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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine Perle.

Wo habt Ihr mich die Rolle spielen sehen? fragte die Kassirerin ohne
Interesse; ich bins; was weiter?

Der Fremde schüttelte verdüstert den Kopf. Es war in Venedig, sagte er.

Im Teatro San Donato.

O ganz recht, ganz recht. Ihr seid eine große Tragödin, und das Ganze
war doch im Lustspieltvn geschrieben! Mein Lebtag werde ich den Trost nicht
loswerden, mit dem Ihr -- als jene entsetzliche Dina -- mich ans allen meinen
Wahnvorstellungen von der unerschöpflichen Güte des weiblichen Herzens heraus -
gescheucht habt. Gut, daß Ihr die Bühne verließe. Es könnten noch andre
beim Nachhausegehen sich sagen: Nicht dem Andronico mußte der Tropf, der
Bilora, die Hirnschale einschlagen -- das arge Weib, die kalt berechnende, von
der reichen Tafel ihres Verführers gefesselte Dina müßte den Tod erleiden.
O welche blutigen Dinge Euer Anblick, Giacinto d'Jsa, wieder vor meine
Augen bringt! Fürchterlich! Grausig!

Er hüllte sich in seinen Mantel, wandte sich ohne Abschied dem Ausgange
zu, und der verwunderte Schließer mußte ihn wieder auf die Straße hinaus¬
lassen.




Sechzehntes Uapitel.

Die Kassirerin stand eine Weile regungslos. Als sie durch eine Bewegung
des Lakaien in die Gegenwart zurückversetzt wurde, sagte sie finster: Ich hatte
davon reden hören, ein junges, ihrem Gatten ungetreues Weib, eine Art kalt
berechnende Dina, ist nach einer der venetianischen Vorstellungen dieses unheim¬
lichen Lustspiels von ihrem Gatten erdolcht worden. Ich habe die Rolle nie
wieder gespielt.

O doch! widersprach der Lakai, ich sah dich selbst darin.

Es war die Rolle, ja, aber nicht die Person, sagte Gicicinta; nie habe ich
sie so wie damals in Venedig aufgefaßt. Aber die Rolle mußte so gespielt
werden, daß sie ein Schandfleck für das ganze Geschlecht war. Es verdient es,
in <Z08visu2g. milU es verdient's, und ich habe mich an meiner Kunst versündigt,
als ich die giftige Natter unter Rosen verbarg.

Darüber Streite dich mit gelehrten Leuten, sagte der Lakai und erhob sich;
ich habe nicht Lust, hier die ganze Nacht zu versitzen. Willst du mir alles
sagen, was du von dem Rotbärtigen weißt? Ja oder nein?

O gewiß, Signor Antonio Maria, schlug die Neapolitanerin wieder den
dienstergebenen Ton an; setzt Euch noch wenige Minuten, er hat braunes,
lockiges, seidenweiches Haar, ganz pechschwarze Augen, lange Wimpern -- als
er sie zuerst wieder aufschlug, versagte mir schier der Atem, so schön war er,
Signor Antonio Maria. Und dann hat er eine ganze Weile meine Hand ge¬
halten, ohne mich anzublicken, ohne zu wissen, wer ich war und wo er sich be-


Um eine Perle.

Wo habt Ihr mich die Rolle spielen sehen? fragte die Kassirerin ohne
Interesse; ich bins; was weiter?

Der Fremde schüttelte verdüstert den Kopf. Es war in Venedig, sagte er.

Im Teatro San Donato.

O ganz recht, ganz recht. Ihr seid eine große Tragödin, und das Ganze
war doch im Lustspieltvn geschrieben! Mein Lebtag werde ich den Trost nicht
loswerden, mit dem Ihr — als jene entsetzliche Dina — mich ans allen meinen
Wahnvorstellungen von der unerschöpflichen Güte des weiblichen Herzens heraus -
gescheucht habt. Gut, daß Ihr die Bühne verließe. Es könnten noch andre
beim Nachhausegehen sich sagen: Nicht dem Andronico mußte der Tropf, der
Bilora, die Hirnschale einschlagen — das arge Weib, die kalt berechnende, von
der reichen Tafel ihres Verführers gefesselte Dina müßte den Tod erleiden.
O welche blutigen Dinge Euer Anblick, Giacinto d'Jsa, wieder vor meine
Augen bringt! Fürchterlich! Grausig!

Er hüllte sich in seinen Mantel, wandte sich ohne Abschied dem Ausgange
zu, und der verwunderte Schließer mußte ihn wieder auf die Straße hinaus¬
lassen.




Sechzehntes Uapitel.

Die Kassirerin stand eine Weile regungslos. Als sie durch eine Bewegung
des Lakaien in die Gegenwart zurückversetzt wurde, sagte sie finster: Ich hatte
davon reden hören, ein junges, ihrem Gatten ungetreues Weib, eine Art kalt
berechnende Dina, ist nach einer der venetianischen Vorstellungen dieses unheim¬
lichen Lustspiels von ihrem Gatten erdolcht worden. Ich habe die Rolle nie
wieder gespielt.

O doch! widersprach der Lakai, ich sah dich selbst darin.

Es war die Rolle, ja, aber nicht die Person, sagte Gicicinta; nie habe ich
sie so wie damals in Venedig aufgefaßt. Aber die Rolle mußte so gespielt
werden, daß sie ein Schandfleck für das ganze Geschlecht war. Es verdient es,
in <Z08visu2g. milU es verdient's, und ich habe mich an meiner Kunst versündigt,
als ich die giftige Natter unter Rosen verbarg.

Darüber Streite dich mit gelehrten Leuten, sagte der Lakai und erhob sich;
ich habe nicht Lust, hier die ganze Nacht zu versitzen. Willst du mir alles
sagen, was du von dem Rotbärtigen weißt? Ja oder nein?

O gewiß, Signor Antonio Maria, schlug die Neapolitanerin wieder den
dienstergebenen Ton an; setzt Euch noch wenige Minuten, er hat braunes,
lockiges, seidenweiches Haar, ganz pechschwarze Augen, lange Wimpern — als
er sie zuerst wieder aufschlug, versagte mir schier der Atem, so schön war er,
Signor Antonio Maria. Und dann hat er eine ganze Weile meine Hand ge¬
halten, ohne mich anzublicken, ohne zu wissen, wer ich war und wo er sich be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/157>, abgerufen am 03.05.2024.