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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal.

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^^/^^nsre Kinder, deren Geburt schon auswärtigen Freunden durch
Telegramm gemeldet wurde, die schon im frühesten Alter ansehn¬
liche Reisen mit der Eisenbahn machten, die gewohnt sind, jeden
Augenblick in einen Fiaker zu steigen, auf gutem Trottoir zu
gehen, für zehn Pfennige bis an die Grenzen der Türkei und für
zwanzig fast in die ganze Welt zu korrespondiren, die nur ein Maß, ein Ge¬
wicht und eine Münze kennen, die geneigt sind, die Nase zu rümpfen, wenn
das Gas zögert, dem elektrischen Lichte zu weichen -- diese unsre Kinder staunen,
wenn wir ihnen von den Zuständen zur Zeit unsrer Jugend erzählen.

Als mein Vater von Frankfurt nach Bremen in die Fremde ging (wie
man das nannte), reiste er zu Pferd mit aufgeschnalltem Mantelsacke; ein ver¬
storbener älterer Bruder erhielt 1833 zur Reise nach Darmstadt einen Paß auf
einen Tag giltig, den ich noch besitze; ich selbst zog 1842 auf die Universität
nach Tübingen mit dem Hauderer und sonstigen abenteuerlichen Gelegenheiten;
1343 reiste ich mit dem Eilwagen nach Leipzig und 184S mit der Mallepost
nach Paris. Dort mußte ich vierzehn Tage vorher einen Platz in der Malle¬
post nach Straßburg belegen, denn es ging dorthin täglich nur ein zweisitziger
Wagen! Bis zum Jahre 1833 wurden die Thore der Stadt im Sommer um
acht Uhr, im Winter um sieben Uhr geschlossen. Es bedürfte eines Auf¬
standes, der mehrere Menschenleben kostete, um der Thorsperre ein Ende zu
machen.

Als ich Primaner war, gab es noch keine Gasbeleuchtung in Frankfurt.
Zu derselben Zeit (1842) wurden dort fünfundzwanzig Fiaker konzesstonirt; aber
das Publikum benutzte sie nicht, und sie standen den ganzen Tag über müßig
auf dem Römerberg. Das Briefporto war sehr hoch und wurde nach jedem
Orte hin anders berechnet. Das Frankiren war nicht allgemein üblich, und in
den bessern Ständen galt es für unschicklich. Nach Rußland mußte man franko
Grenze schreiben. Es gab weder Papiergeld noch Banknoten, die allgemeinen
Kurs hatten. Die preußischen Thalerscheine wurden außer Landes nur ungern
und unter pari genommen; die mitteldeutschen sogenannten wilden Scheine waren
der Schrecken von jedermann. Von Gold waren preußische, braunschweigische,
hannoverische, holländische, französische und österreichische Stücke im Umlauf,
und jedes hatte einen besondern Kurs. Das eigentliche Umlaufsgeld war Silber,
und zwar von der größten Mannichfaltigkeit. Es gab preußische und sonstige
norddeutsche ^, '/g, ^, ^z, -/^ und ^" Thaler, Silbergroschen und gute


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^^/^^nsre Kinder, deren Geburt schon auswärtigen Freunden durch
Telegramm gemeldet wurde, die schon im frühesten Alter ansehn¬
liche Reisen mit der Eisenbahn machten, die gewohnt sind, jeden
Augenblick in einen Fiaker zu steigen, auf gutem Trottoir zu
gehen, für zehn Pfennige bis an die Grenzen der Türkei und für
zwanzig fast in die ganze Welt zu korrespondiren, die nur ein Maß, ein Ge¬
wicht und eine Münze kennen, die geneigt sind, die Nase zu rümpfen, wenn
das Gas zögert, dem elektrischen Lichte zu weichen — diese unsre Kinder staunen,
wenn wir ihnen von den Zuständen zur Zeit unsrer Jugend erzählen.

Als mein Vater von Frankfurt nach Bremen in die Fremde ging (wie
man das nannte), reiste er zu Pferd mit aufgeschnalltem Mantelsacke; ein ver¬
storbener älterer Bruder erhielt 1833 zur Reise nach Darmstadt einen Paß auf
einen Tag giltig, den ich noch besitze; ich selbst zog 1842 auf die Universität
nach Tübingen mit dem Hauderer und sonstigen abenteuerlichen Gelegenheiten;
1343 reiste ich mit dem Eilwagen nach Leipzig und 184S mit der Mallepost
nach Paris. Dort mußte ich vierzehn Tage vorher einen Platz in der Malle¬
post nach Straßburg belegen, denn es ging dorthin täglich nur ein zweisitziger
Wagen! Bis zum Jahre 1833 wurden die Thore der Stadt im Sommer um
acht Uhr, im Winter um sieben Uhr geschlossen. Es bedürfte eines Auf¬
standes, der mehrere Menschenleben kostete, um der Thorsperre ein Ende zu
machen.

Als ich Primaner war, gab es noch keine Gasbeleuchtung in Frankfurt.
Zu derselben Zeit (1842) wurden dort fünfundzwanzig Fiaker konzesstonirt; aber
das Publikum benutzte sie nicht, und sie standen den ganzen Tag über müßig
auf dem Römerberg. Das Briefporto war sehr hoch und wurde nach jedem
Orte hin anders berechnet. Das Frankiren war nicht allgemein üblich, und in
den bessern Ständen galt es für unschicklich. Nach Rußland mußte man franko
Grenze schreiben. Es gab weder Papiergeld noch Banknoten, die allgemeinen
Kurs hatten. Die preußischen Thalerscheine wurden außer Landes nur ungern
und unter pari genommen; die mitteldeutschen sogenannten wilden Scheine waren
der Schrecken von jedermann. Von Gold waren preußische, braunschweigische,
hannoverische, holländische, französische und österreichische Stücke im Umlauf,
und jedes hatte einen besondern Kurs. Das eigentliche Umlaufsgeld war Silber,
und zwar von der größten Mannichfaltigkeit. Es gab preußische und sonstige
norddeutsche ^, '/g, ^, ^z, -/^ und ^„ Thaler, Silbergroschen und gute


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[0140] Aus dem Reisetagebuche einer Dame vom ^)ahre ^765 »-.»^»M-M ^ ^^/^^nsre Kinder, deren Geburt schon auswärtigen Freunden durch Telegramm gemeldet wurde, die schon im frühesten Alter ansehn¬ liche Reisen mit der Eisenbahn machten, die gewohnt sind, jeden Augenblick in einen Fiaker zu steigen, auf gutem Trottoir zu gehen, für zehn Pfennige bis an die Grenzen der Türkei und für zwanzig fast in die ganze Welt zu korrespondiren, die nur ein Maß, ein Ge¬ wicht und eine Münze kennen, die geneigt sind, die Nase zu rümpfen, wenn das Gas zögert, dem elektrischen Lichte zu weichen — diese unsre Kinder staunen, wenn wir ihnen von den Zuständen zur Zeit unsrer Jugend erzählen. Als mein Vater von Frankfurt nach Bremen in die Fremde ging (wie man das nannte), reiste er zu Pferd mit aufgeschnalltem Mantelsacke; ein ver¬ storbener älterer Bruder erhielt 1833 zur Reise nach Darmstadt einen Paß auf einen Tag giltig, den ich noch besitze; ich selbst zog 1842 auf die Universität nach Tübingen mit dem Hauderer und sonstigen abenteuerlichen Gelegenheiten; 1343 reiste ich mit dem Eilwagen nach Leipzig und 184S mit der Mallepost nach Paris. Dort mußte ich vierzehn Tage vorher einen Platz in der Malle¬ post nach Straßburg belegen, denn es ging dorthin täglich nur ein zweisitziger Wagen! Bis zum Jahre 1833 wurden die Thore der Stadt im Sommer um acht Uhr, im Winter um sieben Uhr geschlossen. Es bedürfte eines Auf¬ standes, der mehrere Menschenleben kostete, um der Thorsperre ein Ende zu machen. Als ich Primaner war, gab es noch keine Gasbeleuchtung in Frankfurt. Zu derselben Zeit (1842) wurden dort fünfundzwanzig Fiaker konzesstonirt; aber das Publikum benutzte sie nicht, und sie standen den ganzen Tag über müßig auf dem Römerberg. Das Briefporto war sehr hoch und wurde nach jedem Orte hin anders berechnet. Das Frankiren war nicht allgemein üblich, und in den bessern Ständen galt es für unschicklich. Nach Rußland mußte man franko Grenze schreiben. Es gab weder Papiergeld noch Banknoten, die allgemeinen Kurs hatten. Die preußischen Thalerscheine wurden außer Landes nur ungern und unter pari genommen; die mitteldeutschen sogenannten wilden Scheine waren der Schrecken von jedermann. Von Gold waren preußische, braunschweigische, hannoverische, holländische, französische und österreichische Stücke im Umlauf, und jedes hatte einen besondern Kurs. Das eigentliche Umlaufsgeld war Silber, und zwar von der größten Mannichfaltigkeit. Es gab preußische und sonstige norddeutsche ^, '/g, ^, ^z, -/^ und ^„ Thaler, Silbergroschen und gute

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/140>, abgerufen am 03.05.2024.