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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal.

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Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.
i.

el der Schilderung der Kämpfe, welche zum Passauer Vertrage
und zum Augsburger Religionsfrieden von 1555 geführt haben,
spricht der große Altmeister der deutschen Geschichtschreibung Leo¬
pold von Ranke das kurze, aber gewichtige Wort: "So viel hatte
Karl V. doch bewirkt, beiß^sich der protestantische Geist nicht der
ganzen deutschen Nation und ihrer großen Institute bemächtigen konnte." Er
eröffnet damit die Perspektive auf die Tage der Gegenreformation und des
dreißigjährigen Krieges, aus die dauernde Trennung der Nation, welche in ge¬
wissen glücklichen Momenten zur Parität gewandelt, in vielen andern mit dem
Mantel der Parität nur schlecht verhüllt worden ist. Er deutet auf Jahrhunderte
lange Kämpfe, welche seitdem jede Periode der deutschen Kultur begleitet haben
und deren Ernst und Tiefe dem heute lebenden Geschlecht in tausendfacher Art
wieder zum Bewußtsein kommen sollte. Er stellt damit fest, daß neben der
wesentlich aus protestantischen Geiste stammenden Entwicklung der deutschen
Dichtung und der deutschen Wissenschaft eine Seitenentwicklung stattfinden
mußte, die, in ihrer eigentümlichen Bedeutung viel zu wenig beachtet, gleichwohl
nicht einflußlos geblieben und in jüngster Zeit zu steigendem Einfluß gelangt ist.

Die Geschichte der deutschen Literatur verzeichnet eine Reihe von katholischen
Dichtern, unter denen sich eine bedenklich große Zahl von Konvertiten befindet,
aber selten hat man Zeit gefunden die jeweilige Stellung dieser Dichter zum
politischen und gesellschaftlichen Dasein, die besondre Beziehung derselben zu den
eben vorherrschenden Kulturaufgaben unsers Volkes schärfer ins Auge zu fassen.
In der Gewißheit, daß die Hanptentwicklung von protestantischer Seite ausgehe
und daß der Anteil der deutschen Katholiken an den höchsten literarischen
Leistungen und Schöpfungen nicht einmal im Verhältnisse zu ihrer Zahl stehe,
glaubte man eine Bürgschaft für alle Zukunft zu erblicken. Man ließ mehr
oder minder außer Acht, daß im Verlaufe der Jahrhunderte und -- bei dem
raschem Tempo der modernen Entwicklung -- der Jahrzehnte eine Verstärkung
des Gewichts der katholischen Elemente eintreten mußte. Man vergegenwärtigte
sich nicht, daß auch fremde Bäume, denen anfänglich Boden, Luft und Wasser
Widerstand leisten, am Ende Wurzel fassen können und daß. wenn sie einmal
feststehen und ihre Krone entfalten, sich jederzeit Leute finden werden, die ihren
Schatten erquicklicher und ihren Duft würziger finden als den aller andern
Bäume des Gartens.


Grenzboten et. 1834. 29
Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.
i.

el der Schilderung der Kämpfe, welche zum Passauer Vertrage
und zum Augsburger Religionsfrieden von 1555 geführt haben,
spricht der große Altmeister der deutschen Geschichtschreibung Leo¬
pold von Ranke das kurze, aber gewichtige Wort: „So viel hatte
Karl V. doch bewirkt, beiß^sich der protestantische Geist nicht der
ganzen deutschen Nation und ihrer großen Institute bemächtigen konnte." Er
eröffnet damit die Perspektive auf die Tage der Gegenreformation und des
dreißigjährigen Krieges, aus die dauernde Trennung der Nation, welche in ge¬
wissen glücklichen Momenten zur Parität gewandelt, in vielen andern mit dem
Mantel der Parität nur schlecht verhüllt worden ist. Er deutet auf Jahrhunderte
lange Kämpfe, welche seitdem jede Periode der deutschen Kultur begleitet haben
und deren Ernst und Tiefe dem heute lebenden Geschlecht in tausendfacher Art
wieder zum Bewußtsein kommen sollte. Er stellt damit fest, daß neben der
wesentlich aus protestantischen Geiste stammenden Entwicklung der deutschen
Dichtung und der deutschen Wissenschaft eine Seitenentwicklung stattfinden
mußte, die, in ihrer eigentümlichen Bedeutung viel zu wenig beachtet, gleichwohl
nicht einflußlos geblieben und in jüngster Zeit zu steigendem Einfluß gelangt ist.

Die Geschichte der deutschen Literatur verzeichnet eine Reihe von katholischen
Dichtern, unter denen sich eine bedenklich große Zahl von Konvertiten befindet,
aber selten hat man Zeit gefunden die jeweilige Stellung dieser Dichter zum
politischen und gesellschaftlichen Dasein, die besondre Beziehung derselben zu den
eben vorherrschenden Kulturaufgaben unsers Volkes schärfer ins Auge zu fassen.
In der Gewißheit, daß die Hanptentwicklung von protestantischer Seite ausgehe
und daß der Anteil der deutschen Katholiken an den höchsten literarischen
Leistungen und Schöpfungen nicht einmal im Verhältnisse zu ihrer Zahl stehe,
glaubte man eine Bürgschaft für alle Zukunft zu erblicken. Man ließ mehr
oder minder außer Acht, daß im Verlaufe der Jahrhunderte und — bei dem
raschem Tempo der modernen Entwicklung — der Jahrzehnte eine Verstärkung
des Gewichts der katholischen Elemente eintreten mußte. Man vergegenwärtigte
sich nicht, daß auch fremde Bäume, denen anfänglich Boden, Luft und Wasser
Widerstand leisten, am Ende Wurzel fassen können und daß. wenn sie einmal
feststehen und ihre Krone entfalten, sich jederzeit Leute finden werden, die ihren
Schatten erquicklicher und ihren Duft würziger finden als den aller andern
Bäume des Gartens.


Grenzboten et. 1834. 29
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[0233] Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur. i. el der Schilderung der Kämpfe, welche zum Passauer Vertrage und zum Augsburger Religionsfrieden von 1555 geführt haben, spricht der große Altmeister der deutschen Geschichtschreibung Leo¬ pold von Ranke das kurze, aber gewichtige Wort: „So viel hatte Karl V. doch bewirkt, beiß^sich der protestantische Geist nicht der ganzen deutschen Nation und ihrer großen Institute bemächtigen konnte." Er eröffnet damit die Perspektive auf die Tage der Gegenreformation und des dreißigjährigen Krieges, aus die dauernde Trennung der Nation, welche in ge¬ wissen glücklichen Momenten zur Parität gewandelt, in vielen andern mit dem Mantel der Parität nur schlecht verhüllt worden ist. Er deutet auf Jahrhunderte lange Kämpfe, welche seitdem jede Periode der deutschen Kultur begleitet haben und deren Ernst und Tiefe dem heute lebenden Geschlecht in tausendfacher Art wieder zum Bewußtsein kommen sollte. Er stellt damit fest, daß neben der wesentlich aus protestantischen Geiste stammenden Entwicklung der deutschen Dichtung und der deutschen Wissenschaft eine Seitenentwicklung stattfinden mußte, die, in ihrer eigentümlichen Bedeutung viel zu wenig beachtet, gleichwohl nicht einflußlos geblieben und in jüngster Zeit zu steigendem Einfluß gelangt ist. Die Geschichte der deutschen Literatur verzeichnet eine Reihe von katholischen Dichtern, unter denen sich eine bedenklich große Zahl von Konvertiten befindet, aber selten hat man Zeit gefunden die jeweilige Stellung dieser Dichter zum politischen und gesellschaftlichen Dasein, die besondre Beziehung derselben zu den eben vorherrschenden Kulturaufgaben unsers Volkes schärfer ins Auge zu fassen. In der Gewißheit, daß die Hanptentwicklung von protestantischer Seite ausgehe und daß der Anteil der deutschen Katholiken an den höchsten literarischen Leistungen und Schöpfungen nicht einmal im Verhältnisse zu ihrer Zahl stehe, glaubte man eine Bürgschaft für alle Zukunft zu erblicken. Man ließ mehr oder minder außer Acht, daß im Verlaufe der Jahrhunderte und — bei dem raschem Tempo der modernen Entwicklung — der Jahrzehnte eine Verstärkung des Gewichts der katholischen Elemente eintreten mußte. Man vergegenwärtigte sich nicht, daß auch fremde Bäume, denen anfänglich Boden, Luft und Wasser Widerstand leisten, am Ende Wurzel fassen können und daß. wenn sie einmal feststehen und ihre Krone entfalten, sich jederzeit Leute finden werden, die ihren Schatten erquicklicher und ihren Duft würziger finden als den aller andern Bäume des Gartens. Grenzboten et. 1834. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/233>, abgerufen am 02.05.2024.