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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal.

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Her musikalische Gottesdienst der protestantischen Gemeinde.

führn? müsse. Gewiß. Aber das Gefühl will genährt und auf seiner Höhe er¬
halten werden. Geschieht dies nun innerhalb des protestantischen Kultus in
wünschenswerten Umfange? Da für uns nur das Musikalische in Frage kommt:
wo treffen wir denn die beste Kirchenmusik? Man sollte doch meinen, in der^
Kirche? Durchaus uicht. Im Konzertsaal (zu welchem hin und wieder die Kirche '
allerdings auch selbst dienen muß). Die kirchliche Musik hat. um sich nicht auf¬
geben zu müssen, ihre eigne Bahn, abgesondert vom Kultus, eingeschlagen und
befindet sich dabei wohl, dient aber freilich nun weniger mehr der eigentlich
kirchlichen, als der spezifisch musikalischen Erbauung. Weitaus der größte Teil
der protestantischen Kirchenkomponisten schreibt seine Sachen garnicht mehr für
den Gottesdienst, und tritt einmal das Bedürfnis an einen der begabtern
Geister, ein Werk zu liefern für praktisch ritnale Zwecke, dann schreibt er --
eine Messe ein Requiem, eine Vesper oder dergl,, geeignet für den protestantischen
Konzert-, für den katholischen Kirchengebrauch. Wir wissen ja, daß die katholische
Kirche in dieser Hinsicht protestantischen Komponisten auch in der neuesten Zeit
sehr bedeutendes verdankt, obwohl wir nicht verbürgen können, daß sie solche
Frucht von häretischer Abkunft dankend acceptirt.


I. Die Musik innerhalb des protestantischen Aultus.

Allein zurückgeblieben ist die Musik in der Kirche der Protestanten den¬
noch -- einem Teile nach; nämlich, abgesehen von den in ihrer Bedeutungs¬
losigkeit bisher unübertrefflichen liturgischen Anläufen, deren Ausführung wenige
Minuten beansprucht, in dem Choralgesang und dem Orgelspiel und in der
gemeinsamen Wirksamkeit beider.

Die protestantische Kirche verachtet die Mitwirkung der Tonkunst bei der
Verehrung Gottes uicht. Aber sie weist ihr mit einer vornehmen Rigoristik
zunächst quantitativ allerhöchstes eine Art von Gleichberechtigung mit dem
rednerischen Elemente zu, ja sagen wir es gerade heraus -- was die Ordner
des ritualen Wesens natürlich nicht sagen, was aber thatsächlich umsomehr in
die Angen (oder ins Gehör) springt -- sie duldet die Musik nur in cmbetracht
ihrer praktischen Verwendbarkeit zur Ausfüllung der Zeit, während welcher nicht
gesprochen werden kann, sowie zur Einkleidung der Liturgie, von welcher nun
einmal die unabweisbare Überlieferung bezeugt, daß sie bereits in der urchrist-
licher Zeit bestand und musikalisch vollzogen wurde. Das klingt hart, es
verhält sich aber in Wahrheit nicht anders.

Indem die Kirche die Präponderanz des gesprochenen Wortes in seiner
angeblich überlegnen Bedeutung für religiöse Erbauung -- für Belehrung ist
sie ja selbstverständlich -- statuirt, liegt ihr vollends eine Begünstigung des
musikalischen Teiles des Gottesdienstes erheblich ferner als ihrer Schwesterkirche.
Welchem Elemente innerhalb des protestantischen Kultus, dem rednerischen oder
dem musikalischen, der Preis durchschnittlicher qualitativer Überlegenheit müsse


Her musikalische Gottesdienst der protestantischen Gemeinde.

führn? müsse. Gewiß. Aber das Gefühl will genährt und auf seiner Höhe er¬
halten werden. Geschieht dies nun innerhalb des protestantischen Kultus in
wünschenswerten Umfange? Da für uns nur das Musikalische in Frage kommt:
wo treffen wir denn die beste Kirchenmusik? Man sollte doch meinen, in der^
Kirche? Durchaus uicht. Im Konzertsaal (zu welchem hin und wieder die Kirche '
allerdings auch selbst dienen muß). Die kirchliche Musik hat. um sich nicht auf¬
geben zu müssen, ihre eigne Bahn, abgesondert vom Kultus, eingeschlagen und
befindet sich dabei wohl, dient aber freilich nun weniger mehr der eigentlich
kirchlichen, als der spezifisch musikalischen Erbauung. Weitaus der größte Teil
der protestantischen Kirchenkomponisten schreibt seine Sachen garnicht mehr für
den Gottesdienst, und tritt einmal das Bedürfnis an einen der begabtern
Geister, ein Werk zu liefern für praktisch ritnale Zwecke, dann schreibt er —
eine Messe ein Requiem, eine Vesper oder dergl,, geeignet für den protestantischen
Konzert-, für den katholischen Kirchengebrauch. Wir wissen ja, daß die katholische
Kirche in dieser Hinsicht protestantischen Komponisten auch in der neuesten Zeit
sehr bedeutendes verdankt, obwohl wir nicht verbürgen können, daß sie solche
Frucht von häretischer Abkunft dankend acceptirt.


I. Die Musik innerhalb des protestantischen Aultus.

Allein zurückgeblieben ist die Musik in der Kirche der Protestanten den¬
noch — einem Teile nach; nämlich, abgesehen von den in ihrer Bedeutungs¬
losigkeit bisher unübertrefflichen liturgischen Anläufen, deren Ausführung wenige
Minuten beansprucht, in dem Choralgesang und dem Orgelspiel und in der
gemeinsamen Wirksamkeit beider.

Die protestantische Kirche verachtet die Mitwirkung der Tonkunst bei der
Verehrung Gottes uicht. Aber sie weist ihr mit einer vornehmen Rigoristik
zunächst quantitativ allerhöchstes eine Art von Gleichberechtigung mit dem
rednerischen Elemente zu, ja sagen wir es gerade heraus — was die Ordner
des ritualen Wesens natürlich nicht sagen, was aber thatsächlich umsomehr in
die Angen (oder ins Gehör) springt — sie duldet die Musik nur in cmbetracht
ihrer praktischen Verwendbarkeit zur Ausfüllung der Zeit, während welcher nicht
gesprochen werden kann, sowie zur Einkleidung der Liturgie, von welcher nun
einmal die unabweisbare Überlieferung bezeugt, daß sie bereits in der urchrist-
licher Zeit bestand und musikalisch vollzogen wurde. Das klingt hart, es
verhält sich aber in Wahrheit nicht anders.

Indem die Kirche die Präponderanz des gesprochenen Wortes in seiner
angeblich überlegnen Bedeutung für religiöse Erbauung — für Belehrung ist
sie ja selbstverständlich — statuirt, liegt ihr vollends eine Begünstigung des
musikalischen Teiles des Gottesdienstes erheblich ferner als ihrer Schwesterkirche.
Welchem Elemente innerhalb des protestantischen Kultus, dem rednerischen oder
dem musikalischen, der Preis durchschnittlicher qualitativer Überlegenheit müsse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/288>, abgerufen am 03.05.2024.