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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine perle.

Sie schritt aus dem Zimmer, und Beppo folgte. Sie hat den scuto Äig.-
volo im Leibe, brummte er vor sich hin, ich bin wie ihr Schatten dort an der
Wand, sie geht, und ich muß hinterdrein.




Siebenundzwanzigstes Aapitel.

Ein greisenhafter junger Man mit matten grauen Augen, fast schon kahlem
Kopfe und dürftigem schwarzen Schnurrbärte stand am letzten der als Ausschub
bewilligten siebzehn Tage an einem der Fenster der Camera degli Sposi und
lugte mit gespanntem Blick durch die kleine" rundlichen Scheiben in den Hof
hinunter. Es war Francesco, der regierende Herr von Mantua. Er trug
sich in violettem Sammt -- Halbtrauer für seinen erst vor wenigen Monaten
gestorbenen Vater -- und sowohl die feine venetianische Spitzenkrause um seinen
magern Hals wie die Spitzen an seinen gepufften Ärmeln, seinen wulstigen
Kniehosen und seinen bis über die Knöchel heraufreichenden Schnabelschuhen
waren mit violetten Fäden durchzogen. Um seinen Hals hingen zwei goldne
Ketten, die größere, das Abzeichen seiner Oberherrlichkeit, die kleinere mit einer
Amulctkapsel, zwei Vorderzähne des "heiligen" Alohsius enthaltend; ein drittes
unter dem Wamse verborgenes Kettlein gehörte zu dem von Vitaliano herbei¬
geschafften Amulet, welches gegen die Pocken schützen sollte. An der linken
Seite blinkte in der reich mit Diamanten besetzten Scheide ein Dolch.

In der Mitte des mit üppigen Wand- und Dcckenbildern reich geschmückten
Raumes lag auf dem dort stehenden ungewöhnlich niedrigen Schreibtische ein be¬
schriebenes Pergament, dessen Kopfseite uuter ein schweres bronzenes Kruzifix ge¬
schoben war. Eine Kerze, die von der Stattlichkeit einer Altarkerze bis auf ein
winziges, aber sehr umfängliches Stümpfchen herabgekommen war, brannte da¬
neben. Auf der andern Seite des Schriftstückes lagen Petschaft und rvtgcfcirbtes
Wachs zum Siegeln, auch ein Dutzend oder mehr Gänsekiele mit buntfarbigen
Schweife. Das dazu gehörige, dem berühmten venetianischen Ziehbrunnen des
Niccolo de' Conti getreulich nachgebildete Tintenfaß hielt der am Fenster stehende
Herzog in der einen seiner fleischlosen Hände, während er mit der andern einen
goldnen Stift, der an einem Stahlkettchen des Ziehbrunnens hing, mechanisch
in der Dinte hin und herbewegte.

Plötzlich trat er vom Fenster zurück und schritt auf den Schreibtisch zu.
Er glaubte die Kerze sei im Verlöschen, und da die siebzehntägiger Anfschub-
fristen nach einem alten Herkommen zu Ende gingen, wenn die siebzehnte Kerze
im Verlöschen war, so hatte Francesco Eile, denn bei der nämlichen Kerze mußte
der Unterschrift noch das Wachssiegel im letzten Augenblick beigefügt werden,
sonst halte der zum Tode Verurteilte Anspruch auf einen abermaligen siebzehn¬
tägiger Aufschub.


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Um eine perle.

Sie schritt aus dem Zimmer, und Beppo folgte. Sie hat den scuto Äig.-
volo im Leibe, brummte er vor sich hin, ich bin wie ihr Schatten dort an der
Wand, sie geht, und ich muß hinterdrein.




Siebenundzwanzigstes Aapitel.

Ein greisenhafter junger Man mit matten grauen Augen, fast schon kahlem
Kopfe und dürftigem schwarzen Schnurrbärte stand am letzten der als Ausschub
bewilligten siebzehn Tage an einem der Fenster der Camera degli Sposi und
lugte mit gespanntem Blick durch die kleine» rundlichen Scheiben in den Hof
hinunter. Es war Francesco, der regierende Herr von Mantua. Er trug
sich in violettem Sammt — Halbtrauer für seinen erst vor wenigen Monaten
gestorbenen Vater — und sowohl die feine venetianische Spitzenkrause um seinen
magern Hals wie die Spitzen an seinen gepufften Ärmeln, seinen wulstigen
Kniehosen und seinen bis über die Knöchel heraufreichenden Schnabelschuhen
waren mit violetten Fäden durchzogen. Um seinen Hals hingen zwei goldne
Ketten, die größere, das Abzeichen seiner Oberherrlichkeit, die kleinere mit einer
Amulctkapsel, zwei Vorderzähne des „heiligen" Alohsius enthaltend; ein drittes
unter dem Wamse verborgenes Kettlein gehörte zu dem von Vitaliano herbei¬
geschafften Amulet, welches gegen die Pocken schützen sollte. An der linken
Seite blinkte in der reich mit Diamanten besetzten Scheide ein Dolch.

In der Mitte des mit üppigen Wand- und Dcckenbildern reich geschmückten
Raumes lag auf dem dort stehenden ungewöhnlich niedrigen Schreibtische ein be¬
schriebenes Pergament, dessen Kopfseite uuter ein schweres bronzenes Kruzifix ge¬
schoben war. Eine Kerze, die von der Stattlichkeit einer Altarkerze bis auf ein
winziges, aber sehr umfängliches Stümpfchen herabgekommen war, brannte da¬
neben. Auf der andern Seite des Schriftstückes lagen Petschaft und rvtgcfcirbtes
Wachs zum Siegeln, auch ein Dutzend oder mehr Gänsekiele mit buntfarbigen
Schweife. Das dazu gehörige, dem berühmten venetianischen Ziehbrunnen des
Niccolo de' Conti getreulich nachgebildete Tintenfaß hielt der am Fenster stehende
Herzog in der einen seiner fleischlosen Hände, während er mit der andern einen
goldnen Stift, der an einem Stahlkettchen des Ziehbrunnens hing, mechanisch
in der Dinte hin und herbewegte.

Plötzlich trat er vom Fenster zurück und schritt auf den Schreibtisch zu.
Er glaubte die Kerze sei im Verlöschen, und da die siebzehntägiger Anfschub-
fristen nach einem alten Herkommen zu Ende gingen, wenn die siebzehnte Kerze
im Verlöschen war, so hatte Francesco Eile, denn bei der nämlichen Kerze mußte
der Unterschrift noch das Wachssiegel im letzten Augenblick beigefügt werden,
sonst halte der zum Tode Verurteilte Anspruch auf einen abermaligen siebzehn¬
tägiger Aufschub.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/542>, abgerufen am 04.05.2024.