Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Reisebriefe ans Italie" vom Jahre l.382.

Briefe an den Schriftsteller Grigvrowitsch, samt etwa fünfzig Skizzen auto¬
biographischen Inhalts zur Vernichtung bestimmt hat.

(Schluß folgt.)




Reisebriefe aus Italien vom Jahre ^882.
Aus dem Nachlasse von !V. Roßmann.

Mailand, 26. Oktober (Hotel Rebecchino).

le Fahrt auf der Gotthardbahn ist ein großer Genuß. Viel Ab¬
wechslung. Man sieht lange Zeit deu Zuger See, dann geht die
Bahn wieder an das Ufer des Vierwaldstätter Sees über, das sie
bei Luzern verlassen hat. Und nun erhalten uns die Majestät der
Natur und die Kühnheit des Menschenwerth in fortwährendem
Staunen. Der große Gotthardtunnel imponirt weniger als mehrere
andre Tunnel diesseits und jenseits, die nicht gerade durch den Berg gehen wie
jener, soudern in einer Spirale darin aufsteigen, sodaß mau hoch über der Einfahrt
aus einer andern Oeffnung wieder herauskommt. Der Berg ist somit in ein
Niesenschneckenhaus verwandelt -- ein Wagnis, das hier zum erstenmale versucht
worden ist. Man hat altertümliche Pyramidaluhren, um welche eine silberne Kugel
herumläuft; sie verschwindet unter in einer Oeffnung, und nach einer Minute er¬
scheint sie wieder oben auf der Galerie. An solche Werke erinnern diese Anlagen.
Wiederholt kommt es vor, daß, wenn der Zug oben aus dem Berge kommt, man
unmittelbar unter sich in der Tiefe eine Bahnstrecke mit der Tnnuelmüudung er¬
blickt, durch die man eingefahren ist. Eiserne Viadnkte von schwindelnder Höhe.

Zu großer und schmerzlicher Überraschung meiner Mitreisenden, die jenseits
des Gotthard den ewig blauen Himmel Italiens erwartet hatten, blieb es dort so
grau wie diesseits. Ja es begann zu regnen, wie es denn viele Tage vorher
geregnet hatte. Doch entsprang hieraus in zahlreichen Wasserfällen und Rinnsalen
ein neuer Reiz. Die Bergwände sahen wie mit Silber gestickt aus. --

Mailand ist eine wohlhäbige, elegante Stadt mit wohlerzogenen, höflichen
Menschen. Man begegnet keinem Armen. Der Gang durch die Passage Vittorio
Emcmuele höchst überraschend. Ich kenne kaum ein zweites modernes Bauwerk von
solcher Großartigkeit und solchem Geschmack. Heraustretend sieht man den Dom.
Puristische Stilkenner sprechen zu geringschätzig von diesem Bauwerke. Allerdings,
in der Fassade mischen sich Renaissance und Gothik auf eine wunderliche Weise;
aber alle Verschiedenheit geht in dem Glanz des herrlichen Materials zusammen:
alles ist vom schönsten Marmor. Oben, wo die Massen sich in zahllose Türmchen,
Spitzen, Fialen und Figuren lösen, erscheinen die Formen wie mit glänzendem
frischen Schnee bestreut, nach unten zu werden die Töne schwärzer, erdfarbiger.
Im Innern -- einer kolossalen fünfschiffiger Halle - ist das Tageslicht durch
zahlreiche gemalte Fenster gebrochen. Ein überwiegend gelblicher Ton giebt eine


Reisebriefe ans Italie» vom Jahre l.382.

Briefe an den Schriftsteller Grigvrowitsch, samt etwa fünfzig Skizzen auto¬
biographischen Inhalts zur Vernichtung bestimmt hat.

(Schluß folgt.)




Reisebriefe aus Italien vom Jahre ^882.
Aus dem Nachlasse von !V. Roßmann.

Mailand, 26. Oktober (Hotel Rebecchino).

le Fahrt auf der Gotthardbahn ist ein großer Genuß. Viel Ab¬
wechslung. Man sieht lange Zeit deu Zuger See, dann geht die
Bahn wieder an das Ufer des Vierwaldstätter Sees über, das sie
bei Luzern verlassen hat. Und nun erhalten uns die Majestät der
Natur und die Kühnheit des Menschenwerth in fortwährendem
Staunen. Der große Gotthardtunnel imponirt weniger als mehrere
andre Tunnel diesseits und jenseits, die nicht gerade durch den Berg gehen wie
jener, soudern in einer Spirale darin aufsteigen, sodaß mau hoch über der Einfahrt
aus einer andern Oeffnung wieder herauskommt. Der Berg ist somit in ein
Niesenschneckenhaus verwandelt — ein Wagnis, das hier zum erstenmale versucht
worden ist. Man hat altertümliche Pyramidaluhren, um welche eine silberne Kugel
herumläuft; sie verschwindet unter in einer Oeffnung, und nach einer Minute er¬
scheint sie wieder oben auf der Galerie. An solche Werke erinnern diese Anlagen.
Wiederholt kommt es vor, daß, wenn der Zug oben aus dem Berge kommt, man
unmittelbar unter sich in der Tiefe eine Bahnstrecke mit der Tnnuelmüudung er¬
blickt, durch die man eingefahren ist. Eiserne Viadnkte von schwindelnder Höhe.

Zu großer und schmerzlicher Überraschung meiner Mitreisenden, die jenseits
des Gotthard den ewig blauen Himmel Italiens erwartet hatten, blieb es dort so
grau wie diesseits. Ja es begann zu regnen, wie es denn viele Tage vorher
geregnet hatte. Doch entsprang hieraus in zahlreichen Wasserfällen und Rinnsalen
ein neuer Reiz. Die Bergwände sahen wie mit Silber gestickt aus. —

Mailand ist eine wohlhäbige, elegante Stadt mit wohlerzogenen, höflichen
Menschen. Man begegnet keinem Armen. Der Gang durch die Passage Vittorio
Emcmuele höchst überraschend. Ich kenne kaum ein zweites modernes Bauwerk von
solcher Großartigkeit und solchem Geschmack. Heraustretend sieht man den Dom.
Puristische Stilkenner sprechen zu geringschätzig von diesem Bauwerke. Allerdings,
in der Fassade mischen sich Renaissance und Gothik auf eine wunderliche Weise;
aber alle Verschiedenheit geht in dem Glanz des herrlichen Materials zusammen:
alles ist vom schönsten Marmor. Oben, wo die Massen sich in zahllose Türmchen,
Spitzen, Fialen und Figuren lösen, erscheinen die Formen wie mit glänzendem
frischen Schnee bestreut, nach unten zu werden die Töne schwärzer, erdfarbiger.
Im Innern — einer kolossalen fünfschiffiger Halle - ist das Tageslicht durch
zahlreiche gemalte Fenster gebrochen. Ein überwiegend gelblicher Ton giebt eine


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0418" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195807"/>
            <fw type="header" place="top"> Reisebriefe ans Italie» vom Jahre l.382.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1442" prev="#ID_1441"> Briefe an den Schriftsteller Grigvrowitsch, samt etwa fünfzig Skizzen auto¬<lb/>
biographischen Inhalts zur Vernichtung bestimmt hat.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1443"> (Schluß folgt.)</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Reisebriefe aus Italien vom Jahre ^882.<lb/><note type="byline"> Aus dem Nachlasse von !V. Roßmann.</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_1444"> Mailand, 26. Oktober (Hotel Rebecchino).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1445"> le Fahrt auf der Gotthardbahn ist ein großer Genuß. Viel Ab¬<lb/>
wechslung. Man sieht lange Zeit deu Zuger See, dann geht die<lb/>
Bahn wieder an das Ufer des Vierwaldstätter Sees über, das sie<lb/>
bei Luzern verlassen hat. Und nun erhalten uns die Majestät der<lb/>
Natur und die Kühnheit des Menschenwerth in fortwährendem<lb/>
Staunen. Der große Gotthardtunnel imponirt weniger als mehrere<lb/>
andre Tunnel diesseits und jenseits, die nicht gerade durch den Berg gehen wie<lb/>
jener, soudern in einer Spirale darin aufsteigen, sodaß mau hoch über der Einfahrt<lb/>
aus einer andern Oeffnung wieder herauskommt. Der Berg ist somit in ein<lb/>
Niesenschneckenhaus verwandelt &#x2014; ein Wagnis, das hier zum erstenmale versucht<lb/>
worden ist. Man hat altertümliche Pyramidaluhren, um welche eine silberne Kugel<lb/>
herumläuft; sie verschwindet unter in einer Oeffnung, und nach einer Minute er¬<lb/>
scheint sie wieder oben auf der Galerie. An solche Werke erinnern diese Anlagen.<lb/>
Wiederholt kommt es vor, daß, wenn der Zug oben aus dem Berge kommt, man<lb/>
unmittelbar unter sich in der Tiefe eine Bahnstrecke mit der Tnnuelmüudung er¬<lb/>
blickt, durch die man eingefahren ist.  Eiserne Viadnkte von schwindelnder Höhe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1446"> Zu großer und schmerzlicher Überraschung meiner Mitreisenden, die jenseits<lb/>
des Gotthard den ewig blauen Himmel Italiens erwartet hatten, blieb es dort so<lb/>
grau wie diesseits. Ja es begann zu regnen, wie es denn viele Tage vorher<lb/>
geregnet hatte. Doch entsprang hieraus in zahlreichen Wasserfällen und Rinnsalen<lb/>
ein neuer Reiz.  Die Bergwände sahen wie mit Silber gestickt aus. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1447" next="#ID_1448"> Mailand ist eine wohlhäbige, elegante Stadt mit wohlerzogenen, höflichen<lb/>
Menschen. Man begegnet keinem Armen. Der Gang durch die Passage Vittorio<lb/>
Emcmuele höchst überraschend. Ich kenne kaum ein zweites modernes Bauwerk von<lb/>
solcher Großartigkeit und solchem Geschmack. Heraustretend sieht man den Dom.<lb/>
Puristische Stilkenner sprechen zu geringschätzig von diesem Bauwerke. Allerdings,<lb/>
in der Fassade mischen sich Renaissance und Gothik auf eine wunderliche Weise;<lb/>
aber alle Verschiedenheit geht in dem Glanz des herrlichen Materials zusammen:<lb/>
alles ist vom schönsten Marmor. Oben, wo die Massen sich in zahllose Türmchen,<lb/>
Spitzen, Fialen und Figuren lösen, erscheinen die Formen wie mit glänzendem<lb/>
frischen Schnee bestreut, nach unten zu werden die Töne schwärzer, erdfarbiger.<lb/>
Im Innern &#x2014; einer kolossalen fünfschiffiger Halle - ist das Tageslicht durch<lb/>
zahlreiche gemalte Fenster gebrochen.  Ein überwiegend gelblicher Ton giebt eine</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0418] Reisebriefe ans Italie» vom Jahre l.382. Briefe an den Schriftsteller Grigvrowitsch, samt etwa fünfzig Skizzen auto¬ biographischen Inhalts zur Vernichtung bestimmt hat. (Schluß folgt.) Reisebriefe aus Italien vom Jahre ^882. Aus dem Nachlasse von !V. Roßmann. Mailand, 26. Oktober (Hotel Rebecchino). le Fahrt auf der Gotthardbahn ist ein großer Genuß. Viel Ab¬ wechslung. Man sieht lange Zeit deu Zuger See, dann geht die Bahn wieder an das Ufer des Vierwaldstätter Sees über, das sie bei Luzern verlassen hat. Und nun erhalten uns die Majestät der Natur und die Kühnheit des Menschenwerth in fortwährendem Staunen. Der große Gotthardtunnel imponirt weniger als mehrere andre Tunnel diesseits und jenseits, die nicht gerade durch den Berg gehen wie jener, soudern in einer Spirale darin aufsteigen, sodaß mau hoch über der Einfahrt aus einer andern Oeffnung wieder herauskommt. Der Berg ist somit in ein Niesenschneckenhaus verwandelt — ein Wagnis, das hier zum erstenmale versucht worden ist. Man hat altertümliche Pyramidaluhren, um welche eine silberne Kugel herumläuft; sie verschwindet unter in einer Oeffnung, und nach einer Minute er¬ scheint sie wieder oben auf der Galerie. An solche Werke erinnern diese Anlagen. Wiederholt kommt es vor, daß, wenn der Zug oben aus dem Berge kommt, man unmittelbar unter sich in der Tiefe eine Bahnstrecke mit der Tnnuelmüudung er¬ blickt, durch die man eingefahren ist. Eiserne Viadnkte von schwindelnder Höhe. Zu großer und schmerzlicher Überraschung meiner Mitreisenden, die jenseits des Gotthard den ewig blauen Himmel Italiens erwartet hatten, blieb es dort so grau wie diesseits. Ja es begann zu regnen, wie es denn viele Tage vorher geregnet hatte. Doch entsprang hieraus in zahlreichen Wasserfällen und Rinnsalen ein neuer Reiz. Die Bergwände sahen wie mit Silber gestickt aus. — Mailand ist eine wohlhäbige, elegante Stadt mit wohlerzogenen, höflichen Menschen. Man begegnet keinem Armen. Der Gang durch die Passage Vittorio Emcmuele höchst überraschend. Ich kenne kaum ein zweites modernes Bauwerk von solcher Großartigkeit und solchem Geschmack. Heraustretend sieht man den Dom. Puristische Stilkenner sprechen zu geringschätzig von diesem Bauwerke. Allerdings, in der Fassade mischen sich Renaissance und Gothik auf eine wunderliche Weise; aber alle Verschiedenheit geht in dem Glanz des herrlichen Materials zusammen: alles ist vom schönsten Marmor. Oben, wo die Massen sich in zahllose Türmchen, Spitzen, Fialen und Figuren lösen, erscheinen die Formen wie mit glänzendem frischen Schnee bestreut, nach unten zu werden die Töne schwärzer, erdfarbiger. Im Innern — einer kolossalen fünfschiffiger Halle - ist das Tageslicht durch zahlreiche gemalte Fenster gebrochen. Ein überwiegend gelblicher Ton giebt eine

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/418
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/418>, abgerufen am 04.05.2024.