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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.
i.

eine Herren! Wenn ich bisher Bedenken getragen habe, das Wort
zu ergreifen, weil Sie das möglicherweise einem, der nicht ge¬
wählt worden ist, ja nicht einmal kandidirt hat, als Unbescheiden-
heit auslegen könnten, so ist diese Besorgnis durch die Rede des
verehrten sogenannten Führers der sogenannten deutschfreisinnigen
Partei in der Reichstagssitzung vom 26. November zerstreut worden. Herr von
Stauffenberg bedauerte, daß der Mittelstand in dem hohen Hause so schwach
vertreten sei, weil dessen Angehörige selten Vermögen genug besitzen, um sich
den Luxus eines Maubads gestatten zu können. Nun gehöre ich zu jenen
weniger gut situirter, und ich glaube daher einen Wunsch des Redners zu
erfüllen, wenn ich mich freiwillig an den Verhandlungen beteilige, und zwar
ohne Anspruch ans Diäten zu erheben, sei es aus den Mitteln des Reiches
(der Steuerzahler, wie man in andern Fällen zu sagen pflegt) oder aus irgend
einem Parteifonds. Denn, das erlaube ich mir sogleich hinzuzufügen, auch Diäten
würden mich nicht in die Lage versetzen, mein Geschäft vier Monate im Jahre
zu vernachlässigen. Und wie mir, ergeht es der ungeheuern Mehrzahl meiner
Mittelstandsgenossen, sodaß durch Einführung der Diäten allein dem -- zu
meiner freudigen Überraschung -- von jener Seite beklagten Mangel an Kauf¬
leuten, Handwerkern und Bauern im Reichstage kaum abzuhelfen sein würde.
Zu meiner freudigen Überraschung, sage ich, denn als die Regierung daranging,
eben jenen Mangel wenigstens indirekt durch den Volkswirtschaftsrat zu be¬
seitigen, erklärten gerade die Liberalen, im Reichstage seien alle Interessen hin¬
länglich vertreten. Die Opposition erweist sich also in diesem Falle, wie in
dem der Kolonien und der Dampfersubvention, der Belehrung weniger unzu¬
gänglich, als sie selbst gern glauben machen will, und man muß nur wünschen,
daß sie auch in Zukunft, und nicht erst unter dem Drucke der Stimmung in
den Wählerkreisen, ebenso bereitwillig vorgefaßte Meinungen und Fraktionsbe¬
schlüsse der besseren Einsicht unterordnen werde. Übrigens hat es ja die, wie
ich der Kürze halber sagen möchte, "klerikalsinnige Koalition" gänzlich in ihrer
Hand, eine angemessenere Zusammensetzung des Reichstages herbeizuführen. Sie
braucht nur unter den Großgrundbesitzern, Großfabrikanten, Professoren, An¬
wälten, Kaplänen, Zeitungsredakteuren u. s. w. ihrer Fraktionen Musterung zu
halten, die Entbehrlichen durch Bauern, Gewerbsleute, Kaufleute zu ersetzen und
diese ausreichend zu entschädigen. Einen Fonds für solche Zwecke besitzen ja
die Freisinnigen eingestandenermaßen, und sollten ihre Bundesgenossen eine
gleiche Einrichtung nicht besitzen, an den erforderlichen Mitteln gebricht es ihnen
gewiß nicht.


Grenzboten 1384. 67
Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.
i.

eine Herren! Wenn ich bisher Bedenken getragen habe, das Wort
zu ergreifen, weil Sie das möglicherweise einem, der nicht ge¬
wählt worden ist, ja nicht einmal kandidirt hat, als Unbescheiden-
heit auslegen könnten, so ist diese Besorgnis durch die Rede des
verehrten sogenannten Führers der sogenannten deutschfreisinnigen
Partei in der Reichstagssitzung vom 26. November zerstreut worden. Herr von
Stauffenberg bedauerte, daß der Mittelstand in dem hohen Hause so schwach
vertreten sei, weil dessen Angehörige selten Vermögen genug besitzen, um sich
den Luxus eines Maubads gestatten zu können. Nun gehöre ich zu jenen
weniger gut situirter, und ich glaube daher einen Wunsch des Redners zu
erfüllen, wenn ich mich freiwillig an den Verhandlungen beteilige, und zwar
ohne Anspruch ans Diäten zu erheben, sei es aus den Mitteln des Reiches
(der Steuerzahler, wie man in andern Fällen zu sagen pflegt) oder aus irgend
einem Parteifonds. Denn, das erlaube ich mir sogleich hinzuzufügen, auch Diäten
würden mich nicht in die Lage versetzen, mein Geschäft vier Monate im Jahre
zu vernachlässigen. Und wie mir, ergeht es der ungeheuern Mehrzahl meiner
Mittelstandsgenossen, sodaß durch Einführung der Diäten allein dem — zu
meiner freudigen Überraschung — von jener Seite beklagten Mangel an Kauf¬
leuten, Handwerkern und Bauern im Reichstage kaum abzuhelfen sein würde.
Zu meiner freudigen Überraschung, sage ich, denn als die Regierung daranging,
eben jenen Mangel wenigstens indirekt durch den Volkswirtschaftsrat zu be¬
seitigen, erklärten gerade die Liberalen, im Reichstage seien alle Interessen hin¬
länglich vertreten. Die Opposition erweist sich also in diesem Falle, wie in
dem der Kolonien und der Dampfersubvention, der Belehrung weniger unzu¬
gänglich, als sie selbst gern glauben machen will, und man muß nur wünschen,
daß sie auch in Zukunft, und nicht erst unter dem Drucke der Stimmung in
den Wählerkreisen, ebenso bereitwillig vorgefaßte Meinungen und Fraktionsbe¬
schlüsse der besseren Einsicht unterordnen werde. Übrigens hat es ja die, wie
ich der Kürze halber sagen möchte, „klerikalsinnige Koalition" gänzlich in ihrer
Hand, eine angemessenere Zusammensetzung des Reichstages herbeizuführen. Sie
braucht nur unter den Großgrundbesitzern, Großfabrikanten, Professoren, An¬
wälten, Kaplänen, Zeitungsredakteuren u. s. w. ihrer Fraktionen Musterung zu
halten, die Entbehrlichen durch Bauern, Gewerbsleute, Kaufleute zu ersetzen und
diese ausreichend zu entschädigen. Einen Fonds für solche Zwecke besitzen ja
die Freisinnigen eingestandenermaßen, und sollten ihre Bundesgenossen eine
gleiche Einrichtung nicht besitzen, an den erforderlichen Mitteln gebricht es ihnen
gewiß nicht.


Grenzboten 1384. 67
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[0537] Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten. i. eine Herren! Wenn ich bisher Bedenken getragen habe, das Wort zu ergreifen, weil Sie das möglicherweise einem, der nicht ge¬ wählt worden ist, ja nicht einmal kandidirt hat, als Unbescheiden- heit auslegen könnten, so ist diese Besorgnis durch die Rede des verehrten sogenannten Führers der sogenannten deutschfreisinnigen Partei in der Reichstagssitzung vom 26. November zerstreut worden. Herr von Stauffenberg bedauerte, daß der Mittelstand in dem hohen Hause so schwach vertreten sei, weil dessen Angehörige selten Vermögen genug besitzen, um sich den Luxus eines Maubads gestatten zu können. Nun gehöre ich zu jenen weniger gut situirter, und ich glaube daher einen Wunsch des Redners zu erfüllen, wenn ich mich freiwillig an den Verhandlungen beteilige, und zwar ohne Anspruch ans Diäten zu erheben, sei es aus den Mitteln des Reiches (der Steuerzahler, wie man in andern Fällen zu sagen pflegt) oder aus irgend einem Parteifonds. Denn, das erlaube ich mir sogleich hinzuzufügen, auch Diäten würden mich nicht in die Lage versetzen, mein Geschäft vier Monate im Jahre zu vernachlässigen. Und wie mir, ergeht es der ungeheuern Mehrzahl meiner Mittelstandsgenossen, sodaß durch Einführung der Diäten allein dem — zu meiner freudigen Überraschung — von jener Seite beklagten Mangel an Kauf¬ leuten, Handwerkern und Bauern im Reichstage kaum abzuhelfen sein würde. Zu meiner freudigen Überraschung, sage ich, denn als die Regierung daranging, eben jenen Mangel wenigstens indirekt durch den Volkswirtschaftsrat zu be¬ seitigen, erklärten gerade die Liberalen, im Reichstage seien alle Interessen hin¬ länglich vertreten. Die Opposition erweist sich also in diesem Falle, wie in dem der Kolonien und der Dampfersubvention, der Belehrung weniger unzu¬ gänglich, als sie selbst gern glauben machen will, und man muß nur wünschen, daß sie auch in Zukunft, und nicht erst unter dem Drucke der Stimmung in den Wählerkreisen, ebenso bereitwillig vorgefaßte Meinungen und Fraktionsbe¬ schlüsse der besseren Einsicht unterordnen werde. Übrigens hat es ja die, wie ich der Kürze halber sagen möchte, „klerikalsinnige Koalition" gänzlich in ihrer Hand, eine angemessenere Zusammensetzung des Reichstages herbeizuführen. Sie braucht nur unter den Großgrundbesitzern, Großfabrikanten, Professoren, An¬ wälten, Kaplänen, Zeitungsredakteuren u. s. w. ihrer Fraktionen Musterung zu halten, die Entbehrlichen durch Bauern, Gewerbsleute, Kaufleute zu ersetzen und diese ausreichend zu entschädigen. Einen Fonds für solche Zwecke besitzen ja die Freisinnigen eingestandenermaßen, und sollten ihre Bundesgenossen eine gleiche Einrichtung nicht besitzen, an den erforderlichen Mitteln gebricht es ihnen gewiß nicht. Grenzboten 1384. 67

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/537>, abgerufen am 08.05.2024.