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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Pfisters Mühle.

Gebrauch machen. Es handelte sich nur darum, ihn in der ärmlichen Bauern¬
stube, die ihm und seinem Kinde zum letzten Unterschlupf diente, im schlechten
Tagelöhnerarmstuhl hinter dem gottlob warmen Ofen niederzudrücken.

Wie seine Tochter das Leben auffaßte, davon konnte damals nicht die Rede
sein; doch am Nachmittag, es fing eben an zu schneien, führte mich A. A. Asche
noch einmal unter die Kastanienbäume von Pfisters Mühlengarten, faßte mich
an der Schulter, schüttelte mich und sagte:

Das ist ein prächtiges Mädchen, und es scheint mir die höchste Zeit zu
sein, ein wohlhabender Mann zu werden. Entschuldige mich nachher bei deinen
Leuten da drinnen; ich fahre heute Abend noch ab, denn ich halte es wirklich
für die Pflicht der anständigeren Menschen, die Ströme dieser Welt nicht bloß
den andern zu überlassen. Deinem Vater werde ich die ihn betreffende Re-
sumption der Erfahrnisse des gestrigen und heutigen Tages von Berlin aus
schicken. Überlege es dir, überlege es mit ihm, ob es ihm das brave, gute
Herz viel erleichtern wird, wenn er sich damit an einen Advokaten wendet.




Fünfzehntes Blatt.
In versunkenen Ariegesschanzen.

Wie es trotz des Sommersonnenscheins hier schneit auf diese Blätter! Wie
der Nordwind kalt herbläst trotz der Julihitze! Ich aber habe mir ja wohl vor¬
genommen, die Zähne zusammenzubeißen und die Leute nichts merken zu lassen
von meinem innerlichen Frösteln? --

Die Tage in der Mühle schienen immer schöner zu werden, je mehr sie
sich ihrem Ende näherten. Und sie näherten sich unwiderruflich, unwiederbring¬
lich ihrem Ende.

Von dem leeren Hanse, dem toten Rade hatte ich bereits Abschied ge¬
nommen, aber rundum zu beiden Seiten des jetzt im Sommer wieder so rein¬
lichen Flttßchens lag noch mancherlei, das ich noch zum letztenmal sehen und
grüßen mußte -- war noch vieles vorhanden, das ich, wenn ich allein oder mit
meiner Frau zu ihm ging, sicherlich auch zum letztenmale sah; denn -- was
konnte mich je wieder nach der Stelle locken, wo (nächsten Monat schon)
Pfisters Mühle einmal gestanden hatte?

Emmy begriff es dann und wann durchaus nicht, wenn ich sie hier und
dort mit hinzog, wo es -- wo es ja eigentlich garnichts zu sehen gab und
wohin auch der Weg eigentlich garnicht hübsch war, zumal bei dem wolken¬
losen Himmel.

Da gab es, zwanzig Minuten von der Mühle und eine halbe Stunde vom
Dorfe entlegen, eine nur mit vereinzelten Büschen bedeckte kuriose Boden-


Pfisters Mühle.

Gebrauch machen. Es handelte sich nur darum, ihn in der ärmlichen Bauern¬
stube, die ihm und seinem Kinde zum letzten Unterschlupf diente, im schlechten
Tagelöhnerarmstuhl hinter dem gottlob warmen Ofen niederzudrücken.

Wie seine Tochter das Leben auffaßte, davon konnte damals nicht die Rede
sein; doch am Nachmittag, es fing eben an zu schneien, führte mich A. A. Asche
noch einmal unter die Kastanienbäume von Pfisters Mühlengarten, faßte mich
an der Schulter, schüttelte mich und sagte:

Das ist ein prächtiges Mädchen, und es scheint mir die höchste Zeit zu
sein, ein wohlhabender Mann zu werden. Entschuldige mich nachher bei deinen
Leuten da drinnen; ich fahre heute Abend noch ab, denn ich halte es wirklich
für die Pflicht der anständigeren Menschen, die Ströme dieser Welt nicht bloß
den andern zu überlassen. Deinem Vater werde ich die ihn betreffende Re-
sumption der Erfahrnisse des gestrigen und heutigen Tages von Berlin aus
schicken. Überlege es dir, überlege es mit ihm, ob es ihm das brave, gute
Herz viel erleichtern wird, wenn er sich damit an einen Advokaten wendet.




Fünfzehntes Blatt.
In versunkenen Ariegesschanzen.

Wie es trotz des Sommersonnenscheins hier schneit auf diese Blätter! Wie
der Nordwind kalt herbläst trotz der Julihitze! Ich aber habe mir ja wohl vor¬
genommen, die Zähne zusammenzubeißen und die Leute nichts merken zu lassen
von meinem innerlichen Frösteln? —

Die Tage in der Mühle schienen immer schöner zu werden, je mehr sie
sich ihrem Ende näherten. Und sie näherten sich unwiderruflich, unwiederbring¬
lich ihrem Ende.

Von dem leeren Hanse, dem toten Rade hatte ich bereits Abschied ge¬
nommen, aber rundum zu beiden Seiten des jetzt im Sommer wieder so rein¬
lichen Flttßchens lag noch mancherlei, das ich noch zum letztenmal sehen und
grüßen mußte — war noch vieles vorhanden, das ich, wenn ich allein oder mit
meiner Frau zu ihm ging, sicherlich auch zum letztenmale sah; denn — was
konnte mich je wieder nach der Stelle locken, wo (nächsten Monat schon)
Pfisters Mühle einmal gestanden hatte?

Emmy begriff es dann und wann durchaus nicht, wenn ich sie hier und
dort mit hinzog, wo es — wo es ja eigentlich garnichts zu sehen gab und
wohin auch der Weg eigentlich garnicht hübsch war, zumal bei dem wolken¬
losen Himmel.

Da gab es, zwanzig Minuten von der Mühle und eine halbe Stunde vom
Dorfe entlegen, eine nur mit vereinzelten Büschen bedeckte kuriose Boden-


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[0437] Pfisters Mühle. Gebrauch machen. Es handelte sich nur darum, ihn in der ärmlichen Bauern¬ stube, die ihm und seinem Kinde zum letzten Unterschlupf diente, im schlechten Tagelöhnerarmstuhl hinter dem gottlob warmen Ofen niederzudrücken. Wie seine Tochter das Leben auffaßte, davon konnte damals nicht die Rede sein; doch am Nachmittag, es fing eben an zu schneien, führte mich A. A. Asche noch einmal unter die Kastanienbäume von Pfisters Mühlengarten, faßte mich an der Schulter, schüttelte mich und sagte: Das ist ein prächtiges Mädchen, und es scheint mir die höchste Zeit zu sein, ein wohlhabender Mann zu werden. Entschuldige mich nachher bei deinen Leuten da drinnen; ich fahre heute Abend noch ab, denn ich halte es wirklich für die Pflicht der anständigeren Menschen, die Ströme dieser Welt nicht bloß den andern zu überlassen. Deinem Vater werde ich die ihn betreffende Re- sumption der Erfahrnisse des gestrigen und heutigen Tages von Berlin aus schicken. Überlege es dir, überlege es mit ihm, ob es ihm das brave, gute Herz viel erleichtern wird, wenn er sich damit an einen Advokaten wendet. Fünfzehntes Blatt. In versunkenen Ariegesschanzen. Wie es trotz des Sommersonnenscheins hier schneit auf diese Blätter! Wie der Nordwind kalt herbläst trotz der Julihitze! Ich aber habe mir ja wohl vor¬ genommen, die Zähne zusammenzubeißen und die Leute nichts merken zu lassen von meinem innerlichen Frösteln? — Die Tage in der Mühle schienen immer schöner zu werden, je mehr sie sich ihrem Ende näherten. Und sie näherten sich unwiderruflich, unwiederbring¬ lich ihrem Ende. Von dem leeren Hanse, dem toten Rade hatte ich bereits Abschied ge¬ nommen, aber rundum zu beiden Seiten des jetzt im Sommer wieder so rein¬ lichen Flttßchens lag noch mancherlei, das ich noch zum letztenmal sehen und grüßen mußte — war noch vieles vorhanden, das ich, wenn ich allein oder mit meiner Frau zu ihm ging, sicherlich auch zum letztenmale sah; denn — was konnte mich je wieder nach der Stelle locken, wo (nächsten Monat schon) Pfisters Mühle einmal gestanden hatte? Emmy begriff es dann und wann durchaus nicht, wenn ich sie hier und dort mit hinzog, wo es — wo es ja eigentlich garnichts zu sehen gab und wohin auch der Weg eigentlich garnicht hübsch war, zumal bei dem wolken¬ losen Himmel. Da gab es, zwanzig Minuten von der Mühle und eine halbe Stunde vom Dorfe entlegen, eine nur mit vereinzelten Büschen bedeckte kuriose Boden-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/437>, abgerufen am 07.05.2024.