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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Wilhelm Roßmann.

in 6. Februar ist zu Dresden infolge eines Hcrzschlages der
Kuustgelehrte und Schriftsteller Wilhelm Rvßmanu unerwartet
rasch aus dem Leben geschieden. Seiner vollen und frischen
Thätigkeit war er schon seit länger als einem Jahre durch eine
schwere Krankheit, welcher eine sehr langsame Genesung folgte,
entrückt worden. Seit einigen Monate" hatte er wieder begonnen, sich lebhafter
an den Dingen zu beteiligen, welche früher seine ganze Seele erfüllten, und
schien eben bereit, die vielseitigen Pflichten und Aufgaben seines Amtes neu zu
übernehmen, als der Tod ihn überraschte. Wenn das Schicksal immer grausam
erscheint, das einen Mann aus der Mitte seines Lebeus und seiner Thätigkeit
entrafft, so gilt dies in Noßmanns Falle doppelt; er hatte sich Aufgaben ge¬
stellt, die nur bei längerer Lebensdauer zu erfüllen gewesen wären, und Arbeiten
begonnen, von denen nur wenige, seither nicht veröffentlichte noch vollendet sein
werden. Man spürte es der Magerkeit und unerfreulichen Kargheit der in den
Dresdner Zeitungen erschienenen Nekrologe an, daß die Berichterstatter weder
unter dem Drucke einer überwältigenden Meinung standen, welche sich über No߬
manns Streben und Leisten im großen Publikum ausgebildet hatte, noch
daß sie liebevollen Anteil an dem Ringen und Streben des Mannes und an
Anfängen genommen hatten, die erst ein Ganzes werden sollten. Es war wieder
einmal zu empfinden, wie rubrizirt in unserm öffentlichen Leben nachgerade
alles geworden ist, und wie die Leute nur über denjenigen etwas zu sagen wissen,
der einer bestimmten Rubrik fest und unverrückbar angehört, was bei Roßmann
freilich nicht der Fall war.

Wilhelm Roßmann war am 29. Mai 1832 zu Seesen im Herzogtum
Braunschweig geboren, hatte das Gymnasium zu Braunschweig und in den
Jahren 1851 bis 1854 die Universitäten Jena, Tübingen und Göttingen besucht.
Er hatte sich zuerst der Theologie zu widmen beabsichtigt, entschloß sich aber
bereits nach einigen Semestern, hauptsächlich auf Drohsens Anregung, die theo¬
logischen mit historischen Studien zu vertausche", denen er eifrig oblag und bei
denen er eine akademische Laufbahn ins Auge faßte. Namentlich die deutsche
Geschichte des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts zog ihn an, und einigen
Partien derselben widmete er besonders eingehende Teilnahme. Ostern 1856
habilitirte er sich bei der philosophischen Fakultät der Universität Jena und las
dort in verschiedenen Semestern mit steigendem Beifall, veröffentlichte auch zwei


Wilhelm Roßmann.

in 6. Februar ist zu Dresden infolge eines Hcrzschlages der
Kuustgelehrte und Schriftsteller Wilhelm Rvßmanu unerwartet
rasch aus dem Leben geschieden. Seiner vollen und frischen
Thätigkeit war er schon seit länger als einem Jahre durch eine
schwere Krankheit, welcher eine sehr langsame Genesung folgte,
entrückt worden. Seit einigen Monate» hatte er wieder begonnen, sich lebhafter
an den Dingen zu beteiligen, welche früher seine ganze Seele erfüllten, und
schien eben bereit, die vielseitigen Pflichten und Aufgaben seines Amtes neu zu
übernehmen, als der Tod ihn überraschte. Wenn das Schicksal immer grausam
erscheint, das einen Mann aus der Mitte seines Lebeus und seiner Thätigkeit
entrafft, so gilt dies in Noßmanns Falle doppelt; er hatte sich Aufgaben ge¬
stellt, die nur bei längerer Lebensdauer zu erfüllen gewesen wären, und Arbeiten
begonnen, von denen nur wenige, seither nicht veröffentlichte noch vollendet sein
werden. Man spürte es der Magerkeit und unerfreulichen Kargheit der in den
Dresdner Zeitungen erschienenen Nekrologe an, daß die Berichterstatter weder
unter dem Drucke einer überwältigenden Meinung standen, welche sich über No߬
manns Streben und Leisten im großen Publikum ausgebildet hatte, noch
daß sie liebevollen Anteil an dem Ringen und Streben des Mannes und an
Anfängen genommen hatten, die erst ein Ganzes werden sollten. Es war wieder
einmal zu empfinden, wie rubrizirt in unserm öffentlichen Leben nachgerade
alles geworden ist, und wie die Leute nur über denjenigen etwas zu sagen wissen,
der einer bestimmten Rubrik fest und unverrückbar angehört, was bei Roßmann
freilich nicht der Fall war.

Wilhelm Roßmann war am 29. Mai 1832 zu Seesen im Herzogtum
Braunschweig geboren, hatte das Gymnasium zu Braunschweig und in den
Jahren 1851 bis 1854 die Universitäten Jena, Tübingen und Göttingen besucht.
Er hatte sich zuerst der Theologie zu widmen beabsichtigt, entschloß sich aber
bereits nach einigen Semestern, hauptsächlich auf Drohsens Anregung, die theo¬
logischen mit historischen Studien zu vertausche», denen er eifrig oblag und bei
denen er eine akademische Laufbahn ins Auge faßte. Namentlich die deutsche
Geschichte des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts zog ihn an, und einigen
Partien derselben widmete er besonders eingehende Teilnahme. Ostern 1856
habilitirte er sich bei der philosophischen Fakultät der Universität Jena und las
dort in verschiedenen Semestern mit steigendem Beifall, veröffentlichte auch zwei


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[0542] Wilhelm Roßmann. in 6. Februar ist zu Dresden infolge eines Hcrzschlages der Kuustgelehrte und Schriftsteller Wilhelm Rvßmanu unerwartet rasch aus dem Leben geschieden. Seiner vollen und frischen Thätigkeit war er schon seit länger als einem Jahre durch eine schwere Krankheit, welcher eine sehr langsame Genesung folgte, entrückt worden. Seit einigen Monate» hatte er wieder begonnen, sich lebhafter an den Dingen zu beteiligen, welche früher seine ganze Seele erfüllten, und schien eben bereit, die vielseitigen Pflichten und Aufgaben seines Amtes neu zu übernehmen, als der Tod ihn überraschte. Wenn das Schicksal immer grausam erscheint, das einen Mann aus der Mitte seines Lebeus und seiner Thätigkeit entrafft, so gilt dies in Noßmanns Falle doppelt; er hatte sich Aufgaben ge¬ stellt, die nur bei längerer Lebensdauer zu erfüllen gewesen wären, und Arbeiten begonnen, von denen nur wenige, seither nicht veröffentlichte noch vollendet sein werden. Man spürte es der Magerkeit und unerfreulichen Kargheit der in den Dresdner Zeitungen erschienenen Nekrologe an, daß die Berichterstatter weder unter dem Drucke einer überwältigenden Meinung standen, welche sich über No߬ manns Streben und Leisten im großen Publikum ausgebildet hatte, noch daß sie liebevollen Anteil an dem Ringen und Streben des Mannes und an Anfängen genommen hatten, die erst ein Ganzes werden sollten. Es war wieder einmal zu empfinden, wie rubrizirt in unserm öffentlichen Leben nachgerade alles geworden ist, und wie die Leute nur über denjenigen etwas zu sagen wissen, der einer bestimmten Rubrik fest und unverrückbar angehört, was bei Roßmann freilich nicht der Fall war. Wilhelm Roßmann war am 29. Mai 1832 zu Seesen im Herzogtum Braunschweig geboren, hatte das Gymnasium zu Braunschweig und in den Jahren 1851 bis 1854 die Universitäten Jena, Tübingen und Göttingen besucht. Er hatte sich zuerst der Theologie zu widmen beabsichtigt, entschloß sich aber bereits nach einigen Semestern, hauptsächlich auf Drohsens Anregung, die theo¬ logischen mit historischen Studien zu vertausche», denen er eifrig oblag und bei denen er eine akademische Laufbahn ins Auge faßte. Namentlich die deutsche Geschichte des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts zog ihn an, und einigen Partien derselben widmete er besonders eingehende Teilnahme. Ostern 1856 habilitirte er sich bei der philosophischen Fakultät der Universität Jena und las dort in verschiedenen Semestern mit steigendem Beifall, veröffentlichte auch zwei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/542>, abgerufen am 01.05.2024.