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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Neue Erzählungen von K. (L. Franzos.

art Emil Franzos gehört zu den wenigen Schriftstellern, welche
die rechte Witterung für ihre Zeit haben. Nach den großen Er¬
folgen, die er gleich bei seinem Auftreten mit den Knltnrbildern
aus Halbasieu hatte, war er klug genug, dies begrenzte Gebiet
selbst zu verlassen, bevor das Publikum ihn im Stiche ließ, und
seitdem vergeht fast kein Jahr, ohne daß mindestens ein Band aus seiner frucht¬
baren Feder auf dem Büchermarkt erschiene. Die eigentliche Knlturschilderung,
dieses Zwittergeschöpf echt moderner Art, hat er zwar aufgegeben, aber mit
wohlberechneter Absicht verlegt er alle seine Geschichten in jene halbasiatischen
Gegenden, welche sich von Kraken längs dem Gebirgszüge der Karpathen bis
nach Rumänien erstrecken und in deren halbbarbarischcr Atmosphäre die stärksten
Gegensätze und heftigsten Leidenschaften die wahrscheinlichste Motivirung finden.
Es scheint, daß es heutzutage überhaupt bei den Belletristen üblich wird, sich
dauernd in einem beschränkten geographischen oder historischen Kreise zu be¬
wegen und daß so -- trotz aller Tradition des Gegenteils -- die Welt doch
nnter den Poeten geteilt wird: mit Felix Dahn verbindet man die Vorstellung
des alten Germaniens, mit Ebers die von Ägypten und Franzos führt den
Leser stets nach Halbasicn. Aber in seinen letzten zwei Erzählungen: Der
Präsident und Die Reise nach dem Schicksal, in denen beiden sich der
Ort der Handlung von Wien bis nach dem östlichsten österreichischen Greuz-
stüdtchen Suezawa erstreckt, sind es rein menschliche Probleme, die zur Dar¬
stellung kommen.

Es ist natürlich, daß sich in solchen Arbeite,, der eigentliche Charakter
seiner dichterischen Begabung offenbaren muß. Denn für den Knlturschilderer
ist der Stoff etwas Gegebenes, in seinen Schriften überwiegt auch das stoff¬
liche Juteresse an den für die Literatur ganz neu entdeckten Völkern und Sitten
weitaus jedes andre. Je weniger sich der Knltnrschilderer in seinem sittlichen
Wesen, in seinen allgemeinen Überzeugungen von dem Volke unterscheidet, für
welches er schreibt, umso größer ist sein Publikum, umso objektiver erscheine"
seine Bilder. Anders ist es mit dem frei schaffenden Dichter. Von ihm er¬
wartet man eine ganz individuelle Menschlichkeit, eine eigne Art Menschen und
Dinge anzuschauen, eine sich stark von der Alltäglichkeit unterscheidende Phy¬
siognomie. Er darf uicht auf das Interesse am fremden Kostüm rechnen, ob¬
gleich gerade unsre jetzige Literatur an dieser Kostümirnng der Poesie leidet und


Neue Erzählungen von K. (L. Franzos.

art Emil Franzos gehört zu den wenigen Schriftstellern, welche
die rechte Witterung für ihre Zeit haben. Nach den großen Er¬
folgen, die er gleich bei seinem Auftreten mit den Knltnrbildern
aus Halbasieu hatte, war er klug genug, dies begrenzte Gebiet
selbst zu verlassen, bevor das Publikum ihn im Stiche ließ, und
seitdem vergeht fast kein Jahr, ohne daß mindestens ein Band aus seiner frucht¬
baren Feder auf dem Büchermarkt erschiene. Die eigentliche Knlturschilderung,
dieses Zwittergeschöpf echt moderner Art, hat er zwar aufgegeben, aber mit
wohlberechneter Absicht verlegt er alle seine Geschichten in jene halbasiatischen
Gegenden, welche sich von Kraken längs dem Gebirgszüge der Karpathen bis
nach Rumänien erstrecken und in deren halbbarbarischcr Atmosphäre die stärksten
Gegensätze und heftigsten Leidenschaften die wahrscheinlichste Motivirung finden.
Es scheint, daß es heutzutage überhaupt bei den Belletristen üblich wird, sich
dauernd in einem beschränkten geographischen oder historischen Kreise zu be¬
wegen und daß so — trotz aller Tradition des Gegenteils — die Welt doch
nnter den Poeten geteilt wird: mit Felix Dahn verbindet man die Vorstellung
des alten Germaniens, mit Ebers die von Ägypten und Franzos führt den
Leser stets nach Halbasicn. Aber in seinen letzten zwei Erzählungen: Der
Präsident und Die Reise nach dem Schicksal, in denen beiden sich der
Ort der Handlung von Wien bis nach dem östlichsten österreichischen Greuz-
stüdtchen Suezawa erstreckt, sind es rein menschliche Probleme, die zur Dar¬
stellung kommen.

Es ist natürlich, daß sich in solchen Arbeite,, der eigentliche Charakter
seiner dichterischen Begabung offenbaren muß. Denn für den Knlturschilderer
ist der Stoff etwas Gegebenes, in seinen Schriften überwiegt auch das stoff¬
liche Juteresse an den für die Literatur ganz neu entdeckten Völkern und Sitten
weitaus jedes andre. Je weniger sich der Knltnrschilderer in seinem sittlichen
Wesen, in seinen allgemeinen Überzeugungen von dem Volke unterscheidet, für
welches er schreibt, umso größer ist sein Publikum, umso objektiver erscheine»
seine Bilder. Anders ist es mit dem frei schaffenden Dichter. Von ihm er¬
wartet man eine ganz individuelle Menschlichkeit, eine eigne Art Menschen und
Dinge anzuschauen, eine sich stark von der Alltäglichkeit unterscheidende Phy¬
siognomie. Er darf uicht auf das Interesse am fremden Kostüm rechnen, ob¬
gleich gerade unsre jetzige Literatur an dieser Kostümirnng der Poesie leidet und


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[0309] Neue Erzählungen von K. (L. Franzos. art Emil Franzos gehört zu den wenigen Schriftstellern, welche die rechte Witterung für ihre Zeit haben. Nach den großen Er¬ folgen, die er gleich bei seinem Auftreten mit den Knltnrbildern aus Halbasieu hatte, war er klug genug, dies begrenzte Gebiet selbst zu verlassen, bevor das Publikum ihn im Stiche ließ, und seitdem vergeht fast kein Jahr, ohne daß mindestens ein Band aus seiner frucht¬ baren Feder auf dem Büchermarkt erschiene. Die eigentliche Knlturschilderung, dieses Zwittergeschöpf echt moderner Art, hat er zwar aufgegeben, aber mit wohlberechneter Absicht verlegt er alle seine Geschichten in jene halbasiatischen Gegenden, welche sich von Kraken längs dem Gebirgszüge der Karpathen bis nach Rumänien erstrecken und in deren halbbarbarischcr Atmosphäre die stärksten Gegensätze und heftigsten Leidenschaften die wahrscheinlichste Motivirung finden. Es scheint, daß es heutzutage überhaupt bei den Belletristen üblich wird, sich dauernd in einem beschränkten geographischen oder historischen Kreise zu be¬ wegen und daß so — trotz aller Tradition des Gegenteils — die Welt doch nnter den Poeten geteilt wird: mit Felix Dahn verbindet man die Vorstellung des alten Germaniens, mit Ebers die von Ägypten und Franzos führt den Leser stets nach Halbasicn. Aber in seinen letzten zwei Erzählungen: Der Präsident und Die Reise nach dem Schicksal, in denen beiden sich der Ort der Handlung von Wien bis nach dem östlichsten österreichischen Greuz- stüdtchen Suezawa erstreckt, sind es rein menschliche Probleme, die zur Dar¬ stellung kommen. Es ist natürlich, daß sich in solchen Arbeite,, der eigentliche Charakter seiner dichterischen Begabung offenbaren muß. Denn für den Knlturschilderer ist der Stoff etwas Gegebenes, in seinen Schriften überwiegt auch das stoff¬ liche Juteresse an den für die Literatur ganz neu entdeckten Völkern und Sitten weitaus jedes andre. Je weniger sich der Knltnrschilderer in seinem sittlichen Wesen, in seinen allgemeinen Überzeugungen von dem Volke unterscheidet, für welches er schreibt, umso größer ist sein Publikum, umso objektiver erscheine» seine Bilder. Anders ist es mit dem frei schaffenden Dichter. Von ihm er¬ wartet man eine ganz individuelle Menschlichkeit, eine eigne Art Menschen und Dinge anzuschauen, eine sich stark von der Alltäglichkeit unterscheidende Phy¬ siognomie. Er darf uicht auf das Interesse am fremden Kostüm rechnen, ob¬ gleich gerade unsre jetzige Literatur an dieser Kostümirnng der Poesie leidet und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/309>, abgerufen am 03.05.2024.