Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Das sächsische Sibirien.

s war ein unwirkliches Gebirge, der alte Miriqnidiwald, dieser
mächtige natürliche Grenzwall zwischen Sachsen und Böhmen,
der sich von den Hochflächen des Elstergebirges ohne tiefere Pa߬
einsenkungen über zwanzig Meilen lang in nordöstlicher Richtung bis
nahe an das Elbthal erstreckt. Die alten Skribenten wußten viel
zu berichten, wie rauh und unfreundlich diese "wilde und furchtsame Ecke" ge¬
wesen sei mit ihren dichten, hohen Wäldern, ihren Fclsenabgründen und Sümpfen,
und welche Gefahren dem Wandrer außerdem durch reißende Tiere gedroht
hätten, des vielfachen Tcufelsspukes garnicht zu gedenken. "Da hörte man,
so schreibt einer dieser Chronisten, viele Meilen weit nichts als der Raben
Rappen, der Bären Brummen, der Wölffe Heulen, der Hirschen Borken, der
Füchse Bellen, der Auerhähne Pfnltzen, der Ottern Zischen, der Frösche xo"5
/??ex6xexex^ Quanten und Nacken, das machte einen Reisenden so lustig, als
hätte er Fliegenschwamme und Kram im Leibe." Und wer den Kamm des
Gebirges glücklich hinter sich hatte, der glaubte Gott für seine Rettung ganz
besonders dankbar sein zu müssen. Der Name eines Städtchens am nördlichen
AbHange des Gebirges, Elterlein, d. i. Altärlein, bezeichnet noch heutigen Tages
die Stätte, wo in Ermangelung eines Gotteshauses an einem Altare auf offner
Straße von den Mönchen des nahen Cistereienserklosters Grünhain Messe ge¬
lesen wurde, sobald eine Anzahl Reisender von Böhmen aus wohlbehalten hier
eingetroffen war.

Fast möchte man glauben, daß die Mehrzahl der modernen geographischen
Werke bei ihrer Schilderung des sächsischen Erzgebirges aus jenen alten Autoren
geschöpft haben. Was finden sich da, sogar noch in einigen der allerneuesten
Schriften, für wunderliche Vorstellungen von dem "sächsischen Sibirien." Dem
sächsischen Sibirien! Ja dieser Name allein, den Gott weiß wer aufgebracht
hat. ist viel mit daran schuld, daß jener Landesteil so in Verruf gekommen ist.
Wahrhaftig, die Bewohner des sächsischen Hochlandes wären von Herzen zu be¬
klagen, wenn alle die Beschreibungen davon zuträfen, wenn man dabei die vor-
handnen Schattenseiten einzelner Gegenden nicht stark übertrieben und auf das
ganze Gebirge übertragen, die Vorzüge nicht allzuoft übersehen hätte.

Wer noch in solchen Vorurteilen befangen ist, der möge nur mit eignen
Augen die landschaftlichen Reize des Erzgebirges kennen lernen; er wird bei
einer Wandrung gerade in dem ehemals so gefürchteten höchsten Teile staunen


Das sächsische Sibirien.

s war ein unwirkliches Gebirge, der alte Miriqnidiwald, dieser
mächtige natürliche Grenzwall zwischen Sachsen und Böhmen,
der sich von den Hochflächen des Elstergebirges ohne tiefere Pa߬
einsenkungen über zwanzig Meilen lang in nordöstlicher Richtung bis
nahe an das Elbthal erstreckt. Die alten Skribenten wußten viel
zu berichten, wie rauh und unfreundlich diese „wilde und furchtsame Ecke" ge¬
wesen sei mit ihren dichten, hohen Wäldern, ihren Fclsenabgründen und Sümpfen,
und welche Gefahren dem Wandrer außerdem durch reißende Tiere gedroht
hätten, des vielfachen Tcufelsspukes garnicht zu gedenken. „Da hörte man,
so schreibt einer dieser Chronisten, viele Meilen weit nichts als der Raben
Rappen, der Bären Brummen, der Wölffe Heulen, der Hirschen Borken, der
Füchse Bellen, der Auerhähne Pfnltzen, der Ottern Zischen, der Frösche xo«5
/??ex6xexex^ Quanten und Nacken, das machte einen Reisenden so lustig, als
hätte er Fliegenschwamme und Kram im Leibe." Und wer den Kamm des
Gebirges glücklich hinter sich hatte, der glaubte Gott für seine Rettung ganz
besonders dankbar sein zu müssen. Der Name eines Städtchens am nördlichen
AbHange des Gebirges, Elterlein, d. i. Altärlein, bezeichnet noch heutigen Tages
die Stätte, wo in Ermangelung eines Gotteshauses an einem Altare auf offner
Straße von den Mönchen des nahen Cistereienserklosters Grünhain Messe ge¬
lesen wurde, sobald eine Anzahl Reisender von Böhmen aus wohlbehalten hier
eingetroffen war.

Fast möchte man glauben, daß die Mehrzahl der modernen geographischen
Werke bei ihrer Schilderung des sächsischen Erzgebirges aus jenen alten Autoren
geschöpft haben. Was finden sich da, sogar noch in einigen der allerneuesten
Schriften, für wunderliche Vorstellungen von dem „sächsischen Sibirien." Dem
sächsischen Sibirien! Ja dieser Name allein, den Gott weiß wer aufgebracht
hat. ist viel mit daran schuld, daß jener Landesteil so in Verruf gekommen ist.
Wahrhaftig, die Bewohner des sächsischen Hochlandes wären von Herzen zu be¬
klagen, wenn alle die Beschreibungen davon zuträfen, wenn man dabei die vor-
handnen Schattenseiten einzelner Gegenden nicht stark übertrieben und auf das
ganze Gebirge übertragen, die Vorzüge nicht allzuoft übersehen hätte.

Wer noch in solchen Vorurteilen befangen ist, der möge nur mit eignen
Augen die landschaftlichen Reize des Erzgebirges kennen lernen; er wird bei
einer Wandrung gerade in dem ehemals so gefürchteten höchsten Teile staunen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0612" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196001"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Das sächsische Sibirien.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2255"> s war ein unwirkliches Gebirge, der alte Miriqnidiwald, dieser<lb/>
mächtige natürliche Grenzwall zwischen Sachsen und Böhmen,<lb/>
der sich von den Hochflächen des Elstergebirges ohne tiefere Pa߬<lb/>
einsenkungen über zwanzig Meilen lang in nordöstlicher Richtung bis<lb/>
nahe an das Elbthal erstreckt. Die alten Skribenten wußten viel<lb/>
zu berichten, wie rauh und unfreundlich diese &#x201E;wilde und furchtsame Ecke" ge¬<lb/>
wesen sei mit ihren dichten, hohen Wäldern, ihren Fclsenabgründen und Sümpfen,<lb/>
und welche Gefahren dem Wandrer außerdem durch reißende Tiere gedroht<lb/>
hätten, des vielfachen Tcufelsspukes garnicht zu gedenken. &#x201E;Da hörte man,<lb/>
so schreibt einer dieser Chronisten, viele Meilen weit nichts als der Raben<lb/>
Rappen, der Bären Brummen, der Wölffe Heulen, der Hirschen Borken, der<lb/>
Füchse Bellen, der Auerhähne Pfnltzen, der Ottern Zischen, der Frösche xo«5<lb/>
/??ex6xexex^ Quanten und Nacken, das machte einen Reisenden so lustig, als<lb/>
hätte er Fliegenschwamme und Kram im Leibe." Und wer den Kamm des<lb/>
Gebirges glücklich hinter sich hatte, der glaubte Gott für seine Rettung ganz<lb/>
besonders dankbar sein zu müssen. Der Name eines Städtchens am nördlichen<lb/>
AbHange des Gebirges, Elterlein, d. i. Altärlein, bezeichnet noch heutigen Tages<lb/>
die Stätte, wo in Ermangelung eines Gotteshauses an einem Altare auf offner<lb/>
Straße von den Mönchen des nahen Cistereienserklosters Grünhain Messe ge¬<lb/>
lesen wurde, sobald eine Anzahl Reisender von Böhmen aus wohlbehalten hier<lb/>
eingetroffen war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2256"> Fast möchte man glauben, daß die Mehrzahl der modernen geographischen<lb/>
Werke bei ihrer Schilderung des sächsischen Erzgebirges aus jenen alten Autoren<lb/>
geschöpft haben. Was finden sich da, sogar noch in einigen der allerneuesten<lb/>
Schriften, für wunderliche Vorstellungen von dem &#x201E;sächsischen Sibirien." Dem<lb/>
sächsischen Sibirien! Ja dieser Name allein, den Gott weiß wer aufgebracht<lb/>
hat. ist viel mit daran schuld, daß jener Landesteil so in Verruf gekommen ist.<lb/>
Wahrhaftig, die Bewohner des sächsischen Hochlandes wären von Herzen zu be¬<lb/>
klagen, wenn alle die Beschreibungen davon zuträfen, wenn man dabei die vor-<lb/>
handnen Schattenseiten einzelner Gegenden nicht stark übertrieben und auf das<lb/>
ganze Gebirge übertragen, die Vorzüge nicht allzuoft übersehen hätte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2257" next="#ID_2258"> Wer noch in solchen Vorurteilen befangen ist, der möge nur mit eignen<lb/>
Augen die landschaftlichen Reize des Erzgebirges kennen lernen; er wird bei<lb/>
einer Wandrung gerade in dem ehemals so gefürchteten höchsten Teile staunen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0612] Das sächsische Sibirien. s war ein unwirkliches Gebirge, der alte Miriqnidiwald, dieser mächtige natürliche Grenzwall zwischen Sachsen und Böhmen, der sich von den Hochflächen des Elstergebirges ohne tiefere Pa߬ einsenkungen über zwanzig Meilen lang in nordöstlicher Richtung bis nahe an das Elbthal erstreckt. Die alten Skribenten wußten viel zu berichten, wie rauh und unfreundlich diese „wilde und furchtsame Ecke" ge¬ wesen sei mit ihren dichten, hohen Wäldern, ihren Fclsenabgründen und Sümpfen, und welche Gefahren dem Wandrer außerdem durch reißende Tiere gedroht hätten, des vielfachen Tcufelsspukes garnicht zu gedenken. „Da hörte man, so schreibt einer dieser Chronisten, viele Meilen weit nichts als der Raben Rappen, der Bären Brummen, der Wölffe Heulen, der Hirschen Borken, der Füchse Bellen, der Auerhähne Pfnltzen, der Ottern Zischen, der Frösche xo«5 /??ex6xexex^ Quanten und Nacken, das machte einen Reisenden so lustig, als hätte er Fliegenschwamme und Kram im Leibe." Und wer den Kamm des Gebirges glücklich hinter sich hatte, der glaubte Gott für seine Rettung ganz besonders dankbar sein zu müssen. Der Name eines Städtchens am nördlichen AbHange des Gebirges, Elterlein, d. i. Altärlein, bezeichnet noch heutigen Tages die Stätte, wo in Ermangelung eines Gotteshauses an einem Altare auf offner Straße von den Mönchen des nahen Cistereienserklosters Grünhain Messe ge¬ lesen wurde, sobald eine Anzahl Reisender von Böhmen aus wohlbehalten hier eingetroffen war. Fast möchte man glauben, daß die Mehrzahl der modernen geographischen Werke bei ihrer Schilderung des sächsischen Erzgebirges aus jenen alten Autoren geschöpft haben. Was finden sich da, sogar noch in einigen der allerneuesten Schriften, für wunderliche Vorstellungen von dem „sächsischen Sibirien." Dem sächsischen Sibirien! Ja dieser Name allein, den Gott weiß wer aufgebracht hat. ist viel mit daran schuld, daß jener Landesteil so in Verruf gekommen ist. Wahrhaftig, die Bewohner des sächsischen Hochlandes wären von Herzen zu be¬ klagen, wenn alle die Beschreibungen davon zuträfen, wenn man dabei die vor- handnen Schattenseiten einzelner Gegenden nicht stark übertrieben und auf das ganze Gebirge übertragen, die Vorzüge nicht allzuoft übersehen hätte. Wer noch in solchen Vorurteilen befangen ist, der möge nur mit eignen Augen die landschaftlichen Reize des Erzgebirges kennen lernen; er wird bei einer Wandrung gerade in dem ehemals so gefürchteten höchsten Teile staunen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/612
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/612>, abgerufen am 03.05.2024.