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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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genötigt sein, Vorrat zu halten, und die Summe dieser unzähligen Einzelvor¬
räte würde vermutlich weit größer sein als der Vorrat fertiger Waaren, der sich
in den Magazinen des Handels ansammelt. Die Nachfrage würde also wachsen.
Bald jedoch würden die Konsumenten erkennen, daß die Vermittlung des Handels
weit weniger kostspielig ist, als wenn jeder Einzelne die Waare an dem Er-
zcugungsorte aufsuchen, sie selbst transportiren, die Gefahr des Verderbens im
Vorrat selbst tragen, kurz, wenn er alle die zahlreichen Dienste, welche der
Handel leistet, entbehren muß, und es würde daher nicht lange dauern, bis der
Handel die Vermittlung zwischen Produzenten und Konsumenten wieder über¬
nehmen würde. Diese Episode würde den Beweis geliefert haben, daß der
Handel zwar für den Konsumenten unentbehrlich sei, aber auch, daß die Pro¬
duktion für sich der Mitwirkung des Kapitals nicht bedürfe. Das Kapital
würde in der Zeit der Abwesenheit des Handels großenteils müßig gelegen
und der Zinsfuß den tiefsten Stand erreicht, aber weder die Unternehmer noch
die Arbeiter würden gelitten und daher ihre Unabhängigkeit vom Kapital be¬
wiesen haben.


4.

Die Thatsache, daß die Produktion das Kapital nötig habe zur Beschaffung
des Stoffes und der Werkzeuge, weil diese vorhanden sein müssen, bevor die
Arbeit beginnen kann, ist nicht zu verwechseln mit der Lehre der Schule, daß
die Produktion vom Kapital abhängig sei, weil aus diesem die Arbeitslöhne
bezahlt oder doch vorgeschossen werden müßten. Aus dieser irrigen, bereits
widerlegten Lehre werden aber die verhängnisvollsten Konsequenzen gezogen,
und mit diesen wollen wir uns jetzt befassen.

Wenn der Vordersatz richtig ist: Ohne Kapital keine Löhne, so folgt
daraus allerdings, daß großes Angebot von Kapital, also niedriger Zinsfuß,
hohe Löhne erzeugen müsse, oder doch Beschäftigung von mehr Arbeitern, und
umgekehrt, daß bei Kapitalmangel, also bei hohem Zinsfuß, der Lohnsatz fallen
müsse. Daraus folgt dann weiter, daß Kapitalisten und Arbeiter entgegengesetzte
Interessen hätten und also zwei Klassen wären, die sich feindselig gegenüber¬
stehen müßten. Diese Ansicht ist weitverbreitet, nicht nur in der Theorie,
sondern auch im Leben, ja selbst die Gesetzgebung ist davou beeinflußt, insoweit
sie sich bewegen läßt, im angeblichen Interesse der Arbeit auf das Kapital zu
drücke", wie dies beispielsweise bei der projektirteu Knpitalrentensteuer der Fall
ist. Es ist traurig geung, daß es in der Gesellschaft wirklich feindliche Interessen
giebt; umsomehr ist es der Beruf der Wissenschaft, ihre Stimme lant zu erheben,
wo solche Feindschaft durch Mißverständnis erzeugt wird.

Ich habe schon oben gezeigt, daß Kapital und Arbeiter nur die Gehilfen
des Unternehmers sind, daß sie von diesem nach Bedarf zur Mitwirkung bei
der Produktion zugezogen werde", und daß sie also beide gleich abhängig sind


genötigt sein, Vorrat zu halten, und die Summe dieser unzähligen Einzelvor¬
räte würde vermutlich weit größer sein als der Vorrat fertiger Waaren, der sich
in den Magazinen des Handels ansammelt. Die Nachfrage würde also wachsen.
Bald jedoch würden die Konsumenten erkennen, daß die Vermittlung des Handels
weit weniger kostspielig ist, als wenn jeder Einzelne die Waare an dem Er-
zcugungsorte aufsuchen, sie selbst transportiren, die Gefahr des Verderbens im
Vorrat selbst tragen, kurz, wenn er alle die zahlreichen Dienste, welche der
Handel leistet, entbehren muß, und es würde daher nicht lange dauern, bis der
Handel die Vermittlung zwischen Produzenten und Konsumenten wieder über¬
nehmen würde. Diese Episode würde den Beweis geliefert haben, daß der
Handel zwar für den Konsumenten unentbehrlich sei, aber auch, daß die Pro¬
duktion für sich der Mitwirkung des Kapitals nicht bedürfe. Das Kapital
würde in der Zeit der Abwesenheit des Handels großenteils müßig gelegen
und der Zinsfuß den tiefsten Stand erreicht, aber weder die Unternehmer noch
die Arbeiter würden gelitten und daher ihre Unabhängigkeit vom Kapital be¬
wiesen haben.


4.

Die Thatsache, daß die Produktion das Kapital nötig habe zur Beschaffung
des Stoffes und der Werkzeuge, weil diese vorhanden sein müssen, bevor die
Arbeit beginnen kann, ist nicht zu verwechseln mit der Lehre der Schule, daß
die Produktion vom Kapital abhängig sei, weil aus diesem die Arbeitslöhne
bezahlt oder doch vorgeschossen werden müßten. Aus dieser irrigen, bereits
widerlegten Lehre werden aber die verhängnisvollsten Konsequenzen gezogen,
und mit diesen wollen wir uns jetzt befassen.

Wenn der Vordersatz richtig ist: Ohne Kapital keine Löhne, so folgt
daraus allerdings, daß großes Angebot von Kapital, also niedriger Zinsfuß,
hohe Löhne erzeugen müsse, oder doch Beschäftigung von mehr Arbeitern, und
umgekehrt, daß bei Kapitalmangel, also bei hohem Zinsfuß, der Lohnsatz fallen
müsse. Daraus folgt dann weiter, daß Kapitalisten und Arbeiter entgegengesetzte
Interessen hätten und also zwei Klassen wären, die sich feindselig gegenüber¬
stehen müßten. Diese Ansicht ist weitverbreitet, nicht nur in der Theorie,
sondern auch im Leben, ja selbst die Gesetzgebung ist davou beeinflußt, insoweit
sie sich bewegen läßt, im angeblichen Interesse der Arbeit auf das Kapital zu
drücke», wie dies beispielsweise bei der projektirteu Knpitalrentensteuer der Fall
ist. Es ist traurig geung, daß es in der Gesellschaft wirklich feindliche Interessen
giebt; umsomehr ist es der Beruf der Wissenschaft, ihre Stimme lant zu erheben,
wo solche Feindschaft durch Mißverständnis erzeugt wird.

Ich habe schon oben gezeigt, daß Kapital und Arbeiter nur die Gehilfen
des Unternehmers sind, daß sie von diesem nach Bedarf zur Mitwirkung bei
der Produktion zugezogen werde», und daß sie also beide gleich abhängig sind


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/458>, abgerufen am 01.05.2024.