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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Siebentes Aapitel.

Das breite, einstöckige Albergo Sanmichele lag, so schien es wenigstens,
in tiefem Schlaf, als die Mandoline, die Guitarre und die Viola it'-unorc; vor
dem breiten, eisenbeschlagenen Thore desselben Posto faßten.

Große Auswahl mochte das Repertoire des Terzetts nicht bieten. Nach
kurzem Präludiren hob es mit der nämlichen hüpfenden Tonweise an, welche
vor einer Stunde die weißlich schimmernde Ginlietta ans Fenster gerufen hatte,
die unbewußte Epigouin jener andern Ginlietta, von welcher nur noch Chro¬
nisten und Poeten zu erzählen wußten.

Ständchen Ware" weder in Verona noch in andern Städten des sang- und
klangreichen Italiens je etwas Ungewöhnliches. Auch um das harmlose Ge¬
klimper der drei ehrbaren Musikliebhaber kümmerte sich daher weder der Wirt
des Albergo noch seine Gattin, noch selbst der weibliche Teil ihres sehr wenig
zahlreichen, für die geringe Frequenz des Gasthofes mit dem Schierlingswappeu
freilich noch immer zu zahlreiche" Dienstpersonals.

Anders der alte Buonaeolsi. Er hatte beim Beziehen seines Quartiers
die Auswahl unter allen sechs oder acht auf die Straßenseite hinausgelegenen
Zimmern gehabt, denn sie standen sämtlich leer. Nur seiner Tochter konnte
demnach das Ständchen gelten.

Er sprang daher im Nachtkleide hurtig aus dem Bette, riß das Fenster
auf und verbat sich die Störung seiner Ruhe.

Dergleichen war nächtlichen Musikbeflissenen nichts neues.

Man habe ihn garnicht im Sinne gehabt, rief der Sänger mit einen:
übrigens ehrerbietigen Hutlüften hinauf, und ohne daß die hüpfende Tonweise
unterbrochen worden Ware, verfügte sich das Terzett unter die Fenster des
uächstanstoßenden Zimmers.

Aber kaum hatte es sich dort wieder mit voller Seele in die Saiten ge¬
legt, als abermals ein Fenster aufgerissen wurde und die nämliche bezipfelte,
weiße Baumwollenmütze zum Vorschein kam.

Dieselben verbietenden, schon etwas lebhafter durch Gestikulationen unter¬
stützten Worte, dieselben höflichen Entschuldigungen und das nämliche Verschieben
der hüpfenden Tonweise unter die Fenster des uächstanstoßenden Zimmers.

So ging es von einer Station zur andern, bis mit einer brennenden
Kerze in der Hand ein grauköpfiger Diener sich zu dem alten, allmählich zornig
werdenden Herrn gesellte, worauf mit neugierigen Augen der Kopf einer rot-
bückigen, robusten Frauensperson in Papilloten an einem abseits liegenden Fenster
sichtbar wurde, von einem Nachtlichte eben deutlich genug beschienen, daß Beppo,
gleich seinem Herrn hinter einem dem Albergo gegenüberstehenden Heuwagen
verborge", jenem zuflüstern konnte, er wisse jetzt, was er habe wissen wollen.


Siebentes Aapitel.

Das breite, einstöckige Albergo Sanmichele lag, so schien es wenigstens,
in tiefem Schlaf, als die Mandoline, die Guitarre und die Viola it'-unorc; vor
dem breiten, eisenbeschlagenen Thore desselben Posto faßten.

Große Auswahl mochte das Repertoire des Terzetts nicht bieten. Nach
kurzem Präludiren hob es mit der nämlichen hüpfenden Tonweise an, welche
vor einer Stunde die weißlich schimmernde Ginlietta ans Fenster gerufen hatte,
die unbewußte Epigouin jener andern Ginlietta, von welcher nur noch Chro¬
nisten und Poeten zu erzählen wußten.

Ständchen Ware» weder in Verona noch in andern Städten des sang- und
klangreichen Italiens je etwas Ungewöhnliches. Auch um das harmlose Ge¬
klimper der drei ehrbaren Musikliebhaber kümmerte sich daher weder der Wirt
des Albergo noch seine Gattin, noch selbst der weibliche Teil ihres sehr wenig
zahlreichen, für die geringe Frequenz des Gasthofes mit dem Schierlingswappeu
freilich noch immer zu zahlreiche» Dienstpersonals.

Anders der alte Buonaeolsi. Er hatte beim Beziehen seines Quartiers
die Auswahl unter allen sechs oder acht auf die Straßenseite hinausgelegenen
Zimmern gehabt, denn sie standen sämtlich leer. Nur seiner Tochter konnte
demnach das Ständchen gelten.

Er sprang daher im Nachtkleide hurtig aus dem Bette, riß das Fenster
auf und verbat sich die Störung seiner Ruhe.

Dergleichen war nächtlichen Musikbeflissenen nichts neues.

Man habe ihn garnicht im Sinne gehabt, rief der Sänger mit einen:
übrigens ehrerbietigen Hutlüften hinauf, und ohne daß die hüpfende Tonweise
unterbrochen worden Ware, verfügte sich das Terzett unter die Fenster des
uächstanstoßenden Zimmers.

Aber kaum hatte es sich dort wieder mit voller Seele in die Saiten ge¬
legt, als abermals ein Fenster aufgerissen wurde und die nämliche bezipfelte,
weiße Baumwollenmütze zum Vorschein kam.

Dieselben verbietenden, schon etwas lebhafter durch Gestikulationen unter¬
stützten Worte, dieselben höflichen Entschuldigungen und das nämliche Verschieben
der hüpfenden Tonweise unter die Fenster des uächstanstoßenden Zimmers.

So ging es von einer Station zur andern, bis mit einer brennenden
Kerze in der Hand ein grauköpfiger Diener sich zu dem alten, allmählich zornig
werdenden Herrn gesellte, worauf mit neugierigen Augen der Kopf einer rot-
bückigen, robusten Frauensperson in Papilloten an einem abseits liegenden Fenster
sichtbar wurde, von einem Nachtlichte eben deutlich genug beschienen, daß Beppo,
gleich seinem Herrn hinter einem dem Albergo gegenüberstehenden Heuwagen
verborge», jenem zuflüstern konnte, er wisse jetzt, was er habe wissen wollen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/595>, abgerufen am 01.05.2024.