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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Literatur.

möglich/' Es hatte Mühe gekostet, unsre etwas zu vollen Koffer zu schließen,
und nun saßen wir ein wenig erschöpft auf ihnen einander gegenüber, und plau¬
derten weiter über vergangene Bilder und Tage, und Jungfer Christine Voigt
gab auch ihr kunst- und lebensverständiges Wort darein in der lauen Sommer¬
nacht, In meiner Seele und im Rauch meiner Zigarre war es wieder der
Tag Adam und Eva, der Tag vor dem heiligen Christ, und ich stand wieder
im dichten Nebel an dein Mühlwasser meines Vaters und wieder mit Adam Asche.

Es war zwischen drei und vier Uhr nachmittags; die Abenddämmerung
kroch schon leise heran; zu unsrer Linken ragte das Dach, unter dem Albertine
ihre Tage kümmerlich verlebte, über das kahle Buschwerk, und Asche sagte:

Hintern kann sie uns wohl nicht, ihrem Vater einen Besuch zu machen,
Sie wird dies zwar von meiner Seite taktlos finden; aber bin ich in die Welt
gekommen, um feine Gefühle oder mit Feingefühl zu poussiren? Ich, der Js-
maelit -- unter den Büschen ausgehungert? der wirkliche geflickte Lumpenkönig
mit diesen Pfoten des Kehrichtfegers? Ich, dem mau sein stänkrig Handwerk
auf eine Stunde Weges anriecht? Komm mit, Knabe, es ist mir 'jedenfalls
lieb, daß ich dich vorangehen lassen kann. Es ist lächerlich, aber ich habe eine
schändliche Angst vor jedem Nasenrümpfen des lieben, nobeln Herzensmädels!

Der Nebel war wieder so dicht wie an jenem zweiten Weihnachtstage, wo
wir ausgingen, um Krickerode in ihm zu suchen; und zwanzig Schritte weiter
flußaufwärts blieb der Freund von neuem stehen und brummte:

Was war denn das eben? Dieser Qualm liegt einem nicht bloß vor dem
Auge, sondern auch im Ohr. Kam das aus der Luft, vom Lande oder aus dem
Wasser? , . Du hast es doch auch gehört?

Gewiß. Es war ein kurioser Laut und schien mir von dort her aus der
Richtung der Gärten und Anbauerhäuser zu kommen.

Mir nicht! murmelte Asche, mich hastig weiter aufwärts am Bach durch
das Ufergebüsch mit sich ziehend; -- das Bett von Vater Pfisters Mühlwasser
war wie gewöhnlich um diese Jahreszeit bis zum Rande voll, und die trübe
Flut stand an manchen Stellen bis in den engen Fußpfad hinein.

Noch einmal hielten wir an und horchten --

Dummes Zeug! meinte Asche, und einige Augenblicke später klopften wir
an Doktor Felix Lippoldes Thür in seinem letzten kläglichen Aufenthaltsort
unter den Lebendigen auf dieser Erde. -- (Fortsetzung folgt.)


Literatur.
Die Nationalitätsidee und der Staat. Eine kulturgeschichtliche Studie über den Ein¬
fluß der nationalen Ideen, besonders auf Staaten mit gemischter Bevölkerung. Von Alfred
von Kremer. Wien, Karl Konegen, 188S,

Dieses Buch des durch seine Forschungen auf dem Gebiete orientalischer Ge¬
schichte mehr als durch die Leitung des österreichischen Handelsministeriums (1380/31)


Literatur.

möglich/' Es hatte Mühe gekostet, unsre etwas zu vollen Koffer zu schließen,
und nun saßen wir ein wenig erschöpft auf ihnen einander gegenüber, und plau¬
derten weiter über vergangene Bilder und Tage, und Jungfer Christine Voigt
gab auch ihr kunst- und lebensverständiges Wort darein in der lauen Sommer¬
nacht, In meiner Seele und im Rauch meiner Zigarre war es wieder der
Tag Adam und Eva, der Tag vor dem heiligen Christ, und ich stand wieder
im dichten Nebel an dein Mühlwasser meines Vaters und wieder mit Adam Asche.

Es war zwischen drei und vier Uhr nachmittags; die Abenddämmerung
kroch schon leise heran; zu unsrer Linken ragte das Dach, unter dem Albertine
ihre Tage kümmerlich verlebte, über das kahle Buschwerk, und Asche sagte:

Hintern kann sie uns wohl nicht, ihrem Vater einen Besuch zu machen,
Sie wird dies zwar von meiner Seite taktlos finden; aber bin ich in die Welt
gekommen, um feine Gefühle oder mit Feingefühl zu poussiren? Ich, der Js-
maelit — unter den Büschen ausgehungert? der wirkliche geflickte Lumpenkönig
mit diesen Pfoten des Kehrichtfegers? Ich, dem mau sein stänkrig Handwerk
auf eine Stunde Weges anriecht? Komm mit, Knabe, es ist mir 'jedenfalls
lieb, daß ich dich vorangehen lassen kann. Es ist lächerlich, aber ich habe eine
schändliche Angst vor jedem Nasenrümpfen des lieben, nobeln Herzensmädels!

Der Nebel war wieder so dicht wie an jenem zweiten Weihnachtstage, wo
wir ausgingen, um Krickerode in ihm zu suchen; und zwanzig Schritte weiter
flußaufwärts blieb der Freund von neuem stehen und brummte:

Was war denn das eben? Dieser Qualm liegt einem nicht bloß vor dem
Auge, sondern auch im Ohr. Kam das aus der Luft, vom Lande oder aus dem
Wasser? , . Du hast es doch auch gehört?

Gewiß. Es war ein kurioser Laut und schien mir von dort her aus der
Richtung der Gärten und Anbauerhäuser zu kommen.

Mir nicht! murmelte Asche, mich hastig weiter aufwärts am Bach durch
das Ufergebüsch mit sich ziehend; — das Bett von Vater Pfisters Mühlwasser
war wie gewöhnlich um diese Jahreszeit bis zum Rande voll, und die trübe
Flut stand an manchen Stellen bis in den engen Fußpfad hinein.

Noch einmal hielten wir an und horchten —

Dummes Zeug! meinte Asche, und einige Augenblicke später klopften wir
an Doktor Felix Lippoldes Thür in seinem letzten kläglichen Aufenthaltsort
unter den Lebendigen auf dieser Erde. — (Fortsetzung folgt.)


Literatur.
Die Nationalitätsidee und der Staat. Eine kulturgeschichtliche Studie über den Ein¬
fluß der nationalen Ideen, besonders auf Staaten mit gemischter Bevölkerung. Von Alfred
von Kremer. Wien, Karl Konegen, 188S,

Dieses Buch des durch seine Forschungen auf dem Gebiete orientalischer Ge¬
schichte mehr als durch die Leitung des österreichischen Handelsministeriums (1380/31)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/550>, abgerufen am 07.05.2024.