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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Sebalds.

is "den Epiker" schlechtweg läßt sich Wilhelm Jordan in der
Verlagsanzeige seines unter obigem Titel (Stuttgart, Deutsche
Verlagsanstalt, 1885, 2 Bde.) erschienenen Romans "aus der
Gegenwart" ausposaunen -- rein als gälte es, das verehrliche
deutsche Publikum mit fußgroßen Lettern auf den Anschlagszetteln
der Annoncensäulen zu einem Vorleseabende des berühmten Rhapsoden anzu¬
locken. Man kann sich aber leine stärkere Enttäuschung denken, als die man
erlebt, wenn man an diesen Roman mit der Erwartung herantritt, wirklich ein
Epos oder in kindlicher Gläubigkeit "das Epos" zu finden und zu genießen,
welches in solch prahlerisch anmaßenden Tone versprochen wird. Kaum die
Spuren von wahrer Poesie und epischer Art findet man. Wenn es Sache des
Dichters ist, das rein Menschliche als Naturell, als Charakter, als Leiden¬
schaften darzustellen und zu gestalte,,, so findet man in den "Sebalds," mit
geringen Ausnahmen in nicht übel skizzirten Nebengestalten, nichts als allge¬
meine Typen, Haubenstöcke zum Tragen von Ideen, zum Vertreten von Stand¬
punkten des Rnsonnements. Wenn sich das Verhältnis des Dichters zur Welt
-- im Gegensatze zum Manne der Wissenschaft und als Ergänzung der¬
selben --- zunächst auf sein reiches Empfindnngs- und Gemütsleben gründet,
wenn das ganze Weltbild beim wirklich dichterischen Individuum in die Farbe
eines Gemütszustandes getaucht ist und sich in der Dichtung alles derselben
einheitlich unterordnet, so trifft man in Jordan einen sehr gelehrten, wissen¬
schaftlich und dialektisch eminent geschulten, sonst aber nüchternen, mehr speku¬
lativen als empfindsamen Geist. Wohl kennt er theoretisch alle Künste des
wahren Poeten, wohl versucht er Phantasie zu imitiren, etwa das Traumhafte
des dichterischen Genius nachzumachen; aber man merkt das Gekünstelte in dem,
was als unbewußte Natur wirken soll, statt hinzureißen, läßt es kalt, und man
lächelt eher mitleidig über die wiederholten Versuche, etwa den Ton des Märchen¬
haften zu treffen. Alles -- gemacht. Die Kunst des Dichters ist häufig als
die der Versetzung in fremde Zustände bezeichnet worden; aber selbst wo Jordan
ihm naheliegende, Zustände aus dem Leben der gebildeten Gesellschaft dar¬
stellen, um wieviel mehr, wenn er einen Bauern oder ein kleines Kind reden
lassen will, hört man immer nur ihn, den naturwissenschaftlich unterrichteten
Jordan heraus. Und dann: der Epiker x",/ ! Unbeholfen setzt die
Exposition zwei-, dreimal ein, bis die Handlung endlich in Gang gerät, und die


Die Sebalds.

is „den Epiker" schlechtweg läßt sich Wilhelm Jordan in der
Verlagsanzeige seines unter obigem Titel (Stuttgart, Deutsche
Verlagsanstalt, 1885, 2 Bde.) erschienenen Romans „aus der
Gegenwart" ausposaunen — rein als gälte es, das verehrliche
deutsche Publikum mit fußgroßen Lettern auf den Anschlagszetteln
der Annoncensäulen zu einem Vorleseabende des berühmten Rhapsoden anzu¬
locken. Man kann sich aber leine stärkere Enttäuschung denken, als die man
erlebt, wenn man an diesen Roman mit der Erwartung herantritt, wirklich ein
Epos oder in kindlicher Gläubigkeit „das Epos" zu finden und zu genießen,
welches in solch prahlerisch anmaßenden Tone versprochen wird. Kaum die
Spuren von wahrer Poesie und epischer Art findet man. Wenn es Sache des
Dichters ist, das rein Menschliche als Naturell, als Charakter, als Leiden¬
schaften darzustellen und zu gestalte,,, so findet man in den „Sebalds," mit
geringen Ausnahmen in nicht übel skizzirten Nebengestalten, nichts als allge¬
meine Typen, Haubenstöcke zum Tragen von Ideen, zum Vertreten von Stand¬
punkten des Rnsonnements. Wenn sich das Verhältnis des Dichters zur Welt
— im Gegensatze zum Manne der Wissenschaft und als Ergänzung der¬
selben —- zunächst auf sein reiches Empfindnngs- und Gemütsleben gründet,
wenn das ganze Weltbild beim wirklich dichterischen Individuum in die Farbe
eines Gemütszustandes getaucht ist und sich in der Dichtung alles derselben
einheitlich unterordnet, so trifft man in Jordan einen sehr gelehrten, wissen¬
schaftlich und dialektisch eminent geschulten, sonst aber nüchternen, mehr speku¬
lativen als empfindsamen Geist. Wohl kennt er theoretisch alle Künste des
wahren Poeten, wohl versucht er Phantasie zu imitiren, etwa das Traumhafte
des dichterischen Genius nachzumachen; aber man merkt das Gekünstelte in dem,
was als unbewußte Natur wirken soll, statt hinzureißen, läßt es kalt, und man
lächelt eher mitleidig über die wiederholten Versuche, etwa den Ton des Märchen¬
haften zu treffen. Alles — gemacht. Die Kunst des Dichters ist häufig als
die der Versetzung in fremde Zustände bezeichnet worden; aber selbst wo Jordan
ihm naheliegende, Zustände aus dem Leben der gebildeten Gesellschaft dar¬
stellen, um wieviel mehr, wenn er einen Bauern oder ein kleines Kind reden
lassen will, hört man immer nur ihn, den naturwissenschaftlich unterrichteten
Jordan heraus. Und dann: der Epiker x«,/ ! Unbeholfen setzt die
Exposition zwei-, dreimal ein, bis die Handlung endlich in Gang gerät, und die


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[0035] Die Sebalds. is „den Epiker" schlechtweg läßt sich Wilhelm Jordan in der Verlagsanzeige seines unter obigem Titel (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt, 1885, 2 Bde.) erschienenen Romans „aus der Gegenwart" ausposaunen — rein als gälte es, das verehrliche deutsche Publikum mit fußgroßen Lettern auf den Anschlagszetteln der Annoncensäulen zu einem Vorleseabende des berühmten Rhapsoden anzu¬ locken. Man kann sich aber leine stärkere Enttäuschung denken, als die man erlebt, wenn man an diesen Roman mit der Erwartung herantritt, wirklich ein Epos oder in kindlicher Gläubigkeit „das Epos" zu finden und zu genießen, welches in solch prahlerisch anmaßenden Tone versprochen wird. Kaum die Spuren von wahrer Poesie und epischer Art findet man. Wenn es Sache des Dichters ist, das rein Menschliche als Naturell, als Charakter, als Leiden¬ schaften darzustellen und zu gestalte,,, so findet man in den „Sebalds," mit geringen Ausnahmen in nicht übel skizzirten Nebengestalten, nichts als allge¬ meine Typen, Haubenstöcke zum Tragen von Ideen, zum Vertreten von Stand¬ punkten des Rnsonnements. Wenn sich das Verhältnis des Dichters zur Welt — im Gegensatze zum Manne der Wissenschaft und als Ergänzung der¬ selben —- zunächst auf sein reiches Empfindnngs- und Gemütsleben gründet, wenn das ganze Weltbild beim wirklich dichterischen Individuum in die Farbe eines Gemütszustandes getaucht ist und sich in der Dichtung alles derselben einheitlich unterordnet, so trifft man in Jordan einen sehr gelehrten, wissen¬ schaftlich und dialektisch eminent geschulten, sonst aber nüchternen, mehr speku¬ lativen als empfindsamen Geist. Wohl kennt er theoretisch alle Künste des wahren Poeten, wohl versucht er Phantasie zu imitiren, etwa das Traumhafte des dichterischen Genius nachzumachen; aber man merkt das Gekünstelte in dem, was als unbewußte Natur wirken soll, statt hinzureißen, läßt es kalt, und man lächelt eher mitleidig über die wiederholten Versuche, etwa den Ton des Märchen¬ haften zu treffen. Alles — gemacht. Die Kunst des Dichters ist häufig als die der Versetzung in fremde Zustände bezeichnet worden; aber selbst wo Jordan ihm naheliegende, Zustände aus dem Leben der gebildeten Gesellschaft dar¬ stellen, um wieviel mehr, wenn er einen Bauern oder ein kleines Kind reden lassen will, hört man immer nur ihn, den naturwissenschaftlich unterrichteten Jordan heraus. Und dann: der Epiker x«,/ ! Unbeholfen setzt die Exposition zwei-, dreimal ein, bis die Handlung endlich in Gang gerät, und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/35>, abgerufen am 04.05.2024.