Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite


Juristische Fragen.
5. Die sogenannten politischen verbrechen vor dem Schwurgericht.

ährend zahlreiche und wichtige Gesetze im Reichstage und Land¬
tage ihrer Erledigung harren und man daselbst bei der vor¬
rückenden Jahreszeit bemüht ist, jede Stunde wahrzunehmen, um
die Geschäfte zu fördern, hält die Fortschrittspartei es fortwäh¬
rend für angebracht, mit allerlei Gesetzesvorschlägen hervorzutreten,
welche, selbst ihre Zweckmäßigkeit vorausgesetzt, in keiner Weise dringlich, zugleich
aber bei dem unzweifelhaft feststehenden Standpunkt der Regierung völlig aus¬
sichtslos und deshalb eine wahre Plage sür die vielbeschäftigten gesetzgebenden
Körperschaften sind. Das neueste Elaborat dieser Art ist der Antrag der Ab¬
geordneten Philipps und Lenzmann im Reichstage, für die politischen und die
durch die Presse begangenen Vergehen und Verbrechen -- als welche anzusehen
sind die nach ZZ 80--90, 92, 94, 95, 97, 99, 101--104, 107--111, 115,
125, 127--131 des Strafgesetzbuches strafbaren Handlungen*) -- die Schwur¬
gerichte für zuständig zu erklären.

In Rücksicht auf die gegenwärtige Belastung des Reichstages wird man
zunächst fragen, ob denn dieses Gesetz, selbst vom fortschrittlichen Standpunkte
aus, irgendwie dringlich sei. Stehen bei uns die politischen Verbrechen auf
der Tagesordnung? oder sind unsre Zustände derart, daß solche zahlreich zu
erwarten sind? und wäre dies der Fall, sind die jetzt zuständigen Gerichte



*) Also im wesentlichen folgende Abschnitte des Strafgesetzbuches- 1. Hochverrat und
Landesverrat; 2. Beleidigung des Lnndcsherrn; 3. Beleidigung von Bundesfiirsten; 4. Feind¬
liche Handlungen gegen befreundete Staaten; S. Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf
die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte; 6. Widerstand gegen die Staatsgewalt; 7. Verbrechen
und Vergehen wider die öffentliche Ordnung.
Grenzboten II. 1884. gg


Juristische Fragen.
5. Die sogenannten politischen verbrechen vor dem Schwurgericht.

ährend zahlreiche und wichtige Gesetze im Reichstage und Land¬
tage ihrer Erledigung harren und man daselbst bei der vor¬
rückenden Jahreszeit bemüht ist, jede Stunde wahrzunehmen, um
die Geschäfte zu fördern, hält die Fortschrittspartei es fortwäh¬
rend für angebracht, mit allerlei Gesetzesvorschlägen hervorzutreten,
welche, selbst ihre Zweckmäßigkeit vorausgesetzt, in keiner Weise dringlich, zugleich
aber bei dem unzweifelhaft feststehenden Standpunkt der Regierung völlig aus¬
sichtslos und deshalb eine wahre Plage sür die vielbeschäftigten gesetzgebenden
Körperschaften sind. Das neueste Elaborat dieser Art ist der Antrag der Ab¬
geordneten Philipps und Lenzmann im Reichstage, für die politischen und die
durch die Presse begangenen Vergehen und Verbrechen — als welche anzusehen
sind die nach ZZ 80—90, 92, 94, 95, 97, 99, 101—104, 107—111, 115,
125, 127—131 des Strafgesetzbuches strafbaren Handlungen*) — die Schwur¬
gerichte für zuständig zu erklären.

In Rücksicht auf die gegenwärtige Belastung des Reichstages wird man
zunächst fragen, ob denn dieses Gesetz, selbst vom fortschrittlichen Standpunkte
aus, irgendwie dringlich sei. Stehen bei uns die politischen Verbrechen auf
der Tagesordnung? oder sind unsre Zustände derart, daß solche zahlreich zu
erwarten sind? und wäre dies der Fall, sind die jetzt zuständigen Gerichte



*) Also im wesentlichen folgende Abschnitte des Strafgesetzbuches- 1. Hochverrat und
Landesverrat; 2. Beleidigung des Lnndcsherrn; 3. Beleidigung von Bundesfiirsten; 4. Feind¬
liche Handlungen gegen befreundete Staaten; S. Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf
die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte; 6. Widerstand gegen die Staatsgewalt; 7. Verbrechen
und Vergehen wider die öffentliche Ordnung.
Grenzboten II. 1884. gg
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0473" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156054"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341839_158166/figures/grenzboten_341839_158166_156054_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Juristische Fragen.<lb/>
5. Die sogenannten politischen verbrechen vor dem Schwurgericht.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1877"> ährend zahlreiche und wichtige Gesetze im Reichstage und Land¬<lb/>
tage ihrer Erledigung harren und man daselbst bei der vor¬<lb/>
rückenden Jahreszeit bemüht ist, jede Stunde wahrzunehmen, um<lb/>
die Geschäfte zu fördern, hält die Fortschrittspartei es fortwäh¬<lb/>
rend für angebracht, mit allerlei Gesetzesvorschlägen hervorzutreten,<lb/>
welche, selbst ihre Zweckmäßigkeit vorausgesetzt, in keiner Weise dringlich, zugleich<lb/>
aber bei dem unzweifelhaft feststehenden Standpunkt der Regierung völlig aus¬<lb/>
sichtslos und deshalb eine wahre Plage sür die vielbeschäftigten gesetzgebenden<lb/>
Körperschaften sind. Das neueste Elaborat dieser Art ist der Antrag der Ab¬<lb/>
geordneten Philipps und Lenzmann im Reichstage, für die politischen und die<lb/>
durch die Presse begangenen Vergehen und Verbrechen &#x2014; als welche anzusehen<lb/>
sind die nach ZZ 80&#x2014;90, 92, 94, 95, 97, 99, 101&#x2014;104, 107&#x2014;111, 115,<lb/>
125, 127&#x2014;131 des Strafgesetzbuches strafbaren Handlungen*) &#x2014; die Schwur¬<lb/>
gerichte für zuständig zu erklären.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1878" next="#ID_1879"> In Rücksicht auf die gegenwärtige Belastung des Reichstages wird man<lb/>
zunächst fragen, ob denn dieses Gesetz, selbst vom fortschrittlichen Standpunkte<lb/>
aus, irgendwie dringlich sei. Stehen bei uns die politischen Verbrechen auf<lb/>
der Tagesordnung? oder sind unsre Zustände derart, daß solche zahlreich zu<lb/>
erwarten sind? und wäre dies der Fall, sind die jetzt zuständigen Gerichte</p><lb/>
          <note xml:id="FID_33" place="foot"> *) Also im wesentlichen folgende Abschnitte des Strafgesetzbuches- 1. Hochverrat und<lb/>
Landesverrat; 2. Beleidigung des Lnndcsherrn; 3. Beleidigung von Bundesfiirsten; 4. Feind¬<lb/>
liche Handlungen gegen befreundete Staaten; S. Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf<lb/>
die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte; 6. Widerstand gegen die Staatsgewalt; 7. Verbrechen<lb/>
und Vergehen wider die öffentliche Ordnung.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1884. gg</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0473] [Abbildung] Juristische Fragen. 5. Die sogenannten politischen verbrechen vor dem Schwurgericht. ährend zahlreiche und wichtige Gesetze im Reichstage und Land¬ tage ihrer Erledigung harren und man daselbst bei der vor¬ rückenden Jahreszeit bemüht ist, jede Stunde wahrzunehmen, um die Geschäfte zu fördern, hält die Fortschrittspartei es fortwäh¬ rend für angebracht, mit allerlei Gesetzesvorschlägen hervorzutreten, welche, selbst ihre Zweckmäßigkeit vorausgesetzt, in keiner Weise dringlich, zugleich aber bei dem unzweifelhaft feststehenden Standpunkt der Regierung völlig aus¬ sichtslos und deshalb eine wahre Plage sür die vielbeschäftigten gesetzgebenden Körperschaften sind. Das neueste Elaborat dieser Art ist der Antrag der Ab¬ geordneten Philipps und Lenzmann im Reichstage, für die politischen und die durch die Presse begangenen Vergehen und Verbrechen — als welche anzusehen sind die nach ZZ 80—90, 92, 94, 95, 97, 99, 101—104, 107—111, 115, 125, 127—131 des Strafgesetzbuches strafbaren Handlungen*) — die Schwur¬ gerichte für zuständig zu erklären. In Rücksicht auf die gegenwärtige Belastung des Reichstages wird man zunächst fragen, ob denn dieses Gesetz, selbst vom fortschrittlichen Standpunkte aus, irgendwie dringlich sei. Stehen bei uns die politischen Verbrechen auf der Tagesordnung? oder sind unsre Zustände derart, daß solche zahlreich zu erwarten sind? und wäre dies der Fall, sind die jetzt zuständigen Gerichte *) Also im wesentlichen folgende Abschnitte des Strafgesetzbuches- 1. Hochverrat und Landesverrat; 2. Beleidigung des Lnndcsherrn; 3. Beleidigung von Bundesfiirsten; 4. Feind¬ liche Handlungen gegen befreundete Staaten; S. Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte; 6. Widerstand gegen die Staatsgewalt; 7. Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung. Grenzboten II. 1884. gg

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/473
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/473>, abgerufen am 03.05.2024.