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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das Sterben auf der Bühne.

Er gelangte zu der Überzeugung, daß ein Gedicht etwas andres sein müßte
als der verwirrte Wortkram, den ein nüchternes Delirium zutage fördert, und
wurde, nachdem er alle Dichtereien, mit denen er sonst, sich selbst belächelnd
und verehrend, vornehm gethan, ins Feuer geworfen, wieder ein besonnener, in
Herz und Gemüt klarer Jüngling, wie er es vorher gewesen." Huoä bonura
tslix llmstnur<zu<z sit!




Das sterben auf der Bühne.
von Rarl Borinski.

le nachstehenden Betrachtungen wurden angeregt dnrch zwei me-
dizinisch gewiß sehr merkwürdige Fülle letaler Agonie, die wir
kürzlich auf den ersten Bühnen Berlins zu studiren Gelegenheit
hatten: den Wahnsinnstod des nach drei Jahren bei uns wieder
auferstandenen Fräuleins "Adrieune Leeonvrenr" und den Krmnpf-
tod des Herrn Dragonerrittmeisters Baron Hubert in Hasses " Ehren¬
schulden."

Wir wollen hier nicht mit denen rechten, denen mit Faust "das Schaudern
der Menschheit bestes Teil" ist; wir wünschen im Gegenteil, daß erfahrene Li-
teratnrärzte, etwa die Herren Stettenheim und Schmidt, ihnen baldmöglichst
statt der einen Szene bei Hesse und des einen Aktes bei Scribe ein ganzes
Drama schenken möchten, welches alle Stadien eines langsam fortschreitenden
Todeskampfes -- derselbe kann ja anch eine Theaterzeit dauern, und der Wahr¬
scheinlichkeit wäre kein Abbruch gethan -- gewissenhaft zur Darstellung brächte.
Wir beschränken uns daraus, mit ihnen einmal die Frage zu erörtern, die gewiß
einer eingehenderen Behandlung als durch diese wenigen Zeilen würdig wäre,
die Frage: Was bedeutet der Tod auf der Bühne und wie weit ragt die qnal-
frohe Hippe seiner hohläugigen Majestät hinein in die Welt des schönen
Scheins?

Der Tod im Drama ist die natürliche Lösung eines unentwirrbar ge¬
wordenen Kausalnexus, der letzte Moment in dem Kampfe des freiheitträu-
meuden Individuums gegen die Notwendigkeit des Alls, diesem Kampfe, der
den ewigen Vorwurf des Dramas bildet. Er ist nicht niederschmetternd, er
ist erhebend, denn er bringt dem Individuum wirklich das, was es im Grunde


Das Sterben auf der Bühne.

Er gelangte zu der Überzeugung, daß ein Gedicht etwas andres sein müßte
als der verwirrte Wortkram, den ein nüchternes Delirium zutage fördert, und
wurde, nachdem er alle Dichtereien, mit denen er sonst, sich selbst belächelnd
und verehrend, vornehm gethan, ins Feuer geworfen, wieder ein besonnener, in
Herz und Gemüt klarer Jüngling, wie er es vorher gewesen." Huoä bonura
tslix llmstnur<zu<z sit!




Das sterben auf der Bühne.
von Rarl Borinski.

le nachstehenden Betrachtungen wurden angeregt dnrch zwei me-
dizinisch gewiß sehr merkwürdige Fülle letaler Agonie, die wir
kürzlich auf den ersten Bühnen Berlins zu studiren Gelegenheit
hatten: den Wahnsinnstod des nach drei Jahren bei uns wieder
auferstandenen Fräuleins „Adrieune Leeonvrenr" und den Krmnpf-
tod des Herrn Dragonerrittmeisters Baron Hubert in Hasses „ Ehren¬
schulden."

Wir wollen hier nicht mit denen rechten, denen mit Faust „das Schaudern
der Menschheit bestes Teil" ist; wir wünschen im Gegenteil, daß erfahrene Li-
teratnrärzte, etwa die Herren Stettenheim und Schmidt, ihnen baldmöglichst
statt der einen Szene bei Hesse und des einen Aktes bei Scribe ein ganzes
Drama schenken möchten, welches alle Stadien eines langsam fortschreitenden
Todeskampfes — derselbe kann ja anch eine Theaterzeit dauern, und der Wahr¬
scheinlichkeit wäre kein Abbruch gethan — gewissenhaft zur Darstellung brächte.
Wir beschränken uns daraus, mit ihnen einmal die Frage zu erörtern, die gewiß
einer eingehenderen Behandlung als durch diese wenigen Zeilen würdig wäre,
die Frage: Was bedeutet der Tod auf der Bühne und wie weit ragt die qnal-
frohe Hippe seiner hohläugigen Majestät hinein in die Welt des schönen
Scheins?

Der Tod im Drama ist die natürliche Lösung eines unentwirrbar ge¬
wordenen Kausalnexus, der letzte Moment in dem Kampfe des freiheitträu-
meuden Individuums gegen die Notwendigkeit des Alls, diesem Kampfe, der
den ewigen Vorwurf des Dramas bildet. Er ist nicht niederschmetternd, er
ist erhebend, denn er bringt dem Individuum wirklich das, was es im Grunde


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[0689] Das Sterben auf der Bühne. Er gelangte zu der Überzeugung, daß ein Gedicht etwas andres sein müßte als der verwirrte Wortkram, den ein nüchternes Delirium zutage fördert, und wurde, nachdem er alle Dichtereien, mit denen er sonst, sich selbst belächelnd und verehrend, vornehm gethan, ins Feuer geworfen, wieder ein besonnener, in Herz und Gemüt klarer Jüngling, wie er es vorher gewesen." Huoä bonura tslix llmstnur<zu<z sit! Das sterben auf der Bühne. von Rarl Borinski. le nachstehenden Betrachtungen wurden angeregt dnrch zwei me- dizinisch gewiß sehr merkwürdige Fülle letaler Agonie, die wir kürzlich auf den ersten Bühnen Berlins zu studiren Gelegenheit hatten: den Wahnsinnstod des nach drei Jahren bei uns wieder auferstandenen Fräuleins „Adrieune Leeonvrenr" und den Krmnpf- tod des Herrn Dragonerrittmeisters Baron Hubert in Hasses „ Ehren¬ schulden." Wir wollen hier nicht mit denen rechten, denen mit Faust „das Schaudern der Menschheit bestes Teil" ist; wir wünschen im Gegenteil, daß erfahrene Li- teratnrärzte, etwa die Herren Stettenheim und Schmidt, ihnen baldmöglichst statt der einen Szene bei Hesse und des einen Aktes bei Scribe ein ganzes Drama schenken möchten, welches alle Stadien eines langsam fortschreitenden Todeskampfes — derselbe kann ja anch eine Theaterzeit dauern, und der Wahr¬ scheinlichkeit wäre kein Abbruch gethan — gewissenhaft zur Darstellung brächte. Wir beschränken uns daraus, mit ihnen einmal die Frage zu erörtern, die gewiß einer eingehenderen Behandlung als durch diese wenigen Zeilen würdig wäre, die Frage: Was bedeutet der Tod auf der Bühne und wie weit ragt die qnal- frohe Hippe seiner hohläugigen Majestät hinein in die Welt des schönen Scheins? Der Tod im Drama ist die natürliche Lösung eines unentwirrbar ge¬ wordenen Kausalnexus, der letzte Moment in dem Kampfe des freiheitträu- meuden Individuums gegen die Notwendigkeit des Alls, diesem Kampfe, der den ewigen Vorwurf des Dramas bildet. Er ist nicht niederschmetternd, er ist erhebend, denn er bringt dem Individuum wirklich das, was es im Grunde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/689>, abgerufen am 04.05.2024.