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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Zur Trinkgelderfrage.

n der 36. Nummer des "Nordwest" vom 7. September d. I.
hat der Herausgeber A. Lammers zur Verteidigung des Trink¬
geldes die Feder ergriffen, veranlaßt durch einige neuerdings in
Pariser Blättern aufgetauchte Versuche, eine Abschaffung oder
wenigstens Beschränkung der Trinkgelderwirtschaft herbeizuführen.
Zwischen den beiden Antipoden, dem calorischem R, Jhering und dem epikureischen
K. Braun nimmt Lammers eine vermittelnde Stellung ein: er verurteilt das
Trinkgeld der Reisenden in den Gasthöfen, will sich aber die Freiheit nicht
nehmen lassen, dnrch gelegentliche Entrichtung einiger Groschen zwischen sich
und seinem Leibkellner und Leibkutscher ein persönlicheres Verhältnis herzustellen,
das sich selbstverständlich auf der andern Seite in einer besondern Pünktlichkeit
und in Eifer der Bedienung zu bethätigen habe. Wenn er hinzufügt, daß er
sich bei einer derartigen Handlungsweise durch die von Jhering geforderte Rück¬
sicht auf den weniger bemittelten Mitmenschen wenig genirt fühle und von einer
solchen "Tyrannei des demokratischen Prinzips" nichts wissen will, so kann ich
ihm umso leichter beistimmen, als ein solches Trinkgeld sich selbst vom juri¬
stischen Standpunkte rechtfertigen läßt. Im allgemeinen kann man von dem
Kutscher und Kellner nicht mehr verlangen als die einfache äiligsntia, den üb¬
lichen kutscher- und kellnerhaften Eifer. Beanspruche ich, daß der erstere um
meinetwillen seine Pferde strapazire und seine Aufmerksamkeit verdoppele, um
die Leute nicht überzufahren, daß der zweite mir als Stammgast den Anstich
bringe, dem andern die "Nachtwächter," daß er aus der Küche schwatze, mir
hinterbringe, ob der Nierenbraten heute gut sei, so kann er mit vollem Fug
erwarten, daß ich ihm für solche aus seinen dienstlichen Pflichten heraustretenden
Liebenswürdigkeiten belohne. Indes an solche Praktiken, die vom Standpunkte
des demokratischen Prinzips schon an Bestechung streifen und die guten Sitten
eines Wirtshauses nicht eben fördern, denke ich weniger. Etwas ga"z andres
ist es mit jenem Trinkgeld, das wir einem besonders eifrigen und dienstbeflissenen
Kellner gelegentlich als Ausdruck unsrer besondern Zufriedenheit zufließen
lassen. Nichts scheint harmloser und gerechtfertigter, als ihm, der unser Be¬
hagen erhöht, auch eine kleine Freude zu machen. Schade nur, daß jede Spende
für eine Bemühung, die ihrer Natur nach sich als eine Liebenswürdigkeit oder
ein höherer Grad von Pflichterfüllung darstellt, derselben leicht einen häßlichen
Beigeschmack verleiht und die Tendenz hat, freie Herzensgüte und Moral auf


Zur Trinkgelderfrage.

n der 36. Nummer des „Nordwest" vom 7. September d. I.
hat der Herausgeber A. Lammers zur Verteidigung des Trink¬
geldes die Feder ergriffen, veranlaßt durch einige neuerdings in
Pariser Blättern aufgetauchte Versuche, eine Abschaffung oder
wenigstens Beschränkung der Trinkgelderwirtschaft herbeizuführen.
Zwischen den beiden Antipoden, dem calorischem R, Jhering und dem epikureischen
K. Braun nimmt Lammers eine vermittelnde Stellung ein: er verurteilt das
Trinkgeld der Reisenden in den Gasthöfen, will sich aber die Freiheit nicht
nehmen lassen, dnrch gelegentliche Entrichtung einiger Groschen zwischen sich
und seinem Leibkellner und Leibkutscher ein persönlicheres Verhältnis herzustellen,
das sich selbstverständlich auf der andern Seite in einer besondern Pünktlichkeit
und in Eifer der Bedienung zu bethätigen habe. Wenn er hinzufügt, daß er
sich bei einer derartigen Handlungsweise durch die von Jhering geforderte Rück¬
sicht auf den weniger bemittelten Mitmenschen wenig genirt fühle und von einer
solchen „Tyrannei des demokratischen Prinzips" nichts wissen will, so kann ich
ihm umso leichter beistimmen, als ein solches Trinkgeld sich selbst vom juri¬
stischen Standpunkte rechtfertigen läßt. Im allgemeinen kann man von dem
Kutscher und Kellner nicht mehr verlangen als die einfache äiligsntia, den üb¬
lichen kutscher- und kellnerhaften Eifer. Beanspruche ich, daß der erstere um
meinetwillen seine Pferde strapazire und seine Aufmerksamkeit verdoppele, um
die Leute nicht überzufahren, daß der zweite mir als Stammgast den Anstich
bringe, dem andern die „Nachtwächter," daß er aus der Küche schwatze, mir
hinterbringe, ob der Nierenbraten heute gut sei, so kann er mit vollem Fug
erwarten, daß ich ihm für solche aus seinen dienstlichen Pflichten heraustretenden
Liebenswürdigkeiten belohne. Indes an solche Praktiken, die vom Standpunkte
des demokratischen Prinzips schon an Bestechung streifen und die guten Sitten
eines Wirtshauses nicht eben fördern, denke ich weniger. Etwas ga«z andres
ist es mit jenem Trinkgeld, das wir einem besonders eifrigen und dienstbeflissenen
Kellner gelegentlich als Ausdruck unsrer besondern Zufriedenheit zufließen
lassen. Nichts scheint harmloser und gerechtfertigter, als ihm, der unser Be¬
hagen erhöht, auch eine kleine Freude zu machen. Schade nur, daß jede Spende
für eine Bemühung, die ihrer Natur nach sich als eine Liebenswürdigkeit oder
ein höherer Grad von Pflichterfüllung darstellt, derselben leicht einen häßlichen
Beigeschmack verleiht und die Tendenz hat, freie Herzensgüte und Moral auf


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[0039] Zur Trinkgelderfrage. n der 36. Nummer des „Nordwest" vom 7. September d. I. hat der Herausgeber A. Lammers zur Verteidigung des Trink¬ geldes die Feder ergriffen, veranlaßt durch einige neuerdings in Pariser Blättern aufgetauchte Versuche, eine Abschaffung oder wenigstens Beschränkung der Trinkgelderwirtschaft herbeizuführen. Zwischen den beiden Antipoden, dem calorischem R, Jhering und dem epikureischen K. Braun nimmt Lammers eine vermittelnde Stellung ein: er verurteilt das Trinkgeld der Reisenden in den Gasthöfen, will sich aber die Freiheit nicht nehmen lassen, dnrch gelegentliche Entrichtung einiger Groschen zwischen sich und seinem Leibkellner und Leibkutscher ein persönlicheres Verhältnis herzustellen, das sich selbstverständlich auf der andern Seite in einer besondern Pünktlichkeit und in Eifer der Bedienung zu bethätigen habe. Wenn er hinzufügt, daß er sich bei einer derartigen Handlungsweise durch die von Jhering geforderte Rück¬ sicht auf den weniger bemittelten Mitmenschen wenig genirt fühle und von einer solchen „Tyrannei des demokratischen Prinzips" nichts wissen will, so kann ich ihm umso leichter beistimmen, als ein solches Trinkgeld sich selbst vom juri¬ stischen Standpunkte rechtfertigen läßt. Im allgemeinen kann man von dem Kutscher und Kellner nicht mehr verlangen als die einfache äiligsntia, den üb¬ lichen kutscher- und kellnerhaften Eifer. Beanspruche ich, daß der erstere um meinetwillen seine Pferde strapazire und seine Aufmerksamkeit verdoppele, um die Leute nicht überzufahren, daß der zweite mir als Stammgast den Anstich bringe, dem andern die „Nachtwächter," daß er aus der Küche schwatze, mir hinterbringe, ob der Nierenbraten heute gut sei, so kann er mit vollem Fug erwarten, daß ich ihm für solche aus seinen dienstlichen Pflichten heraustretenden Liebenswürdigkeiten belohne. Indes an solche Praktiken, die vom Standpunkte des demokratischen Prinzips schon an Bestechung streifen und die guten Sitten eines Wirtshauses nicht eben fördern, denke ich weniger. Etwas ga«z andres ist es mit jenem Trinkgeld, das wir einem besonders eifrigen und dienstbeflissenen Kellner gelegentlich als Ausdruck unsrer besondern Zufriedenheit zufließen lassen. Nichts scheint harmloser und gerechtfertigter, als ihm, der unser Be¬ hagen erhöht, auch eine kleine Freude zu machen. Schade nur, daß jede Spende für eine Bemühung, die ihrer Natur nach sich als eine Liebenswürdigkeit oder ein höherer Grad von Pflichterfüllung darstellt, derselben leicht einen häßlichen Beigeschmack verleiht und die Tendenz hat, freie Herzensgüte und Moral auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/39>, abgerufen am 07.05.2024.