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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Literatur,

gegneten Reiz einer verbotenen Frucht haben -- über die zwei bürgerlichen
Schwäger Hermiones wäre bei Hofe ja nie hinwegzukommen gewesen --, sie
war überdies hübscher, munterer und geistig beweglicher als irgend eine der
Prinzessinnen, unter deren Photographien ihm hin und wieder zugemutet wurde,
die Wahl zu treffen, sie war endlich in dem interessanten Stadium, wo um ihre
junge Person das Würfeln schon begonnen hatte; morgen, vielleicht heute schon
konnte sie in die Lage kommen, ja oder nein sagen zu müssen, und es war für
Prinz Ottokar, dessen Blut tiefblau war, ein Gedanke entsetzlicher Art, daß sie
sich gleich ihren Schwestern mit einem Thalersack verheiraten werde.

Hoheit, sagte Hermione, als der Prinz wieder wie gestern und vorgestern
vom Sattel herab, trotz dem Sonnenschirm, der ihm Hermiones Gesicht ver¬
barg, un> die Erlaubnis gebeten hatte, absteigen und ihr ein wenig Gesellschaft
leisten zu dürfen, ich bin lediglich hier, um Sie dringend zu bitten, mich nicht
weiter zu Unvorsichtigkeiten zu verleiten.

So ist er angekommen? rief Prinz Ottokar aufbrausend und schwang sich
aus dem Sattel. Hermione, Sie machen mich rasend; ich gönne Sie keinem.
Sie dürfen mir das nicht anthun.

Ich habe Ihnen gesagt, Hoheit, antwortete Hermione, daß ich sehr unglücklich
bin -- ihre Stimme zitterte, sie stand wirklich unter dem Bann des schönen Jüng¬
lings, der ihre Hand leidenschaftlich ergriffen hatte -- grenzenlos unglücklich,
Hoheit!

Eher wage ich alles, ehe ich Sie einem andern gönne! rief er mit heftiger
Geberde; Sie dürfen nicht. Ich verbiete es Ihnen. Ich will doch sehen, ob
ich ganz, ganz machtlos bin.

Und was soll denn werden? fragte Hermione.

Ich weiß es nicht! Er zerbrach vor Zorn seine Reitgerte. Es stand ihm
der Zorn nicht minder gut wie der Leichtsinn.

(Fortsetzung folgt.)




Literatur.
Die innere Verwaltung. Von Lorenz von Stein. Zweites Hauptgebiet. Das
Bildungswesen. Zweiter Teil. Das Bildungswesen des Mittelalters. Stuttqart,
Cotta, 1883.

Der zweite Teil von dem das Bildungswesen umfassenden Abschnitt des in
neuer Auflage erscheinenden großen Stcinschcn Werkes ist dem ersten in dieser
Zeitschrift besprochenen Teile schnell gefolgt. Es ist in der That ein kühnes Unter-


Literatur,

gegneten Reiz einer verbotenen Frucht haben — über die zwei bürgerlichen
Schwäger Hermiones wäre bei Hofe ja nie hinwegzukommen gewesen —, sie
war überdies hübscher, munterer und geistig beweglicher als irgend eine der
Prinzessinnen, unter deren Photographien ihm hin und wieder zugemutet wurde,
die Wahl zu treffen, sie war endlich in dem interessanten Stadium, wo um ihre
junge Person das Würfeln schon begonnen hatte; morgen, vielleicht heute schon
konnte sie in die Lage kommen, ja oder nein sagen zu müssen, und es war für
Prinz Ottokar, dessen Blut tiefblau war, ein Gedanke entsetzlicher Art, daß sie
sich gleich ihren Schwestern mit einem Thalersack verheiraten werde.

Hoheit, sagte Hermione, als der Prinz wieder wie gestern und vorgestern
vom Sattel herab, trotz dem Sonnenschirm, der ihm Hermiones Gesicht ver¬
barg, un> die Erlaubnis gebeten hatte, absteigen und ihr ein wenig Gesellschaft
leisten zu dürfen, ich bin lediglich hier, um Sie dringend zu bitten, mich nicht
weiter zu Unvorsichtigkeiten zu verleiten.

So ist er angekommen? rief Prinz Ottokar aufbrausend und schwang sich
aus dem Sattel. Hermione, Sie machen mich rasend; ich gönne Sie keinem.
Sie dürfen mir das nicht anthun.

Ich habe Ihnen gesagt, Hoheit, antwortete Hermione, daß ich sehr unglücklich
bin — ihre Stimme zitterte, sie stand wirklich unter dem Bann des schönen Jüng¬
lings, der ihre Hand leidenschaftlich ergriffen hatte — grenzenlos unglücklich,
Hoheit!

Eher wage ich alles, ehe ich Sie einem andern gönne! rief er mit heftiger
Geberde; Sie dürfen nicht. Ich verbiete es Ihnen. Ich will doch sehen, ob
ich ganz, ganz machtlos bin.

Und was soll denn werden? fragte Hermione.

Ich weiß es nicht! Er zerbrach vor Zorn seine Reitgerte. Es stand ihm
der Zorn nicht minder gut wie der Leichtsinn.

(Fortsetzung folgt.)




Literatur.
Die innere Verwaltung. Von Lorenz von Stein. Zweites Hauptgebiet. Das
Bildungswesen. Zweiter Teil. Das Bildungswesen des Mittelalters. Stuttqart,
Cotta, 1883.

Der zweite Teil von dem das Bildungswesen umfassenden Abschnitt des in
neuer Auflage erscheinenden großen Stcinschcn Werkes ist dem ersten in dieser
Zeitschrift besprochenen Teile schnell gefolgt. Es ist in der That ein kühnes Unter-


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[0166] Literatur, gegneten Reiz einer verbotenen Frucht haben — über die zwei bürgerlichen Schwäger Hermiones wäre bei Hofe ja nie hinwegzukommen gewesen —, sie war überdies hübscher, munterer und geistig beweglicher als irgend eine der Prinzessinnen, unter deren Photographien ihm hin und wieder zugemutet wurde, die Wahl zu treffen, sie war endlich in dem interessanten Stadium, wo um ihre junge Person das Würfeln schon begonnen hatte; morgen, vielleicht heute schon konnte sie in die Lage kommen, ja oder nein sagen zu müssen, und es war für Prinz Ottokar, dessen Blut tiefblau war, ein Gedanke entsetzlicher Art, daß sie sich gleich ihren Schwestern mit einem Thalersack verheiraten werde. Hoheit, sagte Hermione, als der Prinz wieder wie gestern und vorgestern vom Sattel herab, trotz dem Sonnenschirm, der ihm Hermiones Gesicht ver¬ barg, un> die Erlaubnis gebeten hatte, absteigen und ihr ein wenig Gesellschaft leisten zu dürfen, ich bin lediglich hier, um Sie dringend zu bitten, mich nicht weiter zu Unvorsichtigkeiten zu verleiten. So ist er angekommen? rief Prinz Ottokar aufbrausend und schwang sich aus dem Sattel. Hermione, Sie machen mich rasend; ich gönne Sie keinem. Sie dürfen mir das nicht anthun. Ich habe Ihnen gesagt, Hoheit, antwortete Hermione, daß ich sehr unglücklich bin — ihre Stimme zitterte, sie stand wirklich unter dem Bann des schönen Jüng¬ lings, der ihre Hand leidenschaftlich ergriffen hatte — grenzenlos unglücklich, Hoheit! Eher wage ich alles, ehe ich Sie einem andern gönne! rief er mit heftiger Geberde; Sie dürfen nicht. Ich verbiete es Ihnen. Ich will doch sehen, ob ich ganz, ganz machtlos bin. Und was soll denn werden? fragte Hermione. Ich weiß es nicht! Er zerbrach vor Zorn seine Reitgerte. Es stand ihm der Zorn nicht minder gut wie der Leichtsinn. (Fortsetzung folgt.) Literatur. Die innere Verwaltung. Von Lorenz von Stein. Zweites Hauptgebiet. Das Bildungswesen. Zweiter Teil. Das Bildungswesen des Mittelalters. Stuttqart, Cotta, 1883. Der zweite Teil von dem das Bildungswesen umfassenden Abschnitt des in neuer Auflage erscheinenden großen Stcinschcn Werkes ist dem ersten in dieser Zeitschrift besprochenen Teile schnell gefolgt. Es ist in der That ein kühnes Unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/166>, abgerufen am 04.05.2024.