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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks,

den Kopf oben! Einen schönern Abend habe ich nie erlebt! Da sollte man
einmal hören, was die Zierpüppchen, die für unsern Berthold sich herausputzen
werden, in ähnlicher Lage für ein Zedern anrichten.




Neuntes Aapitel.

Horaz sagt in einer seiner Satiren: Fehlerlos ist keiner. Wer die wenigsten
Fehler hat, ist der beste, Boileau läßt die Menschheit ohne Ausnahme Narren
sein. Der ganze Unterschied zwischen dir und mir, zwischen diesem und jenem
besteht nach ihm einzig in dem verschiednen Grade der Narrheit, Ein altgrie¬
chischer Pessimist endlich meint: Wenn ma" von Glücklichen spreche, so müsse es
eigentlich heißen: von den am wenigsten Unglücklichen,

Also keine absolute Fehlerfreihcit, keine absolute Weisheit, kein absolutes
Glück,

So etwa dozirtc Kaspar Benedikt am nächsten Morgen seiner Frau und
seinem Berthold vor, als nach beendeten Frühstück Fräulein von Mockritz, um
ein Bouquet für die Salonvase zu pflücken, früher als die andern vom Tische
aufgestanden war und Berthold einen Bericht seiner Fahrten und Erlebnisse
mit dem Bekenntnis geschlossen hatte, daß, wenn er heute von neuem ins Weite
ziehen müßte, er zwar viele Dummheiten lind Irrwege vermeiden, ebenso gewiß
aber auch auf neue geraten werde, denn schloß er, man lernt nie aus, ich we¬
nigstens nicht, und sollte ich hundert Jahre alt werden.

An jene Betrachtungen, zu denen die Bibliothek der merkwürdigen Villa
wieder den Stoff hergclichen hatte, wollte nun der Fabrikant dasjenige an¬
knüpfen, was nach Abrede mit seiner Gattin über die Pläne des Paares, soweit
sie Hermine betrafen, allmählich aufs Tapet zu bringen war.

Aber ehe er dazu kam, bat Berthold noch um die Erlaubnis, eine Zwischen-
frage thun zu dürfen. Ich wüßte nämlich gern, sagte er, wer die schweigsame
Frauensperson ist, die mir vorhin auf der Treppe begegnete?

Außer unsrer Hermine und uns dreien, gab Frau Anna Bescheid, ist ja
niemand im Hause.

Sie trug eine Art Methodisten- oder Quäkerkostüm, sagte Berthold.

O, du sprichst von Dienstboten.

Er meint Herminens Kammerjungfer, bestätigte Kaspar Benedikt.

Berthold rciusperte sich; also doch! sagte er.

Was ist mit ihr? fragte Frau Anna,

Wo willst du hinaus? selundirtc Kaspar Benedikt.

Die Sache ist von keinem Belang, dämpfte Berthold ab.

Aber was geht dich denn die Kammerjungfer Herminens an? fragte Frau
Anna nicht ohne Schärfe.

Die Sache ist --


Auf der Leiter des Glücks,

den Kopf oben! Einen schönern Abend habe ich nie erlebt! Da sollte man
einmal hören, was die Zierpüppchen, die für unsern Berthold sich herausputzen
werden, in ähnlicher Lage für ein Zedern anrichten.




Neuntes Aapitel.

Horaz sagt in einer seiner Satiren: Fehlerlos ist keiner. Wer die wenigsten
Fehler hat, ist der beste, Boileau läßt die Menschheit ohne Ausnahme Narren
sein. Der ganze Unterschied zwischen dir und mir, zwischen diesem und jenem
besteht nach ihm einzig in dem verschiednen Grade der Narrheit, Ein altgrie¬
chischer Pessimist endlich meint: Wenn ma» von Glücklichen spreche, so müsse es
eigentlich heißen: von den am wenigsten Unglücklichen,

Also keine absolute Fehlerfreihcit, keine absolute Weisheit, kein absolutes
Glück,

So etwa dozirtc Kaspar Benedikt am nächsten Morgen seiner Frau und
seinem Berthold vor, als nach beendeten Frühstück Fräulein von Mockritz, um
ein Bouquet für die Salonvase zu pflücken, früher als die andern vom Tische
aufgestanden war und Berthold einen Bericht seiner Fahrten und Erlebnisse
mit dem Bekenntnis geschlossen hatte, daß, wenn er heute von neuem ins Weite
ziehen müßte, er zwar viele Dummheiten lind Irrwege vermeiden, ebenso gewiß
aber auch auf neue geraten werde, denn schloß er, man lernt nie aus, ich we¬
nigstens nicht, und sollte ich hundert Jahre alt werden.

An jene Betrachtungen, zu denen die Bibliothek der merkwürdigen Villa
wieder den Stoff hergclichen hatte, wollte nun der Fabrikant dasjenige an¬
knüpfen, was nach Abrede mit seiner Gattin über die Pläne des Paares, soweit
sie Hermine betrafen, allmählich aufs Tapet zu bringen war.

Aber ehe er dazu kam, bat Berthold noch um die Erlaubnis, eine Zwischen-
frage thun zu dürfen. Ich wüßte nämlich gern, sagte er, wer die schweigsame
Frauensperson ist, die mir vorhin auf der Treppe begegnete?

Außer unsrer Hermine und uns dreien, gab Frau Anna Bescheid, ist ja
niemand im Hause.

Sie trug eine Art Methodisten- oder Quäkerkostüm, sagte Berthold.

O, du sprichst von Dienstboten.

Er meint Herminens Kammerjungfer, bestätigte Kaspar Benedikt.

Berthold rciusperte sich; also doch! sagte er.

Was ist mit ihr? fragte Frau Anna,

Wo willst du hinaus? selundirtc Kaspar Benedikt.

Die Sache ist von keinem Belang, dämpfte Berthold ab.

Aber was geht dich denn die Kammerjungfer Herminens an? fragte Frau
Anna nicht ohne Schärfe.

Die Sache ist —


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[0222] Auf der Leiter des Glücks, den Kopf oben! Einen schönern Abend habe ich nie erlebt! Da sollte man einmal hören, was die Zierpüppchen, die für unsern Berthold sich herausputzen werden, in ähnlicher Lage für ein Zedern anrichten. Neuntes Aapitel. Horaz sagt in einer seiner Satiren: Fehlerlos ist keiner. Wer die wenigsten Fehler hat, ist der beste, Boileau läßt die Menschheit ohne Ausnahme Narren sein. Der ganze Unterschied zwischen dir und mir, zwischen diesem und jenem besteht nach ihm einzig in dem verschiednen Grade der Narrheit, Ein altgrie¬ chischer Pessimist endlich meint: Wenn ma» von Glücklichen spreche, so müsse es eigentlich heißen: von den am wenigsten Unglücklichen, Also keine absolute Fehlerfreihcit, keine absolute Weisheit, kein absolutes Glück, So etwa dozirtc Kaspar Benedikt am nächsten Morgen seiner Frau und seinem Berthold vor, als nach beendeten Frühstück Fräulein von Mockritz, um ein Bouquet für die Salonvase zu pflücken, früher als die andern vom Tische aufgestanden war und Berthold einen Bericht seiner Fahrten und Erlebnisse mit dem Bekenntnis geschlossen hatte, daß, wenn er heute von neuem ins Weite ziehen müßte, er zwar viele Dummheiten lind Irrwege vermeiden, ebenso gewiß aber auch auf neue geraten werde, denn schloß er, man lernt nie aus, ich we¬ nigstens nicht, und sollte ich hundert Jahre alt werden. An jene Betrachtungen, zu denen die Bibliothek der merkwürdigen Villa wieder den Stoff hergclichen hatte, wollte nun der Fabrikant dasjenige an¬ knüpfen, was nach Abrede mit seiner Gattin über die Pläne des Paares, soweit sie Hermine betrafen, allmählich aufs Tapet zu bringen war. Aber ehe er dazu kam, bat Berthold noch um die Erlaubnis, eine Zwischen- frage thun zu dürfen. Ich wüßte nämlich gern, sagte er, wer die schweigsame Frauensperson ist, die mir vorhin auf der Treppe begegnete? Außer unsrer Hermine und uns dreien, gab Frau Anna Bescheid, ist ja niemand im Hause. Sie trug eine Art Methodisten- oder Quäkerkostüm, sagte Berthold. O, du sprichst von Dienstboten. Er meint Herminens Kammerjungfer, bestätigte Kaspar Benedikt. Berthold rciusperte sich; also doch! sagte er. Was ist mit ihr? fragte Frau Anna, Wo willst du hinaus? selundirtc Kaspar Benedikt. Die Sache ist von keinem Belang, dämpfte Berthold ab. Aber was geht dich denn die Kammerjungfer Herminens an? fragte Frau Anna nicht ohne Schärfe. Die Sache ist —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/222>, abgerufen am 04.05.2024.