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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Notizen.

seiner Regierungen. Österreich, Preußen und die Kleinstaaten, so hießen die
drei Gruppen, welche die Zerrissenheit Deutschlands darstellten und ein Ge¬
deihen im deutschen'Volke nicht aufkommen ließen. Der deutsche Bundestag
war das Emblem deutscher Jämmerlichkeit. Heute, wo die Regierungen geeinigt
sind, ist das deutsche Volk selbst in seinen Vertretern wieder der alten Zer¬
rissenheit verfallen. Extreme Parteien rechts und links und die Zentrumspartei
in der Mitte, diese sind es, welche um die Herrschaft ringen und jede in ihrer
Art unser Land beglücken wollen. Und der deutsche Reichstag droht zu werden,
was der deutsche Bundestag war. Solange ein mächtiger einheitlicher Wille
die Dinge in Deutschland noch zusammenhält, ist dieser Zustand vielleicht zu
ertragen. Wie aber später? Armes Deutschland!




Notizen.
Die Bedeutung Merws.

In England beschäftigen sich die Zeitungen noch
immer lebhaft mit der Erwerbung der Oase Merw von feiten Rußlands, und
diese Frage, die auch im Parlamente wiederholt erörtert worden ist, hat in der
That für die Stellung der Engländer in Ostasien nicht gewöhnliche Bedeutung.
Ein Blick auf eine gute Karte Afghanistans und feiner Nachbarländer zeigt, wie
nahe jene neueste Erwerbung des "weißen Chans" die unablässig weiter nach
Süden vordringende russische Flut dem Kreise des britische" Einflusses im südlichen
Zentralasien gebracht hat, d. h. wie wenig diese Flut noch vom Lande der Afghanen
entfernt ist, dessen Emir von England Subsidien empfängt, und dessen Grenzen
vor anderthalb Jahrzehnten von Gladstone und Granville abgesteckt wurden. Man
sieht auf einer solchen Karte, daß die afghanische Grenze, von Chodscha Sala am
Oxus ausgehend, zuerst durch Wüsten- und Steppenland, dann durch das Thal des
Mnrgab und über diesen Fluß hinweg bis Sarachs im Westen läuft, wo sie die
Grenze Persiens berührt und von wo sie sich nach Süden wendet, um etwa 14
deutsche Meilen westlich von Herat und ungefähr 4 Meilen westlich von Gurian
bis zum Helmaud weiter hinabzugehen. Merw ist etwa 15 Meilen nördlich von
dieser Linie entfernt, da aber das ganze Land auf der linken Seite des Oxus
unterhalb der Stadt Chodscha Sala als zu Rußland gehörig betrachtet wird, so
folgt, daß seit der Unterwerfung Merws das gesamte Gebiet im Westen der
afghanischen Grenze unter die Obmacht Rußlands geraten wird. Man wird
ferner bemerken, daß die wichtigen Städte Bates und Maimnua, von denen jene
am Oxus, diese in dem wohlcmgebautcn Hügellande an der großen Straße nach
Herat liegt, durch die Einverleibung Merws ebenfalls der Region beträchtlich näher
gebracht worden sind, wo die Russen gebieten. Sie sind deshalb weit weniger
sicher, als vor dem Feldzuge gegen die Achaltekes, der den letzteren Merw ver-


Notizen.

seiner Regierungen. Österreich, Preußen und die Kleinstaaten, so hießen die
drei Gruppen, welche die Zerrissenheit Deutschlands darstellten und ein Ge¬
deihen im deutschen'Volke nicht aufkommen ließen. Der deutsche Bundestag
war das Emblem deutscher Jämmerlichkeit. Heute, wo die Regierungen geeinigt
sind, ist das deutsche Volk selbst in seinen Vertretern wieder der alten Zer¬
rissenheit verfallen. Extreme Parteien rechts und links und die Zentrumspartei
in der Mitte, diese sind es, welche um die Herrschaft ringen und jede in ihrer
Art unser Land beglücken wollen. Und der deutsche Reichstag droht zu werden,
was der deutsche Bundestag war. Solange ein mächtiger einheitlicher Wille
die Dinge in Deutschland noch zusammenhält, ist dieser Zustand vielleicht zu
ertragen. Wie aber später? Armes Deutschland!




Notizen.
Die Bedeutung Merws.

In England beschäftigen sich die Zeitungen noch
immer lebhaft mit der Erwerbung der Oase Merw von feiten Rußlands, und
diese Frage, die auch im Parlamente wiederholt erörtert worden ist, hat in der
That für die Stellung der Engländer in Ostasien nicht gewöhnliche Bedeutung.
Ein Blick auf eine gute Karte Afghanistans und feiner Nachbarländer zeigt, wie
nahe jene neueste Erwerbung des „weißen Chans" die unablässig weiter nach
Süden vordringende russische Flut dem Kreise des britische» Einflusses im südlichen
Zentralasien gebracht hat, d. h. wie wenig diese Flut noch vom Lande der Afghanen
entfernt ist, dessen Emir von England Subsidien empfängt, und dessen Grenzen
vor anderthalb Jahrzehnten von Gladstone und Granville abgesteckt wurden. Man
sieht auf einer solchen Karte, daß die afghanische Grenze, von Chodscha Sala am
Oxus ausgehend, zuerst durch Wüsten- und Steppenland, dann durch das Thal des
Mnrgab und über diesen Fluß hinweg bis Sarachs im Westen läuft, wo sie die
Grenze Persiens berührt und von wo sie sich nach Süden wendet, um etwa 14
deutsche Meilen westlich von Herat und ungefähr 4 Meilen westlich von Gurian
bis zum Helmaud weiter hinabzugehen. Merw ist etwa 15 Meilen nördlich von
dieser Linie entfernt, da aber das ganze Land auf der linken Seite des Oxus
unterhalb der Stadt Chodscha Sala als zu Rußland gehörig betrachtet wird, so
folgt, daß seit der Unterwerfung Merws das gesamte Gebiet im Westen der
afghanischen Grenze unter die Obmacht Rußlands geraten wird. Man wird
ferner bemerken, daß die wichtigen Städte Bates und Maimnua, von denen jene
am Oxus, diese in dem wohlcmgebautcn Hügellande an der großen Straße nach
Herat liegt, durch die Einverleibung Merws ebenfalls der Region beträchtlich näher
gebracht worden sind, wo die Russen gebieten. Sie sind deshalb weit weniger
sicher, als vor dem Feldzuge gegen die Achaltekes, der den letzteren Merw ver-


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[0679] Notizen. seiner Regierungen. Österreich, Preußen und die Kleinstaaten, so hießen die drei Gruppen, welche die Zerrissenheit Deutschlands darstellten und ein Ge¬ deihen im deutschen'Volke nicht aufkommen ließen. Der deutsche Bundestag war das Emblem deutscher Jämmerlichkeit. Heute, wo die Regierungen geeinigt sind, ist das deutsche Volk selbst in seinen Vertretern wieder der alten Zer¬ rissenheit verfallen. Extreme Parteien rechts und links und die Zentrumspartei in der Mitte, diese sind es, welche um die Herrschaft ringen und jede in ihrer Art unser Land beglücken wollen. Und der deutsche Reichstag droht zu werden, was der deutsche Bundestag war. Solange ein mächtiger einheitlicher Wille die Dinge in Deutschland noch zusammenhält, ist dieser Zustand vielleicht zu ertragen. Wie aber später? Armes Deutschland! Notizen. Die Bedeutung Merws. In England beschäftigen sich die Zeitungen noch immer lebhaft mit der Erwerbung der Oase Merw von feiten Rußlands, und diese Frage, die auch im Parlamente wiederholt erörtert worden ist, hat in der That für die Stellung der Engländer in Ostasien nicht gewöhnliche Bedeutung. Ein Blick auf eine gute Karte Afghanistans und feiner Nachbarländer zeigt, wie nahe jene neueste Erwerbung des „weißen Chans" die unablässig weiter nach Süden vordringende russische Flut dem Kreise des britische» Einflusses im südlichen Zentralasien gebracht hat, d. h. wie wenig diese Flut noch vom Lande der Afghanen entfernt ist, dessen Emir von England Subsidien empfängt, und dessen Grenzen vor anderthalb Jahrzehnten von Gladstone und Granville abgesteckt wurden. Man sieht auf einer solchen Karte, daß die afghanische Grenze, von Chodscha Sala am Oxus ausgehend, zuerst durch Wüsten- und Steppenland, dann durch das Thal des Mnrgab und über diesen Fluß hinweg bis Sarachs im Westen läuft, wo sie die Grenze Persiens berührt und von wo sie sich nach Süden wendet, um etwa 14 deutsche Meilen westlich von Herat und ungefähr 4 Meilen westlich von Gurian bis zum Helmaud weiter hinabzugehen. Merw ist etwa 15 Meilen nördlich von dieser Linie entfernt, da aber das ganze Land auf der linken Seite des Oxus unterhalb der Stadt Chodscha Sala als zu Rußland gehörig betrachtet wird, so folgt, daß seit der Unterwerfung Merws das gesamte Gebiet im Westen der afghanischen Grenze unter die Obmacht Rußlands geraten wird. Man wird ferner bemerken, daß die wichtigen Städte Bates und Maimnua, von denen jene am Oxus, diese in dem wohlcmgebautcn Hügellande an der großen Straße nach Herat liegt, durch die Einverleibung Merws ebenfalls der Region beträchtlich näher gebracht worden sind, wo die Russen gebieten. Sie sind deshalb weit weniger sicher, als vor dem Feldzuge gegen die Achaltekes, der den letzteren Merw ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/679>, abgerufen am 04.05.2024.