär' mir's jetzt, ihr zwei
Phantasienarren säßet mit Vater Pfister im Gotteshause, tödtet den Herrn und
alle seine Werke und hättet mir allein diese gegenwärtige Auseinandersetzung
mit den Lebens- und Kulturbedingungen des Moments überlassen. Da ihr aber
einmal da seid, also vorwärts -- hinein in den Schmaratz! Nehmen Sie die
Rumflasche und das Glas da fort, saufe, und geben Sie mir Ihren Arm,
Don Feliciano. Das Mikroskop brauchen wir heute nicht, Ebert; aber da,


Pfisters Mühle.

dir es gewiß nicht übel. Ich habe ja aber auch zu Hause bei Papa eigentlich
nur mit ihm auf seinem Kirchhofe botanisiren können, und da — da — du
weißt ja selber, wie auch du mir dazwischen gekommen bist!




Vierzehntes Blatt.
Krickorode.

Ich trug mein sommertagsmüdes, schlaftrunkenes Weiblein mehr als daß
ich's führte in unser Sommernest, das noch vor Sommersende wie ein ander
Schwalben- oder sonstiges Wandervögelnest mit einer dummen langen Stange
unterm Dachrande weg für alle Zeit herabgestoßen werden sollte. Und nun
ist es mir heute auf dem langweiligen Papier, als trage ich sie in den Herz¬
punkt, die volle Mitte meiner Ävtg, rkZistraw, der Regesten von Pfisters Mühle.

Es wurde aus Abend und Morgen der zweite Weihnachtstag, und Felix
Lippvldes, der sich und uns versprochen hatte, dem Greuel mit auf den Grund
zu kommen, das heißt uns auf unsrer unheimlichen Entdeckungsfahrt stromauf
von Vater Pfisters Mühlwasser zu begleiten, ging wirklich mit.

Er kam unter dem dritten Glockengeläute durch einen dichten Nebel nach der
Mühle und wartete an meines Vaters Schenktische auf einem Fasse sitzend blöd¬
selig in Geduld oder Stumpfsinn darauf, daß der Nebel sich lege, und wir,
Dr. Adam Asche und ich, bereit seien.

Das letztere war bald der Fall, auf das erstere hätten wir den ganzen
Tag vergeblich warten können. Der graue Dunst stieg weder, noch fiel er. Er
blieb liegen, wie er lag, und es war ihm kein Ende abzusehen; ich aber habe
selten ein verdroffneres, grimmigeres Gesicht erblickt als das meines Freundes
Adam bei seiner ersten Begrüßung, sowohl mit dem armen Poeten drinnen wie
mit der grauen, feuchtfrostigen Welt draußen.

Das sage ich Ihnen, Doktor, brummte er, auf den Tisch steigen wir heute
Morgen nicht. Und du, Junge, bilde dir ja nicht ein, daß ich nach Pfisters
Mühle herausgekommen sei, um mir Weltuntergangsgefühle aus deines Vaters
verstänkerter Kneipidylle herauszudestilliren. Idylle hin, Idylle her; trotz Weih¬
nachten, Ostern und Pfingsten in einer Wehmutsthräne habe ich jetzt die Absicht,
ruhig unter den Philistern auf gegebenem, bitter realem Erdboden so gemütlich
als möglich mit zu schmatzen, zu schlucken, zu Prosperiren und möglicherweise
auch zu Propagiren. Zum Henker, am liebsten wär' mir's jetzt, ihr zwei
Phantasienarren säßet mit Vater Pfister im Gotteshause, tödtet den Herrn und
alle seine Werke und hättet mir allein diese gegenwärtige Auseinandersetzung
mit den Lebens- und Kulturbedingungen des Moments überlassen. Da ihr aber
einmal da seid, also vorwärts — hinein in den Schmaratz! Nehmen Sie die
Rumflasche und das Glas da fort, saufe, und geben Sie mir Ihren Arm,
Don Feliciano. Das Mikroskop brauchen wir heute nicht, Ebert; aber da,


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[0347] Pfisters Mühle. dir es gewiß nicht übel. Ich habe ja aber auch zu Hause bei Papa eigentlich nur mit ihm auf seinem Kirchhofe botanisiren können, und da — da — du weißt ja selber, wie auch du mir dazwischen gekommen bist! Vierzehntes Blatt. Krickorode. Ich trug mein sommertagsmüdes, schlaftrunkenes Weiblein mehr als daß ich's führte in unser Sommernest, das noch vor Sommersende wie ein ander Schwalben- oder sonstiges Wandervögelnest mit einer dummen langen Stange unterm Dachrande weg für alle Zeit herabgestoßen werden sollte. Und nun ist es mir heute auf dem langweiligen Papier, als trage ich sie in den Herz¬ punkt, die volle Mitte meiner Ävtg, rkZistraw, der Regesten von Pfisters Mühle. Es wurde aus Abend und Morgen der zweite Weihnachtstag, und Felix Lippvldes, der sich und uns versprochen hatte, dem Greuel mit auf den Grund zu kommen, das heißt uns auf unsrer unheimlichen Entdeckungsfahrt stromauf von Vater Pfisters Mühlwasser zu begleiten, ging wirklich mit. Er kam unter dem dritten Glockengeläute durch einen dichten Nebel nach der Mühle und wartete an meines Vaters Schenktische auf einem Fasse sitzend blöd¬ selig in Geduld oder Stumpfsinn darauf, daß der Nebel sich lege, und wir, Dr. Adam Asche und ich, bereit seien. Das letztere war bald der Fall, auf das erstere hätten wir den ganzen Tag vergeblich warten können. Der graue Dunst stieg weder, noch fiel er. Er blieb liegen, wie er lag, und es war ihm kein Ende abzusehen; ich aber habe selten ein verdroffneres, grimmigeres Gesicht erblickt als das meines Freundes Adam bei seiner ersten Begrüßung, sowohl mit dem armen Poeten drinnen wie mit der grauen, feuchtfrostigen Welt draußen. Das sage ich Ihnen, Doktor, brummte er, auf den Tisch steigen wir heute Morgen nicht. Und du, Junge, bilde dir ja nicht ein, daß ich nach Pfisters Mühle herausgekommen sei, um mir Weltuntergangsgefühle aus deines Vaters verstänkerter Kneipidylle herauszudestilliren. Idylle hin, Idylle her; trotz Weih¬ nachten, Ostern und Pfingsten in einer Wehmutsthräne habe ich jetzt die Absicht, ruhig unter den Philistern auf gegebenem, bitter realem Erdboden so gemütlich als möglich mit zu schmatzen, zu schlucken, zu Prosperiren und möglicherweise auch zu Propagiren. Zum Henker, am liebsten wär' mir's jetzt, ihr zwei Phantasienarren säßet mit Vater Pfister im Gotteshause, tödtet den Herrn und alle seine Werke und hättet mir allein diese gegenwärtige Auseinandersetzung mit den Lebens- und Kulturbedingungen des Moments überlassen. Da ihr aber einmal da seid, also vorwärts — hinein in den Schmaratz! Nehmen Sie die Rumflasche und das Glas da fort, saufe, und geben Sie mir Ihren Arm, Don Feliciano. Das Mikroskop brauchen wir heute nicht, Ebert; aber da,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/347>, abgerufen am 08.05.2024.