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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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hat --, zermarterte er sein Hirn mit verwegnen Plänen aller Art, bis ans
einmal das Geschaute nur noch in seiner Vorstellung lebte -- die Nachttoilette
hatte ihr Ende erreicht, die Schöne war in einem Alkoven verschwunden und
die robuste Camerierci blies die Lichter aus.

Der junge Veroneser zündete seinerseits nun ein paar Kerzen an, trat vor
den auch in einem Winkel seines Zimmers stehenden Doppelspiegel und musterte
seine Erscheinung. Er gefiel sich nicht. Vor allen: sein üppig um Kinn und
Lippen wuchernder roter Bart, der Gegenstand des Neides manches jungen
Veroneser Edelmannes, schien ihm heute weit mehr zu dem Charakter eines
Raufboldes als zu dem eines schwärmerischen Anbeters zu gehören. Ob er
eher als ersterer oder als letzterer dein Gegenstande seines Sehnens nahe¬
kommen würde, blieb freilich fraglich. Die junge Dame konnte durch bloßen
Zufall in dein Gasthause, das die Anhänger der Buonaeolsis begünstigten, ein¬
gekehrt sein; für diesen Fall stand einer Anknüpfung vielleicht kein andres
Hindernis im Wege, als der in Verona stadtkundige Ruf Giuseppe Gvnzagas
und das schon ziemlich lange Register seiner Abenteuer. Gehörte sie oder ihr
Stammbaum aber zu der alten, immer noch nicht ganz bekehrten Gegenpartei der
Gonzagas, so mußte die Unsicherheit der Straßen möglicherweise als Mittel
zur Annäherung benutzt werden, sei es, daß Wegelagerer dabei für Giuseppe
Gonzagci in Thätigkeit zu treten hätten, wo er selbst sich dann die Rolle eines
Retters der jungen Dame zuleiten würde, sei es, daß er als politischer Partei¬
gänger die Reisenden zwischen Villa Franca und Verona aufzuheben und auf
Grund irgendeines Verdachtes zeitweilig in einem Schlupfwinkel der gebirgigen
Umgegend festzusetzen habe.

Sehr viel lieber Hütte er ans der Stelle den Conte della Virtu geräumt
und sich mit seinem Diener in der Scala einquartiert. Aber sein Faktotum
Beppo hatte zumeist nnr vormittags seine fünf Sinne beisammen. Ohne Lurn
und Aufsehen war die Umquartieruug also nicht zu beschaffen, und so mußte
schon abgewartet werden, was der nächste Tag im Schilde führe.




Drittes Kapitel.

Mit dem ersten Hahnenrufe war der junge Veroneser wach. Im Neben-
g^mach schnarchte noch auf einem Bündel Reisstroh Beppo. Giuseppe faßte
ihn am Kragen und stellte ihn mit einem kräftigem Ruck auf die Füße. Dann
""es er ihn an, sein struppiges Haupt in einen Wasserzuber zu tauche" -- das
^uzige damals übliche Waschgerät für Dienerzimmer ---, und kehrte, während
Beppo auf diese Weise die letzten Reste seines Rausches Vertrieb, an das Fenster
-Zurück, von welchen, aus er gestern Abend die holde Nachbarin beobachtet hatte.

Es war ein kühler Junimorgen. Hoch in der klaren blauen Luft wirbelte
Lerche. Auf dem ragenden Giebel des Gasthofs zur Scala schmatzte und
schnalzte der frühwache Rotschwauz,


hat —, zermarterte er sein Hirn mit verwegnen Plänen aller Art, bis ans
einmal das Geschaute nur noch in seiner Vorstellung lebte — die Nachttoilette
hatte ihr Ende erreicht, die Schöne war in einem Alkoven verschwunden und
die robuste Camerierci blies die Lichter aus.

Der junge Veroneser zündete seinerseits nun ein paar Kerzen an, trat vor
den auch in einem Winkel seines Zimmers stehenden Doppelspiegel und musterte
seine Erscheinung. Er gefiel sich nicht. Vor allen: sein üppig um Kinn und
Lippen wuchernder roter Bart, der Gegenstand des Neides manches jungen
Veroneser Edelmannes, schien ihm heute weit mehr zu dem Charakter eines
Raufboldes als zu dem eines schwärmerischen Anbeters zu gehören. Ob er
eher als ersterer oder als letzterer dein Gegenstande seines Sehnens nahe¬
kommen würde, blieb freilich fraglich. Die junge Dame konnte durch bloßen
Zufall in dein Gasthause, das die Anhänger der Buonaeolsis begünstigten, ein¬
gekehrt sein; für diesen Fall stand einer Anknüpfung vielleicht kein andres
Hindernis im Wege, als der in Verona stadtkundige Ruf Giuseppe Gvnzagas
und das schon ziemlich lange Register seiner Abenteuer. Gehörte sie oder ihr
Stammbaum aber zu der alten, immer noch nicht ganz bekehrten Gegenpartei der
Gonzagas, so mußte die Unsicherheit der Straßen möglicherweise als Mittel
zur Annäherung benutzt werden, sei es, daß Wegelagerer dabei für Giuseppe
Gonzagci in Thätigkeit zu treten hätten, wo er selbst sich dann die Rolle eines
Retters der jungen Dame zuleiten würde, sei es, daß er als politischer Partei¬
gänger die Reisenden zwischen Villa Franca und Verona aufzuheben und auf
Grund irgendeines Verdachtes zeitweilig in einem Schlupfwinkel der gebirgigen
Umgegend festzusetzen habe.

Sehr viel lieber Hütte er ans der Stelle den Conte della Virtu geräumt
und sich mit seinem Diener in der Scala einquartiert. Aber sein Faktotum
Beppo hatte zumeist nnr vormittags seine fünf Sinne beisammen. Ohne Lurn
und Aufsehen war die Umquartieruug also nicht zu beschaffen, und so mußte
schon abgewartet werden, was der nächste Tag im Schilde führe.




Drittes Kapitel.

Mit dem ersten Hahnenrufe war der junge Veroneser wach. Im Neben-
g^mach schnarchte noch auf einem Bündel Reisstroh Beppo. Giuseppe faßte
ihn am Kragen und stellte ihn mit einem kräftigem Ruck auf die Füße. Dann
""es er ihn an, sein struppiges Haupt in einen Wasserzuber zu tauche» — das
^uzige damals übliche Waschgerät für Dienerzimmer —-, und kehrte, während
Beppo auf diese Weise die letzten Reste seines Rausches Vertrieb, an das Fenster
-Zurück, von welchen, aus er gestern Abend die holde Nachbarin beobachtet hatte.

Es war ein kühler Junimorgen. Hoch in der klaren blauen Luft wirbelte
Lerche. Auf dem ragenden Giebel des Gasthofs zur Scala schmatzte und
schnalzte der frühwache Rotschwauz,


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[0441] hat —, zermarterte er sein Hirn mit verwegnen Plänen aller Art, bis ans einmal das Geschaute nur noch in seiner Vorstellung lebte — die Nachttoilette hatte ihr Ende erreicht, die Schöne war in einem Alkoven verschwunden und die robuste Camerierci blies die Lichter aus. Der junge Veroneser zündete seinerseits nun ein paar Kerzen an, trat vor den auch in einem Winkel seines Zimmers stehenden Doppelspiegel und musterte seine Erscheinung. Er gefiel sich nicht. Vor allen: sein üppig um Kinn und Lippen wuchernder roter Bart, der Gegenstand des Neides manches jungen Veroneser Edelmannes, schien ihm heute weit mehr zu dem Charakter eines Raufboldes als zu dem eines schwärmerischen Anbeters zu gehören. Ob er eher als ersterer oder als letzterer dein Gegenstande seines Sehnens nahe¬ kommen würde, blieb freilich fraglich. Die junge Dame konnte durch bloßen Zufall in dein Gasthause, das die Anhänger der Buonaeolsis begünstigten, ein¬ gekehrt sein; für diesen Fall stand einer Anknüpfung vielleicht kein andres Hindernis im Wege, als der in Verona stadtkundige Ruf Giuseppe Gvnzagas und das schon ziemlich lange Register seiner Abenteuer. Gehörte sie oder ihr Stammbaum aber zu der alten, immer noch nicht ganz bekehrten Gegenpartei der Gonzagas, so mußte die Unsicherheit der Straßen möglicherweise als Mittel zur Annäherung benutzt werden, sei es, daß Wegelagerer dabei für Giuseppe Gonzagci in Thätigkeit zu treten hätten, wo er selbst sich dann die Rolle eines Retters der jungen Dame zuleiten würde, sei es, daß er als politischer Partei¬ gänger die Reisenden zwischen Villa Franca und Verona aufzuheben und auf Grund irgendeines Verdachtes zeitweilig in einem Schlupfwinkel der gebirgigen Umgegend festzusetzen habe. Sehr viel lieber Hütte er ans der Stelle den Conte della Virtu geräumt und sich mit seinem Diener in der Scala einquartiert. Aber sein Faktotum Beppo hatte zumeist nnr vormittags seine fünf Sinne beisammen. Ohne Lurn und Aufsehen war die Umquartieruug also nicht zu beschaffen, und so mußte schon abgewartet werden, was der nächste Tag im Schilde führe. Drittes Kapitel. Mit dem ersten Hahnenrufe war der junge Veroneser wach. Im Neben- g^mach schnarchte noch auf einem Bündel Reisstroh Beppo. Giuseppe faßte ihn am Kragen und stellte ihn mit einem kräftigem Ruck auf die Füße. Dann ""es er ihn an, sein struppiges Haupt in einen Wasserzuber zu tauche» — das ^uzige damals übliche Waschgerät für Dienerzimmer —-, und kehrte, während Beppo auf diese Weise die letzten Reste seines Rausches Vertrieb, an das Fenster -Zurück, von welchen, aus er gestern Abend die holde Nachbarin beobachtet hatte. Es war ein kühler Junimorgen. Hoch in der klaren blauen Luft wirbelte Lerche. Auf dem ragenden Giebel des Gasthofs zur Scala schmatzte und schnalzte der frühwache Rotschwauz,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/441>, abgerufen am 01.05.2024.