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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal.

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Der musikalische Gottesdienst der protestantischen Gemeinde.

seiner Waffengefährten, der nachmalige Chef des Generalstabs der Armee, Ge¬
neral von Nehher, damals Wachtmeister und Regimentsschreiber im zweiten
brandenburgischen Husarenregiment --, obwohl er unglücklich endete, gehört
nichtsdestoweniger zu den Erscheinungen, welche damals mitten im Siegeslaufe
der französischen Heere wie Blitze den politischen Horizont durchzuckten und so
gleichsam das Herannahen des Gewitters verkündeten, welches einige Jahre
später sich über dem Haupte Napoleons zusammenzog und durch rasch aufeinander¬
folgende Schläge ihn und seine Macht zertrümmerte." Schenkendorf hatte bei
Schills Tode weissagend gesungen:


Tag des Volkes! Du wirst tagen,
Den ich oben feiern will,
Und mein freies Volk wird sagen:
Ruh' in Frieden, treuer SchillI



Der musikalische Gottesdienst
der protestantischen Gemeinde.
von Ulrich Schneider. (Schluß.)
Der Gesang in Zpscie.

le Gemeinde soll also zusammen mit der Orgel musiziren. Da
fragt es sich um: Hat sich die Gemeinde nach der Orgel oder
die Orgel nach der Gemeinde zu richten? Soll die Gemeinde
singen und die Orgel begleiten? Oder soll die Orgel das Wort
führen und die Gemeinde nur "mitsingen"?

Für das gegenwärtige Bedürfnis -- angesichts der vollendeten Natur der
Orgel gegenüber der kläglichen Verfassung des von der Gemeinde gebildeten
musikalischen Faktors -- darf man offenbar das letztere für zweckmäßig halten.
Im Ideal freilich sollte keines von beiden der Fall sein. Vielmehr haben Orgel
und Gemeinde vereinte Mittel und Absichten darauf zu richten, daß, im steten
Hinblick auf den Charakter der Gelegenheit, speziell auf den Inhalt des vor¬
zutragenden Gesanges, der Gottesdienst sich zu einer einheitlichen, abgerundeten
musikalischen Gesamtleistung gestalte, und zwar so, daß auch derjenige Zuhörer,
welcher nach Bekenntnis oder Gesinnung etwa außerhalb der sich erbauenden
Religionsgemeinde stünde, dennoch eine "Aufführung" zu vernehmen meint,
wert mit voller Hingabe angehört zu werden und ausgiebig wie für die "Mit-


Der musikalische Gottesdienst der protestantischen Gemeinde.

seiner Waffengefährten, der nachmalige Chef des Generalstabs der Armee, Ge¬
neral von Nehher, damals Wachtmeister und Regimentsschreiber im zweiten
brandenburgischen Husarenregiment —, obwohl er unglücklich endete, gehört
nichtsdestoweniger zu den Erscheinungen, welche damals mitten im Siegeslaufe
der französischen Heere wie Blitze den politischen Horizont durchzuckten und so
gleichsam das Herannahen des Gewitters verkündeten, welches einige Jahre
später sich über dem Haupte Napoleons zusammenzog und durch rasch aufeinander¬
folgende Schläge ihn und seine Macht zertrümmerte." Schenkendorf hatte bei
Schills Tode weissagend gesungen:


Tag des Volkes! Du wirst tagen,
Den ich oben feiern will,
Und mein freies Volk wird sagen:
Ruh' in Frieden, treuer SchillI



Der musikalische Gottesdienst
der protestantischen Gemeinde.
von Ulrich Schneider. (Schluß.)
Der Gesang in Zpscie.

le Gemeinde soll also zusammen mit der Orgel musiziren. Da
fragt es sich um: Hat sich die Gemeinde nach der Orgel oder
die Orgel nach der Gemeinde zu richten? Soll die Gemeinde
singen und die Orgel begleiten? Oder soll die Orgel das Wort
führen und die Gemeinde nur „mitsingen"?

Für das gegenwärtige Bedürfnis — angesichts der vollendeten Natur der
Orgel gegenüber der kläglichen Verfassung des von der Gemeinde gebildeten
musikalischen Faktors — darf man offenbar das letztere für zweckmäßig halten.
Im Ideal freilich sollte keines von beiden der Fall sein. Vielmehr haben Orgel
und Gemeinde vereinte Mittel und Absichten darauf zu richten, daß, im steten
Hinblick auf den Charakter der Gelegenheit, speziell auf den Inhalt des vor¬
zutragenden Gesanges, der Gottesdienst sich zu einer einheitlichen, abgerundeten
musikalischen Gesamtleistung gestalte, und zwar so, daß auch derjenige Zuhörer,
welcher nach Bekenntnis oder Gesinnung etwa außerhalb der sich erbauenden
Religionsgemeinde stünde, dennoch eine „Aufführung" zu vernehmen meint,
wert mit voller Hingabe angehört zu werden und ausgiebig wie für die „Mit-


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[0330] Der musikalische Gottesdienst der protestantischen Gemeinde. seiner Waffengefährten, der nachmalige Chef des Generalstabs der Armee, Ge¬ neral von Nehher, damals Wachtmeister und Regimentsschreiber im zweiten brandenburgischen Husarenregiment —, obwohl er unglücklich endete, gehört nichtsdestoweniger zu den Erscheinungen, welche damals mitten im Siegeslaufe der französischen Heere wie Blitze den politischen Horizont durchzuckten und so gleichsam das Herannahen des Gewitters verkündeten, welches einige Jahre später sich über dem Haupte Napoleons zusammenzog und durch rasch aufeinander¬ folgende Schläge ihn und seine Macht zertrümmerte." Schenkendorf hatte bei Schills Tode weissagend gesungen: Tag des Volkes! Du wirst tagen, Den ich oben feiern will, Und mein freies Volk wird sagen: Ruh' in Frieden, treuer SchillI Der musikalische Gottesdienst der protestantischen Gemeinde. von Ulrich Schneider. (Schluß.) Der Gesang in Zpscie. le Gemeinde soll also zusammen mit der Orgel musiziren. Da fragt es sich um: Hat sich die Gemeinde nach der Orgel oder die Orgel nach der Gemeinde zu richten? Soll die Gemeinde singen und die Orgel begleiten? Oder soll die Orgel das Wort führen und die Gemeinde nur „mitsingen"? Für das gegenwärtige Bedürfnis — angesichts der vollendeten Natur der Orgel gegenüber der kläglichen Verfassung des von der Gemeinde gebildeten musikalischen Faktors — darf man offenbar das letztere für zweckmäßig halten. Im Ideal freilich sollte keines von beiden der Fall sein. Vielmehr haben Orgel und Gemeinde vereinte Mittel und Absichten darauf zu richten, daß, im steten Hinblick auf den Charakter der Gelegenheit, speziell auf den Inhalt des vor¬ zutragenden Gesanges, der Gottesdienst sich zu einer einheitlichen, abgerundeten musikalischen Gesamtleistung gestalte, und zwar so, daß auch derjenige Zuhörer, welcher nach Bekenntnis oder Gesinnung etwa außerhalb der sich erbauenden Religionsgemeinde stünde, dennoch eine „Aufführung" zu vernehmen meint, wert mit voller Hingabe angehört zu werden und ausgiebig wie für die „Mit-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/330>, abgerufen am 02.05.2024.