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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Der Indianerkrieg in Kanada.

uviel gesagt würde es sein, wenn wir, wie manche thun, Eng¬
land schlechthin als kranken Mann bezeichnen wollten. Aber eine
besonders feste und ungestörte Gesundheit werden wir ihm auch
nicht zuschreiben dürfen, und bisweilen sieht es aus, als ob die
Gladstonesche Krankheit, an der es seit einigen Jahren leidet,
doch auf ein tiefer sitzendes und ernsteres Übel im Körper des Weltreiches
zurückgeführt werden müßte. Bald bricht hier, bald da eine Stelle ans, und kaum
hat die eine sich geschlossen, so öffnet sich stracks eine andre. Fast immer er¬
scheint die Heilung als eine nur unvollständige, ja als eine solche, die schwere
Bedenken für die Zukunft einflößt. Jedenfalls hat das britische Gesamtreich
an Kräften abgenommen, oder seine Mittel sind nicht in dem Maße gewachsen,
wie seine Pflichten gegen sich selbst. Sein Ansehen ist allenthalben im Schwinden.
Man läßt sich von ihm nicht mehr bieten, was man früher von ihm leiden
zu müssen meinte, sich nicht mehr von ihm beschränken und ausbeuten. So in
Afrika, am Nil und am Kap, so in Mittelasien und so jetzt auch im fernen
Westen, wo ein Jndicmerkrieg ausgebrochen ist, der zwar noch keine großen
Dimensionen zeigt und dessen erster Akt mit einem Siege der kanadischen Truppen
endigte, von dem aber Scichkennner befürchten, er sei nur Symptom einer Gäh-
nmg, aus der sich Gefährlicheres entwickeln werde, wenn auch vielleicht erst
später.

Die Zustände und Verhältnisse, welche den Aufstand im nordwestlichen
Kanada verursacht haben, sind im ganzen dieselben wie die, welche in den Ver¬
einigten Staaten schon im vorigen Jahrhundert, noch mehr aber im jetzigen
und besonders seit Erbauung von Eisenbahnen in den Gebieten des Westens
und rascher Besiedlung der großen Prairie-Wildnis zwischen dem Mississippi
und den Küstenstädten Kaliforniens und Oregvns eine Reihe von Kämpfen
zwischen dem Weißen und dem roten Manne hervorriefen. Es ist der Streit
der Kultur mit der Barbarei mit seiner Berechtigung und seinen Ungerechtig¬
keiten, in welchem sich der eingeborne Jägermensch gegen den eindringenden
Ackerbaumenschen, der ihm seine Jagdgründe und damit seine Existenzmittel
nehmen will, nach Kräften zu wehren versucht, und damit verbinden sich in Ka¬
nada andre Elemente und Motive. Vor fünfzig Jahren wüteten in der nord-
amerikanischen Republik langwierige Kriege zwischen dem landhungrigen Jankee-
tum und den Tschirokesen Georgias, sowie den Seminolen Floridas. Später
entzündeten sich längs der großen Schienenwege, die sich allmählich vom Mississippi
bis zum Stillen Ozean ausdehnten, wiederholt blutige Aufstände und Kämpfe
bis in die Region der Felsengebirge hinein. So in den sechziger Jahren, als
die Union- und Zentral-Pacific-Bahn erbaut wurde, so, als die Northern-


Der Indianerkrieg in Kanada.

uviel gesagt würde es sein, wenn wir, wie manche thun, Eng¬
land schlechthin als kranken Mann bezeichnen wollten. Aber eine
besonders feste und ungestörte Gesundheit werden wir ihm auch
nicht zuschreiben dürfen, und bisweilen sieht es aus, als ob die
Gladstonesche Krankheit, an der es seit einigen Jahren leidet,
doch auf ein tiefer sitzendes und ernsteres Übel im Körper des Weltreiches
zurückgeführt werden müßte. Bald bricht hier, bald da eine Stelle ans, und kaum
hat die eine sich geschlossen, so öffnet sich stracks eine andre. Fast immer er¬
scheint die Heilung als eine nur unvollständige, ja als eine solche, die schwere
Bedenken für die Zukunft einflößt. Jedenfalls hat das britische Gesamtreich
an Kräften abgenommen, oder seine Mittel sind nicht in dem Maße gewachsen,
wie seine Pflichten gegen sich selbst. Sein Ansehen ist allenthalben im Schwinden.
Man läßt sich von ihm nicht mehr bieten, was man früher von ihm leiden
zu müssen meinte, sich nicht mehr von ihm beschränken und ausbeuten. So in
Afrika, am Nil und am Kap, so in Mittelasien und so jetzt auch im fernen
Westen, wo ein Jndicmerkrieg ausgebrochen ist, der zwar noch keine großen
Dimensionen zeigt und dessen erster Akt mit einem Siege der kanadischen Truppen
endigte, von dem aber Scichkennner befürchten, er sei nur Symptom einer Gäh-
nmg, aus der sich Gefährlicheres entwickeln werde, wenn auch vielleicht erst
später.

Die Zustände und Verhältnisse, welche den Aufstand im nordwestlichen
Kanada verursacht haben, sind im ganzen dieselben wie die, welche in den Ver¬
einigten Staaten schon im vorigen Jahrhundert, noch mehr aber im jetzigen
und besonders seit Erbauung von Eisenbahnen in den Gebieten des Westens
und rascher Besiedlung der großen Prairie-Wildnis zwischen dem Mississippi
und den Küstenstädten Kaliforniens und Oregvns eine Reihe von Kämpfen
zwischen dem Weißen und dem roten Manne hervorriefen. Es ist der Streit
der Kultur mit der Barbarei mit seiner Berechtigung und seinen Ungerechtig¬
keiten, in welchem sich der eingeborne Jägermensch gegen den eindringenden
Ackerbaumenschen, der ihm seine Jagdgründe und damit seine Existenzmittel
nehmen will, nach Kräften zu wehren versucht, und damit verbinden sich in Ka¬
nada andre Elemente und Motive. Vor fünfzig Jahren wüteten in der nord-
amerikanischen Republik langwierige Kriege zwischen dem landhungrigen Jankee-
tum und den Tschirokesen Georgias, sowie den Seminolen Floridas. Später
entzündeten sich längs der großen Schienenwege, die sich allmählich vom Mississippi
bis zum Stillen Ozean ausdehnten, wiederholt blutige Aufstände und Kämpfe
bis in die Region der Felsengebirge hinein. So in den sechziger Jahren, als
die Union- und Zentral-Pacific-Bahn erbaut wurde, so, als die Northern-


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[0482] Der Indianerkrieg in Kanada. uviel gesagt würde es sein, wenn wir, wie manche thun, Eng¬ land schlechthin als kranken Mann bezeichnen wollten. Aber eine besonders feste und ungestörte Gesundheit werden wir ihm auch nicht zuschreiben dürfen, und bisweilen sieht es aus, als ob die Gladstonesche Krankheit, an der es seit einigen Jahren leidet, doch auf ein tiefer sitzendes und ernsteres Übel im Körper des Weltreiches zurückgeführt werden müßte. Bald bricht hier, bald da eine Stelle ans, und kaum hat die eine sich geschlossen, so öffnet sich stracks eine andre. Fast immer er¬ scheint die Heilung als eine nur unvollständige, ja als eine solche, die schwere Bedenken für die Zukunft einflößt. Jedenfalls hat das britische Gesamtreich an Kräften abgenommen, oder seine Mittel sind nicht in dem Maße gewachsen, wie seine Pflichten gegen sich selbst. Sein Ansehen ist allenthalben im Schwinden. Man läßt sich von ihm nicht mehr bieten, was man früher von ihm leiden zu müssen meinte, sich nicht mehr von ihm beschränken und ausbeuten. So in Afrika, am Nil und am Kap, so in Mittelasien und so jetzt auch im fernen Westen, wo ein Jndicmerkrieg ausgebrochen ist, der zwar noch keine großen Dimensionen zeigt und dessen erster Akt mit einem Siege der kanadischen Truppen endigte, von dem aber Scichkennner befürchten, er sei nur Symptom einer Gäh- nmg, aus der sich Gefährlicheres entwickeln werde, wenn auch vielleicht erst später. Die Zustände und Verhältnisse, welche den Aufstand im nordwestlichen Kanada verursacht haben, sind im ganzen dieselben wie die, welche in den Ver¬ einigten Staaten schon im vorigen Jahrhundert, noch mehr aber im jetzigen und besonders seit Erbauung von Eisenbahnen in den Gebieten des Westens und rascher Besiedlung der großen Prairie-Wildnis zwischen dem Mississippi und den Küstenstädten Kaliforniens und Oregvns eine Reihe von Kämpfen zwischen dem Weißen und dem roten Manne hervorriefen. Es ist der Streit der Kultur mit der Barbarei mit seiner Berechtigung und seinen Ungerechtig¬ keiten, in welchem sich der eingeborne Jägermensch gegen den eindringenden Ackerbaumenschen, der ihm seine Jagdgründe und damit seine Existenzmittel nehmen will, nach Kräften zu wehren versucht, und damit verbinden sich in Ka¬ nada andre Elemente und Motive. Vor fünfzig Jahren wüteten in der nord- amerikanischen Republik langwierige Kriege zwischen dem landhungrigen Jankee- tum und den Tschirokesen Georgias, sowie den Seminolen Floridas. Später entzündeten sich längs der großen Schienenwege, die sich allmählich vom Mississippi bis zum Stillen Ozean ausdehnten, wiederholt blutige Aufstände und Kämpfe bis in die Region der Felsengebirge hinein. So in den sechziger Jahren, als die Union- und Zentral-Pacific-Bahn erbaut wurde, so, als die Northern-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/482>, abgerufen am 03.05.2024.