Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Engel auf Grden.
Roman von Viktor Bersozio. Aus dem Italienischen. (Fortsetzung.) 4.

M^>^
MVim war von hohem Wuchs, in ihrer Haltung ungezwungen, bei an-
geborner Reserve und elegant ohne jedes Studium. Die ganze
Gestalt war in der kunstvollsten Weise nach dem Typus der
griechischen Formen modellirt, jener Formen, welche in ihrem
ganzen Zusammenhange so harmonisch zu einander stimmen, daß
ein ungeübtes Auge den Inbegriff dieser Vollkommenheit garnicht spürt, weil
sich demi Blicke nichts hervorspringendes und überraschendes darbietet. Ein
Körper, biegsam wie eine Stahlklinge, mit schlankster Taille, von unvergleich¬
licher Schönheit in der Zeichnung der Schultern, der Wölbung des züchtig
verhüllten Busens. Ein Körper, wie man ihn nur bei den vollkommensten
Bildungen des italienischen Blutes findet, die sich von der trocknen britischen
Strenge und von der deutschen Gemessenheit ebensoweit entfernen wie von der
Dürftigkeit, wenn man so sagen darf, und von der Unstetigkeit französischer
Formen, und in denen sich in wunderbarster Harmonie Würde und Anmut,
Hoheit und Unbefangenheit zu einem bezaubernden Gesamtbilde vereinen.

Sie war bleich, hatte schwarze Augen, kohlschwarzes Haar, ihr Blick und der
Ausdruck ihrer nur schwachgefärbten Lippen war schwermütig. Aber die Augen
leuchteten wie zwei brennende Flammen unter der weißen Stirn, die ebenso
glatt war wie die eines unschuldigen Kindes, und die in ihrer Reinheit und
Schönheit eigens dazu geschaffen zu sein schien, einen Geist zu beherbergen, in
welchem nie und nimmer ein böser Gedanke auftauchen kann. Aber in dem
Ausdrucke ihrer Gesichtszüge, in der darüber ausgebreiteten Schwermut, in der




Die Engel auf Grden.
Roman von Viktor Bersozio. Aus dem Italienischen. (Fortsetzung.) 4.

M^>^
MVim war von hohem Wuchs, in ihrer Haltung ungezwungen, bei an-
geborner Reserve und elegant ohne jedes Studium. Die ganze
Gestalt war in der kunstvollsten Weise nach dem Typus der
griechischen Formen modellirt, jener Formen, welche in ihrem
ganzen Zusammenhange so harmonisch zu einander stimmen, daß
ein ungeübtes Auge den Inbegriff dieser Vollkommenheit garnicht spürt, weil
sich demi Blicke nichts hervorspringendes und überraschendes darbietet. Ein
Körper, biegsam wie eine Stahlklinge, mit schlankster Taille, von unvergleich¬
licher Schönheit in der Zeichnung der Schultern, der Wölbung des züchtig
verhüllten Busens. Ein Körper, wie man ihn nur bei den vollkommensten
Bildungen des italienischen Blutes findet, die sich von der trocknen britischen
Strenge und von der deutschen Gemessenheit ebensoweit entfernen wie von der
Dürftigkeit, wenn man so sagen darf, und von der Unstetigkeit französischer
Formen, und in denen sich in wunderbarster Harmonie Würde und Anmut,
Hoheit und Unbefangenheit zu einem bezaubernden Gesamtbilde vereinen.

Sie war bleich, hatte schwarze Augen, kohlschwarzes Haar, ihr Blick und der
Ausdruck ihrer nur schwachgefärbten Lippen war schwermütig. Aber die Augen
leuchteten wie zwei brennende Flammen unter der weißen Stirn, die ebenso
glatt war wie die eines unschuldigen Kindes, und die in ihrer Reinheit und
Schönheit eigens dazu geschaffen zu sein schien, einen Geist zu beherbergen, in
welchem nie und nimmer ein böser Gedanke auftauchen kann. Aber in dem
Ausdrucke ihrer Gesichtszüge, in der darüber ausgebreiteten Schwermut, in der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0299" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155880"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341839_158166/figures/grenzboten_341839_158166_155880_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Engel auf Grden.<lb/><note type="byline"> Roman von Viktor Bersozio.</note> Aus dem Italienischen. (Fortsetzung.) 4. </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1112"> M^&gt;^<lb/>
MVim war von hohem Wuchs, in ihrer Haltung ungezwungen, bei an-<lb/>
geborner Reserve und elegant ohne jedes Studium. Die ganze<lb/>
Gestalt war in der kunstvollsten Weise nach dem Typus der<lb/>
griechischen Formen modellirt, jener Formen, welche in ihrem<lb/>
ganzen Zusammenhange so harmonisch zu einander stimmen, daß<lb/>
ein ungeübtes Auge den Inbegriff dieser Vollkommenheit garnicht spürt, weil<lb/>
sich demi Blicke nichts hervorspringendes und überraschendes darbietet. Ein<lb/>
Körper, biegsam wie eine Stahlklinge, mit schlankster Taille, von unvergleich¬<lb/>
licher Schönheit in der Zeichnung der Schultern, der Wölbung des züchtig<lb/>
verhüllten Busens. Ein Körper, wie man ihn nur bei den vollkommensten<lb/>
Bildungen des italienischen Blutes findet, die sich von der trocknen britischen<lb/>
Strenge und von der deutschen Gemessenheit ebensoweit entfernen wie von der<lb/>
Dürftigkeit, wenn man so sagen darf, und von der Unstetigkeit französischer<lb/>
Formen, und in denen sich in wunderbarster Harmonie Würde und Anmut,<lb/>
Hoheit und Unbefangenheit zu einem bezaubernden Gesamtbilde vereinen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1113" next="#ID_1114"> Sie war bleich, hatte schwarze Augen, kohlschwarzes Haar, ihr Blick und der<lb/>
Ausdruck ihrer nur schwachgefärbten Lippen war schwermütig. Aber die Augen<lb/>
leuchteten wie zwei brennende Flammen unter der weißen Stirn, die ebenso<lb/>
glatt war wie die eines unschuldigen Kindes, und die in ihrer Reinheit und<lb/>
Schönheit eigens dazu geschaffen zu sein schien, einen Geist zu beherbergen, in<lb/>
welchem nie und nimmer ein böser Gedanke auftauchen kann. Aber in dem<lb/>
Ausdrucke ihrer Gesichtszüge, in der darüber ausgebreiteten Schwermut, in der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0299] [Abbildung] Die Engel auf Grden. Roman von Viktor Bersozio. Aus dem Italienischen. (Fortsetzung.) 4. M^>^ MVim war von hohem Wuchs, in ihrer Haltung ungezwungen, bei an- geborner Reserve und elegant ohne jedes Studium. Die ganze Gestalt war in der kunstvollsten Weise nach dem Typus der griechischen Formen modellirt, jener Formen, welche in ihrem ganzen Zusammenhange so harmonisch zu einander stimmen, daß ein ungeübtes Auge den Inbegriff dieser Vollkommenheit garnicht spürt, weil sich demi Blicke nichts hervorspringendes und überraschendes darbietet. Ein Körper, biegsam wie eine Stahlklinge, mit schlankster Taille, von unvergleich¬ licher Schönheit in der Zeichnung der Schultern, der Wölbung des züchtig verhüllten Busens. Ein Körper, wie man ihn nur bei den vollkommensten Bildungen des italienischen Blutes findet, die sich von der trocknen britischen Strenge und von der deutschen Gemessenheit ebensoweit entfernen wie von der Dürftigkeit, wenn man so sagen darf, und von der Unstetigkeit französischer Formen, und in denen sich in wunderbarster Harmonie Würde und Anmut, Hoheit und Unbefangenheit zu einem bezaubernden Gesamtbilde vereinen. Sie war bleich, hatte schwarze Augen, kohlschwarzes Haar, ihr Blick und der Ausdruck ihrer nur schwachgefärbten Lippen war schwermütig. Aber die Augen leuchteten wie zwei brennende Flammen unter der weißen Stirn, die ebenso glatt war wie die eines unschuldigen Kindes, und die in ihrer Reinheit und Schönheit eigens dazu geschaffen zu sein schien, einen Geist zu beherbergen, in welchem nie und nimmer ein böser Gedanke auftauchen kann. Aber in dem Ausdrucke ihrer Gesichtszüge, in der darüber ausgebreiteten Schwermut, in der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/299
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/299>, abgerufen am 02.05.2024.