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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal.

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Goethes naturwissenschaftliche Schriften.

s giebt noch immer viele Leute heutzutage, welche glauben, daß
die eigentliche Thätigkeit des Dichters im Versemachen bestehe,
und wenn einer es dahin gebracht habe, die Sprache geschickt zu
beherrschen und die Gesetze der Metrik zu kennen, dann fülle er
als Dichter seinen Beruf aus und könne mit demselben Rechte
wie jeder andre Gewerbetreibende sein ehrliches Brot verdienen. Einen solchen
Dichterbcruf zu wählen sei zwar gewagt, da man alsdann doch für alle andern
Fächer unbrauchbar sei und daher nicht so leicht die richtige Anerkennung finde;
indessen ist man doch dem Dichter im allgemeinen wohlgesinnt, weil wir uns
doch manche heitere Stunde durch seine Gaben verschaffen können. Wenn aber
ein Dichter, den alle als solchen gelten lasse", es sich herausnimmt, nicht über
Kunst allein und besonders seine eigne Kunst, sondern noch dazu in wissen¬
schaftlichen Fächern ernstlich mitzureden, dann hat er einen schweren Stand.
Und wenn er in diesen Fächern nicht nur lernen, sondern auch lehren und die
wissenschaftlichen Kenntnisse weiterfördern will, dann mag er sich hüten, daß
er nicht von allen Seiten durch die eigentlichen Fachmänner zurückgewiesen und
zugedeckt wird. Niemand wird leugnen, daß es Goethe geradeso ergangen ist,
und daß seine wissenschaftliche Bedeutung heutzutage noch von vielen und sehr
gewichtigen Seiten den härtesten Angriffen ausgesetzt ist. Auffallend gering ist
die Zahl derjenigen, die sich einfach dem Verdienste des Genius beugen und
anerkennen, daß ein ächtes Genie sich nicht in die Schranken eng eingeteilter
Fächer, sei es in Kunst oder in Wissenschaft, zwängen läßt, sondern daß es
überall Tüchtiges und Gediegenes leistet, wohin es sich mit allem Eifer und
allen Kräften wendet. Das ist es ja eben, was ein bloßes Talent vom Genie
unterscheidet, daß ersteres nur leicht und schnell in dem ihm angemessenen Fache
weiterkommt und technische Schwierigkeiten in kurzer Zeit überwindet, während
das letztere nicht nur die Fertigkeiten schnell erwirbt, sondern darüber hinaus
das Wesen der Wissenschaft oder Kunst tiefer erfaßt und über die bekannten
Grenzen hinaushebt. Auch ein bloßes Talent ohne irgendwelchen Zusatz von
Genialität kann es in der Wissenschaft sehr weit bringen; denn jede Wissenschaft
ist ein System von Erkenntnissen, in allen Erkenntnissen herrscht der logische
Beweis, die Logik ist anerkanntermaßen trocken, und es kann einem Talent ge¬
lingen, alle technischen Schwierigkeiten schnell zu beherrschen, ohne die Idee des
Zusammenhanges des Ganzen gefaßt zu haben. Es kann einer ein sehr be¬
rühmter und selbst einflußreicher Gelehrter sein, ohne jemals einen genialen


Goethes naturwissenschaftliche Schriften.

s giebt noch immer viele Leute heutzutage, welche glauben, daß
die eigentliche Thätigkeit des Dichters im Versemachen bestehe,
und wenn einer es dahin gebracht habe, die Sprache geschickt zu
beherrschen und die Gesetze der Metrik zu kennen, dann fülle er
als Dichter seinen Beruf aus und könne mit demselben Rechte
wie jeder andre Gewerbetreibende sein ehrliches Brot verdienen. Einen solchen
Dichterbcruf zu wählen sei zwar gewagt, da man alsdann doch für alle andern
Fächer unbrauchbar sei und daher nicht so leicht die richtige Anerkennung finde;
indessen ist man doch dem Dichter im allgemeinen wohlgesinnt, weil wir uns
doch manche heitere Stunde durch seine Gaben verschaffen können. Wenn aber
ein Dichter, den alle als solchen gelten lasse», es sich herausnimmt, nicht über
Kunst allein und besonders seine eigne Kunst, sondern noch dazu in wissen¬
schaftlichen Fächern ernstlich mitzureden, dann hat er einen schweren Stand.
Und wenn er in diesen Fächern nicht nur lernen, sondern auch lehren und die
wissenschaftlichen Kenntnisse weiterfördern will, dann mag er sich hüten, daß
er nicht von allen Seiten durch die eigentlichen Fachmänner zurückgewiesen und
zugedeckt wird. Niemand wird leugnen, daß es Goethe geradeso ergangen ist,
und daß seine wissenschaftliche Bedeutung heutzutage noch von vielen und sehr
gewichtigen Seiten den härtesten Angriffen ausgesetzt ist. Auffallend gering ist
die Zahl derjenigen, die sich einfach dem Verdienste des Genius beugen und
anerkennen, daß ein ächtes Genie sich nicht in die Schranken eng eingeteilter
Fächer, sei es in Kunst oder in Wissenschaft, zwängen läßt, sondern daß es
überall Tüchtiges und Gediegenes leistet, wohin es sich mit allem Eifer und
allen Kräften wendet. Das ist es ja eben, was ein bloßes Talent vom Genie
unterscheidet, daß ersteres nur leicht und schnell in dem ihm angemessenen Fache
weiterkommt und technische Schwierigkeiten in kurzer Zeit überwindet, während
das letztere nicht nur die Fertigkeiten schnell erwirbt, sondern darüber hinaus
das Wesen der Wissenschaft oder Kunst tiefer erfaßt und über die bekannten
Grenzen hinaushebt. Auch ein bloßes Talent ohne irgendwelchen Zusatz von
Genialität kann es in der Wissenschaft sehr weit bringen; denn jede Wissenschaft
ist ein System von Erkenntnissen, in allen Erkenntnissen herrscht der logische
Beweis, die Logik ist anerkanntermaßen trocken, und es kann einem Talent ge¬
lingen, alle technischen Schwierigkeiten schnell zu beherrschen, ohne die Idee des
Zusammenhanges des Ganzen gefaßt zu haben. Es kann einer ein sehr be¬
rühmter und selbst einflußreicher Gelehrter sein, ohne jemals einen genialen


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[0552] Goethes naturwissenschaftliche Schriften. s giebt noch immer viele Leute heutzutage, welche glauben, daß die eigentliche Thätigkeit des Dichters im Versemachen bestehe, und wenn einer es dahin gebracht habe, die Sprache geschickt zu beherrschen und die Gesetze der Metrik zu kennen, dann fülle er als Dichter seinen Beruf aus und könne mit demselben Rechte wie jeder andre Gewerbetreibende sein ehrliches Brot verdienen. Einen solchen Dichterbcruf zu wählen sei zwar gewagt, da man alsdann doch für alle andern Fächer unbrauchbar sei und daher nicht so leicht die richtige Anerkennung finde; indessen ist man doch dem Dichter im allgemeinen wohlgesinnt, weil wir uns doch manche heitere Stunde durch seine Gaben verschaffen können. Wenn aber ein Dichter, den alle als solchen gelten lasse», es sich herausnimmt, nicht über Kunst allein und besonders seine eigne Kunst, sondern noch dazu in wissen¬ schaftlichen Fächern ernstlich mitzureden, dann hat er einen schweren Stand. Und wenn er in diesen Fächern nicht nur lernen, sondern auch lehren und die wissenschaftlichen Kenntnisse weiterfördern will, dann mag er sich hüten, daß er nicht von allen Seiten durch die eigentlichen Fachmänner zurückgewiesen und zugedeckt wird. Niemand wird leugnen, daß es Goethe geradeso ergangen ist, und daß seine wissenschaftliche Bedeutung heutzutage noch von vielen und sehr gewichtigen Seiten den härtesten Angriffen ausgesetzt ist. Auffallend gering ist die Zahl derjenigen, die sich einfach dem Verdienste des Genius beugen und anerkennen, daß ein ächtes Genie sich nicht in die Schranken eng eingeteilter Fächer, sei es in Kunst oder in Wissenschaft, zwängen läßt, sondern daß es überall Tüchtiges und Gediegenes leistet, wohin es sich mit allem Eifer und allen Kräften wendet. Das ist es ja eben, was ein bloßes Talent vom Genie unterscheidet, daß ersteres nur leicht und schnell in dem ihm angemessenen Fache weiterkommt und technische Schwierigkeiten in kurzer Zeit überwindet, während das letztere nicht nur die Fertigkeiten schnell erwirbt, sondern darüber hinaus das Wesen der Wissenschaft oder Kunst tiefer erfaßt und über die bekannten Grenzen hinaushebt. Auch ein bloßes Talent ohne irgendwelchen Zusatz von Genialität kann es in der Wissenschaft sehr weit bringen; denn jede Wissenschaft ist ein System von Erkenntnissen, in allen Erkenntnissen herrscht der logische Beweis, die Logik ist anerkanntermaßen trocken, und es kann einem Talent ge¬ lingen, alle technischen Schwierigkeiten schnell zu beherrschen, ohne die Idee des Zusammenhanges des Ganzen gefaßt zu haben. Es kann einer ein sehr be¬ rühmter und selbst einflußreicher Gelehrter sein, ohne jemals einen genialen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158166/552>, abgerufen am 02.05.2024.