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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Iwan Turgenjew in seinen Briefen.

iisdem und -- Bollsbanken angewiesen. Letztere sollen ja Realkredit nicht geben,
thun es aber in großem Umfange. Hier ist für die kapitalarme und an Melio¬
rationsbedürfnissen reiche Provinz noch viel Spielraum.




Iwan Turgenjew in seinen Briefen"
von August LchlZlz.

wem Turgenjew ist unbestritten eine der hervorragendsten Gestalten
in der schöngeistigen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts.
Wie Flaubcrt den realistischen Roman, so hat Turgenjew die
realistische Novelle als Kunstwerk zu einer Stufe der Vollendung
gebracht, die sie weder vor ihm noch bisher nach ihm innegehabt
hat. In der Art ihres Schaffens unterscheiden sich freilich beide Schriftsteller
sehr wesentlich. Flnuberts Thätigkeit bestand darin, in einen Plan, in ein fer¬
tiges Netzwerk die Details mühsam und fleißig einzutragen; Turgenjew dagegen
arbeitete, ein echter Künstler, seine Stoffe plastisch aus der Fülle seiner Phantasie
heraus, indem er alles Überflüssige, alle Hänfuugen ausmerzte und sein Bild
ganz aus unentbehrlichen, charakteristischen Zügen entstehen ließ. Turgenjew
hat sich über die Art seiner Thätigkeit, die für die Technik der Novellistik so
lehrreich ist, selber folgendermaßen geäußert: "Wer im Kunstwerk alle Details
wiedergeben will, der hat sein Spiel von vornherein verloren. Es kommt darauf
an, lediglich die charakteristischen Ziige festzuhalten. Darin vor allem offenbart
sich Talent und Schaffenskraft." Beide Männer stehen als Prosadichter hoch
über dem Troß. Ein Meister ist der Franzose wie der Russe, und jeder von
ihnen hat "Schule" gemacht. Aber Flaubert ging es mit seinen Schülern, wie
es manchen genialen Architekten gegangen ist: sie ahmten den Meister blindlings
nach, und indem sie sich in der Jagd nach Details, nach äoeunrsnts llunuünL
müde hetztei?, sanken sie zu "Maurermeistern" ihrer Kunst herab. Die Talent¬
vollen zogen es dann vor, den Meister zu verleugnen; sie gaben sich entweder
als Schüler des populären Balzac aus, um die Spur des vornehmen, um zehn
Haupteslängen über sie in künstlerischer Beziehung hinwegragenden Flaubert zu
verwischen, oder behaupteten einfach, in neuen Bahnen zu wandeln, Männer
der "Herzenserforschung," eiuer neuen Wissenschaft, zu sein, nicht weichliche
Künstler. Nicht so erging es Turgenjew. Die Prinzipien seines Schaffens
liegen nicht für jeden Nachahmuugslustigen sichtbar an der Oberfläche. Um


Iwan Turgenjew in seinen Briefen.

iisdem und — Bollsbanken angewiesen. Letztere sollen ja Realkredit nicht geben,
thun es aber in großem Umfange. Hier ist für die kapitalarme und an Melio¬
rationsbedürfnissen reiche Provinz noch viel Spielraum.




Iwan Turgenjew in seinen Briefen»
von August LchlZlz.

wem Turgenjew ist unbestritten eine der hervorragendsten Gestalten
in der schöngeistigen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts.
Wie Flaubcrt den realistischen Roman, so hat Turgenjew die
realistische Novelle als Kunstwerk zu einer Stufe der Vollendung
gebracht, die sie weder vor ihm noch bisher nach ihm innegehabt
hat. In der Art ihres Schaffens unterscheiden sich freilich beide Schriftsteller
sehr wesentlich. Flnuberts Thätigkeit bestand darin, in einen Plan, in ein fer¬
tiges Netzwerk die Details mühsam und fleißig einzutragen; Turgenjew dagegen
arbeitete, ein echter Künstler, seine Stoffe plastisch aus der Fülle seiner Phantasie
heraus, indem er alles Überflüssige, alle Hänfuugen ausmerzte und sein Bild
ganz aus unentbehrlichen, charakteristischen Zügen entstehen ließ. Turgenjew
hat sich über die Art seiner Thätigkeit, die für die Technik der Novellistik so
lehrreich ist, selber folgendermaßen geäußert: „Wer im Kunstwerk alle Details
wiedergeben will, der hat sein Spiel von vornherein verloren. Es kommt darauf
an, lediglich die charakteristischen Ziige festzuhalten. Darin vor allem offenbart
sich Talent und Schaffenskraft." Beide Männer stehen als Prosadichter hoch
über dem Troß. Ein Meister ist der Franzose wie der Russe, und jeder von
ihnen hat „Schule" gemacht. Aber Flaubert ging es mit seinen Schülern, wie
es manchen genialen Architekten gegangen ist: sie ahmten den Meister blindlings
nach, und indem sie sich in der Jagd nach Details, nach äoeunrsnts llunuünL
müde hetztei?, sanken sie zu „Maurermeistern" ihrer Kunst herab. Die Talent¬
vollen zogen es dann vor, den Meister zu verleugnen; sie gaben sich entweder
als Schüler des populären Balzac aus, um die Spur des vornehmen, um zehn
Haupteslängen über sie in künstlerischer Beziehung hinwegragenden Flaubert zu
verwischen, oder behaupteten einfach, in neuen Bahnen zu wandeln, Männer
der „Herzenserforschung," eiuer neuen Wissenschaft, zu sein, nicht weichliche
Künstler. Nicht so erging es Turgenjew. Die Prinzipien seines Schaffens
liegen nicht für jeden Nachahmuugslustigen sichtbar an der Oberfläche. Um


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[0351] Iwan Turgenjew in seinen Briefen. iisdem und — Bollsbanken angewiesen. Letztere sollen ja Realkredit nicht geben, thun es aber in großem Umfange. Hier ist für die kapitalarme und an Melio¬ rationsbedürfnissen reiche Provinz noch viel Spielraum. Iwan Turgenjew in seinen Briefen» von August LchlZlz. wem Turgenjew ist unbestritten eine der hervorragendsten Gestalten in der schöngeistigen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts. Wie Flaubcrt den realistischen Roman, so hat Turgenjew die realistische Novelle als Kunstwerk zu einer Stufe der Vollendung gebracht, die sie weder vor ihm noch bisher nach ihm innegehabt hat. In der Art ihres Schaffens unterscheiden sich freilich beide Schriftsteller sehr wesentlich. Flnuberts Thätigkeit bestand darin, in einen Plan, in ein fer¬ tiges Netzwerk die Details mühsam und fleißig einzutragen; Turgenjew dagegen arbeitete, ein echter Künstler, seine Stoffe plastisch aus der Fülle seiner Phantasie heraus, indem er alles Überflüssige, alle Hänfuugen ausmerzte und sein Bild ganz aus unentbehrlichen, charakteristischen Zügen entstehen ließ. Turgenjew hat sich über die Art seiner Thätigkeit, die für die Technik der Novellistik so lehrreich ist, selber folgendermaßen geäußert: „Wer im Kunstwerk alle Details wiedergeben will, der hat sein Spiel von vornherein verloren. Es kommt darauf an, lediglich die charakteristischen Ziige festzuhalten. Darin vor allem offenbart sich Talent und Schaffenskraft." Beide Männer stehen als Prosadichter hoch über dem Troß. Ein Meister ist der Franzose wie der Russe, und jeder von ihnen hat „Schule" gemacht. Aber Flaubert ging es mit seinen Schülern, wie es manchen genialen Architekten gegangen ist: sie ahmten den Meister blindlings nach, und indem sie sich in der Jagd nach Details, nach äoeunrsnts llunuünL müde hetztei?, sanken sie zu „Maurermeistern" ihrer Kunst herab. Die Talent¬ vollen zogen es dann vor, den Meister zu verleugnen; sie gaben sich entweder als Schüler des populären Balzac aus, um die Spur des vornehmen, um zehn Haupteslängen über sie in künstlerischer Beziehung hinwegragenden Flaubert zu verwischen, oder behaupteten einfach, in neuen Bahnen zu wandeln, Männer der „Herzenserforschung," eiuer neuen Wissenschaft, zu sein, nicht weichliche Künstler. Nicht so erging es Turgenjew. Die Prinzipien seines Schaffens liegen nicht für jeden Nachahmuugslustigen sichtbar an der Oberfläche. Um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/351>, abgerufen am 04.05.2024.