Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Ostpreußische Skizzen.

Eine Äußerung Louis Philipps über das Begnadigungsrecht hat eine weiter¬
greifende rechtliche Bedeutung, als die, in der sie von ihm selbst verstanden
wurde. Der König sagte: "Das Recht, die durch die Gesetze verhängten Strafen
zu erlassen oder umzuwandeln, ist in meinen Händen nur ein heiliges anvertrautes
Gut, von dem ich bloß zum Wohle des Staats Gebrauch machen darf; das
Gebot der Milde kann nur durch ein Gebot höherer Ordnung begrenzt sein,
aber es muß es sein." Jeder von uns hat die Pflicht, an seiner Stelle dazu
mitzuwirken, daß dem Gesetze seine volle Geltung verschafft wird, daß nicht durch
seine Schuld ein Glied nach dem andern sich ans der Kette des Gesetzes löst,
daß uicht an Stelle des gesetzgeberischen Willens sein oder eines andern Gut¬
dünken platzgreift, daß nicht zum Schaden der Allgemeinheit der Rechtsbruch
im einzelnen Falle keine gebührende Ahndung findet. Auf welchen Zustand
schamloser Rechtsbeugung die Geschwornen die französische Rechtspflege herunter¬
gebracht haben, sehen wir an den oben angeführten Urteilen. Hüten wir uns,
denselben Weg zu betreten.




Ostpreußische Skizzen.
^. Das Land, Dörfer und Güter, der Adel.

le Landwirtschaft ist, sofern von Produktivität die Rede ist, so
ziemlich das Ein und Alles der Provinz. Im großen und ganzen
kann man Ostpreußen eher fruchtbar nennen als das Gegenteil,
doch steht der Bodenertrag aus zwei Gründen hinter dem der
westlichen Provinzen zurück: der frühe Winter erschwert es un¬
gemein, den Boden nach der Ernte rechtzeitig zu bestellen oder ihn gar noch
durch eine Nachfrucht auszunutzen, und die Viehhaltung ist trotz großer Fort¬
schritte immer noch eine ungenügende. Ein rheinischer Kleinbauer hält auf
fünfundzwanzig bis dreißig Morgen seiue vier bis fünf Stück Kühe und ein
Pferd, dazu noch Jungvieh; in Ostpreußen aber rechnet die Landschaft für
Güter erster Bonnae auf zehn Morgen ein Stück Großvieh, und kleinere
Besitzungen sind eher schlechter als besser ausgerüstet. Auf diesen Punkt
ist auch ein ansehnlicher Teil der Gründe zurückzuführen, weshalb die großen
Güter in der Provinz noch eine so hervorragende Rolle spielen. Nicht nur
tritt an und für sich die unbestreitbare Thatsache, daß die eigentliche, nicht zur
bloßen Gärtnerei gewordne Landwirtschaft noch mehr auf den Großbetrieb


Ostpreußische Skizzen.

Eine Äußerung Louis Philipps über das Begnadigungsrecht hat eine weiter¬
greifende rechtliche Bedeutung, als die, in der sie von ihm selbst verstanden
wurde. Der König sagte: „Das Recht, die durch die Gesetze verhängten Strafen
zu erlassen oder umzuwandeln, ist in meinen Händen nur ein heiliges anvertrautes
Gut, von dem ich bloß zum Wohle des Staats Gebrauch machen darf; das
Gebot der Milde kann nur durch ein Gebot höherer Ordnung begrenzt sein,
aber es muß es sein." Jeder von uns hat die Pflicht, an seiner Stelle dazu
mitzuwirken, daß dem Gesetze seine volle Geltung verschafft wird, daß nicht durch
seine Schuld ein Glied nach dem andern sich ans der Kette des Gesetzes löst,
daß uicht an Stelle des gesetzgeberischen Willens sein oder eines andern Gut¬
dünken platzgreift, daß nicht zum Schaden der Allgemeinheit der Rechtsbruch
im einzelnen Falle keine gebührende Ahndung findet. Auf welchen Zustand
schamloser Rechtsbeugung die Geschwornen die französische Rechtspflege herunter¬
gebracht haben, sehen wir an den oben angeführten Urteilen. Hüten wir uns,
denselben Weg zu betreten.




Ostpreußische Skizzen.
^. Das Land, Dörfer und Güter, der Adel.

le Landwirtschaft ist, sofern von Produktivität die Rede ist, so
ziemlich das Ein und Alles der Provinz. Im großen und ganzen
kann man Ostpreußen eher fruchtbar nennen als das Gegenteil,
doch steht der Bodenertrag aus zwei Gründen hinter dem der
westlichen Provinzen zurück: der frühe Winter erschwert es un¬
gemein, den Boden nach der Ernte rechtzeitig zu bestellen oder ihn gar noch
durch eine Nachfrucht auszunutzen, und die Viehhaltung ist trotz großer Fort¬
schritte immer noch eine ungenügende. Ein rheinischer Kleinbauer hält auf
fünfundzwanzig bis dreißig Morgen seiue vier bis fünf Stück Kühe und ein
Pferd, dazu noch Jungvieh; in Ostpreußen aber rechnet die Landschaft für
Güter erster Bonnae auf zehn Morgen ein Stück Großvieh, und kleinere
Besitzungen sind eher schlechter als besser ausgerüstet. Auf diesen Punkt
ist auch ein ansehnlicher Teil der Gründe zurückzuführen, weshalb die großen
Güter in der Provinz noch eine so hervorragende Rolle spielen. Nicht nur
tritt an und für sich die unbestreitbare Thatsache, daß die eigentliche, nicht zur
bloßen Gärtnerei gewordne Landwirtschaft noch mehr auf den Großbetrieb


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0341" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195730"/>
          <fw type="header" place="top"> Ostpreußische Skizzen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1186"> Eine Äußerung Louis Philipps über das Begnadigungsrecht hat eine weiter¬<lb/>
greifende rechtliche Bedeutung, als die, in der sie von ihm selbst verstanden<lb/>
wurde. Der König sagte: &#x201E;Das Recht, die durch die Gesetze verhängten Strafen<lb/>
zu erlassen oder umzuwandeln, ist in meinen Händen nur ein heiliges anvertrautes<lb/>
Gut, von dem ich bloß zum Wohle des Staats Gebrauch machen darf; das<lb/>
Gebot der Milde kann nur durch ein Gebot höherer Ordnung begrenzt sein,<lb/>
aber es muß es sein." Jeder von uns hat die Pflicht, an seiner Stelle dazu<lb/>
mitzuwirken, daß dem Gesetze seine volle Geltung verschafft wird, daß nicht durch<lb/>
seine Schuld ein Glied nach dem andern sich ans der Kette des Gesetzes löst,<lb/>
daß uicht an Stelle des gesetzgeberischen Willens sein oder eines andern Gut¬<lb/>
dünken platzgreift, daß nicht zum Schaden der Allgemeinheit der Rechtsbruch<lb/>
im einzelnen Falle keine gebührende Ahndung findet. Auf welchen Zustand<lb/>
schamloser Rechtsbeugung die Geschwornen die französische Rechtspflege herunter¬<lb/>
gebracht haben, sehen wir an den oben angeführten Urteilen. Hüten wir uns,<lb/>
denselben Weg zu betreten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ostpreußische Skizzen.<lb/>
^. Das Land, Dörfer und Güter, der Adel. </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1187" next="#ID_1188"> le Landwirtschaft ist, sofern von Produktivität die Rede ist, so<lb/>
ziemlich das Ein und Alles der Provinz. Im großen und ganzen<lb/>
kann man Ostpreußen eher fruchtbar nennen als das Gegenteil,<lb/>
doch steht der Bodenertrag aus zwei Gründen hinter dem der<lb/>
westlichen Provinzen zurück: der frühe Winter erschwert es un¬<lb/>
gemein, den Boden nach der Ernte rechtzeitig zu bestellen oder ihn gar noch<lb/>
durch eine Nachfrucht auszunutzen, und die Viehhaltung ist trotz großer Fort¬<lb/>
schritte immer noch eine ungenügende. Ein rheinischer Kleinbauer hält auf<lb/>
fünfundzwanzig bis dreißig Morgen seiue vier bis fünf Stück Kühe und ein<lb/>
Pferd, dazu noch Jungvieh; in Ostpreußen aber rechnet die Landschaft für<lb/>
Güter erster Bonnae auf zehn Morgen ein Stück Großvieh, und kleinere<lb/>
Besitzungen sind eher schlechter als besser ausgerüstet. Auf diesen Punkt<lb/>
ist auch ein ansehnlicher Teil der Gründe zurückzuführen, weshalb die großen<lb/>
Güter in der Provinz noch eine so hervorragende Rolle spielen. Nicht nur<lb/>
tritt an und für sich die unbestreitbare Thatsache, daß die eigentliche, nicht zur<lb/>
bloßen Gärtnerei gewordne Landwirtschaft noch mehr auf den Großbetrieb</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0341] Ostpreußische Skizzen. Eine Äußerung Louis Philipps über das Begnadigungsrecht hat eine weiter¬ greifende rechtliche Bedeutung, als die, in der sie von ihm selbst verstanden wurde. Der König sagte: „Das Recht, die durch die Gesetze verhängten Strafen zu erlassen oder umzuwandeln, ist in meinen Händen nur ein heiliges anvertrautes Gut, von dem ich bloß zum Wohle des Staats Gebrauch machen darf; das Gebot der Milde kann nur durch ein Gebot höherer Ordnung begrenzt sein, aber es muß es sein." Jeder von uns hat die Pflicht, an seiner Stelle dazu mitzuwirken, daß dem Gesetze seine volle Geltung verschafft wird, daß nicht durch seine Schuld ein Glied nach dem andern sich ans der Kette des Gesetzes löst, daß uicht an Stelle des gesetzgeberischen Willens sein oder eines andern Gut¬ dünken platzgreift, daß nicht zum Schaden der Allgemeinheit der Rechtsbruch im einzelnen Falle keine gebührende Ahndung findet. Auf welchen Zustand schamloser Rechtsbeugung die Geschwornen die französische Rechtspflege herunter¬ gebracht haben, sehen wir an den oben angeführten Urteilen. Hüten wir uns, denselben Weg zu betreten. Ostpreußische Skizzen. ^. Das Land, Dörfer und Güter, der Adel. le Landwirtschaft ist, sofern von Produktivität die Rede ist, so ziemlich das Ein und Alles der Provinz. Im großen und ganzen kann man Ostpreußen eher fruchtbar nennen als das Gegenteil, doch steht der Bodenertrag aus zwei Gründen hinter dem der westlichen Provinzen zurück: der frühe Winter erschwert es un¬ gemein, den Boden nach der Ernte rechtzeitig zu bestellen oder ihn gar noch durch eine Nachfrucht auszunutzen, und die Viehhaltung ist trotz großer Fort¬ schritte immer noch eine ungenügende. Ein rheinischer Kleinbauer hält auf fünfundzwanzig bis dreißig Morgen seiue vier bis fünf Stück Kühe und ein Pferd, dazu noch Jungvieh; in Ostpreußen aber rechnet die Landschaft für Güter erster Bonnae auf zehn Morgen ein Stück Großvieh, und kleinere Besitzungen sind eher schlechter als besser ausgerüstet. Auf diesen Punkt ist auch ein ansehnlicher Teil der Gründe zurückzuführen, weshalb die großen Güter in der Provinz noch eine so hervorragende Rolle spielen. Nicht nur tritt an und für sich die unbestreitbare Thatsache, daß die eigentliche, nicht zur bloßen Gärtnerei gewordne Landwirtschaft noch mehr auf den Großbetrieb

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/341
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/341>, abgerufen am 04.05.2024.