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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal.

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Literatur.

Anschauungen aufwachsen muß, um nicht später den Einflüssen der staatsfeindlichen
Elemente gar zu leicht zu unterliegen.

Was die Rekrutirung des Lehrerstandes betrifft, so wird vielfach darüber
geklagt, daß die Lehrer zu jung ins Amt kommen und für die Anfechtungen des
Lebens dann noch zu unreif sind. Das hat manches für sich. Man sollte deshalb
die jungen Leute erst uach vollständiger Erfüllung der Militärpflicht in das Amt
einsetzen und sie vor der definitiven Anstellung noch einen seminaristischen Wieder¬
holungskursus durchmachen lassen. Dann würden sie sowohl mit den erforderlichen
Kenntnissen, als auch mit den richtigen Begriffen von Gehorsam und Disziplin
ausgerüstet in das Amt eintreten, denn wer erziehen will, muß erst selbst er¬
zogen sein. Gerade dem "gedienten" Lehrer sollte man bei den Anstellungen überall
den Vorzug einräumen, dann würde der jetzt oft so empfindliche Lehrermangel schon
aufhören. Die weitere Ausführung dieses Gedankens in betreff der Zivilversorgungs-
bercchtigungen wollen wir vorläufig dem Nachdenken des vorurteilsfreien Lesers
überlassen.




Literatur.
Das deutsche Volkstum und seine nationale Zukunft. Betrachtungen eines Laien
über eine nationale und praktische Politik der Gegenwart. Von Amtsrichter Dr. Rein-
hold. Minden i. W., Bruns' Verlag, 1383. 473 S.

Es giebt namentlich in den gebildeten Ständen eine Menge von Leuten,
welche mit den politischen Zuständen im neuen deutschen Reich unzufrieden sind,
es beklagen, daß eine große Mehrzahl der Nation so schnell das große Einigungs¬
werk vergessen hat, daß sich der Partikularismus wieder breit macht, die gedanken¬
lose Phrase vorherrscht und ein unfruchtbarer Parlamentarismus die praktischen,
sichern und selbstbewußten Ziele unsers großen Staatsmannes mit kleinlichen
Mitteln zu vereiteln bestrebt ist. Pessimisten dieser Art sind keine Parteimänner,
im Gegenteil, sie haben an jeder einzelnen Fraktion und Gruppe etwas auszusetzen,
und so kommt es denn, daß das vorliegende Buch, soviel wir haben sehen können,
gänzlich totgeschwiegen wurde. Denn in dieser Beziehung ist die deutsche Tages¬
presse einig, so sehr sie auch sonst miteinander in Fehde liegt. Wer nicht in das
Parteihorn bläst, gilt als abgethan, und wer gar gegen alle Parteien auftritt, der
wird von allen zu den Toten geworfen. Ein solches Schicksal verdient das
vorliegende Buch durchaus nicht, obwohl der Verfasser, nach dem begeisterten Ton,
den er anschlägt, den Wert desselben zu überschätzen scheint. Es ist ganz gut,
wenn ein gebildeter Mann nach den eingangs geschilderten Motiven ein Bild
unsers Volkes namentlich in politischer Richtung entwirft und demselben einen
Spiegel Vorhalt, aus dem uicht gerade schöne Züge zurückstrahlen. Aber in den
Einzelschilderungen ist der Verfasser zu sehr ins Breite gegangen, denn für die¬
jenigen, die seine Ansicht auch nur im allgemeinen teilen, braucht es diese Aus¬
führungen nicht, und der großen Menge gegenüber ist nicht die Quantität der
Gründe maßgebend. In Einzelnheiten müßte dem Verfasser vielfach entgegen¬
getreten werden, und es würde auch nicht schwer werden, ihm sein erstes Ideal,


Literatur.

Anschauungen aufwachsen muß, um nicht später den Einflüssen der staatsfeindlichen
Elemente gar zu leicht zu unterliegen.

Was die Rekrutirung des Lehrerstandes betrifft, so wird vielfach darüber
geklagt, daß die Lehrer zu jung ins Amt kommen und für die Anfechtungen des
Lebens dann noch zu unreif sind. Das hat manches für sich. Man sollte deshalb
die jungen Leute erst uach vollständiger Erfüllung der Militärpflicht in das Amt
einsetzen und sie vor der definitiven Anstellung noch einen seminaristischen Wieder¬
holungskursus durchmachen lassen. Dann würden sie sowohl mit den erforderlichen
Kenntnissen, als auch mit den richtigen Begriffen von Gehorsam und Disziplin
ausgerüstet in das Amt eintreten, denn wer erziehen will, muß erst selbst er¬
zogen sein. Gerade dem „gedienten" Lehrer sollte man bei den Anstellungen überall
den Vorzug einräumen, dann würde der jetzt oft so empfindliche Lehrermangel schon
aufhören. Die weitere Ausführung dieses Gedankens in betreff der Zivilversorgungs-
bercchtigungen wollen wir vorläufig dem Nachdenken des vorurteilsfreien Lesers
überlassen.




Literatur.
Das deutsche Volkstum und seine nationale Zukunft. Betrachtungen eines Laien
über eine nationale und praktische Politik der Gegenwart. Von Amtsrichter Dr. Rein-
hold. Minden i. W., Bruns' Verlag, 1383. 473 S.

Es giebt namentlich in den gebildeten Ständen eine Menge von Leuten,
welche mit den politischen Zuständen im neuen deutschen Reich unzufrieden sind,
es beklagen, daß eine große Mehrzahl der Nation so schnell das große Einigungs¬
werk vergessen hat, daß sich der Partikularismus wieder breit macht, die gedanken¬
lose Phrase vorherrscht und ein unfruchtbarer Parlamentarismus die praktischen,
sichern und selbstbewußten Ziele unsers großen Staatsmannes mit kleinlichen
Mitteln zu vereiteln bestrebt ist. Pessimisten dieser Art sind keine Parteimänner,
im Gegenteil, sie haben an jeder einzelnen Fraktion und Gruppe etwas auszusetzen,
und so kommt es denn, daß das vorliegende Buch, soviel wir haben sehen können,
gänzlich totgeschwiegen wurde. Denn in dieser Beziehung ist die deutsche Tages¬
presse einig, so sehr sie auch sonst miteinander in Fehde liegt. Wer nicht in das
Parteihorn bläst, gilt als abgethan, und wer gar gegen alle Parteien auftritt, der
wird von allen zu den Toten geworfen. Ein solches Schicksal verdient das
vorliegende Buch durchaus nicht, obwohl der Verfasser, nach dem begeisterten Ton,
den er anschlägt, den Wert desselben zu überschätzen scheint. Es ist ganz gut,
wenn ein gebildeter Mann nach den eingangs geschilderten Motiven ein Bild
unsers Volkes namentlich in politischer Richtung entwirft und demselben einen
Spiegel Vorhalt, aus dem uicht gerade schöne Züge zurückstrahlen. Aber in den
Einzelschilderungen ist der Verfasser zu sehr ins Breite gegangen, denn für die¬
jenigen, die seine Ansicht auch nur im allgemeinen teilen, braucht es diese Aus¬
führungen nicht, und der großen Menge gegenüber ist nicht die Quantität der
Gründe maßgebend. In Einzelnheiten müßte dem Verfasser vielfach entgegen¬
getreten werden, und es würde auch nicht schwer werden, ihm sein erstes Ideal,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/206>, abgerufen am 02.05.2024.