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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Alberta von puttkamer.

s giebt Sammlungen von Gedichten, die interessanter sind durch
die Persönlichkeit, welche man aus ihnen kennen lernt, als durch
die Bedeutung der Kunst, die sie darbieten. Etwas andres ist
es, Empfindungen, Leidenschaften, Zustände, Erlebnisse mit der
ruhigen Beschaulichkeit des über seinein Stoffe schwebenden Künstlers
darzustellen, dem auch sein eignes Seelenleben Objekt war; etwas andres, im
schriftlichen Ausdruck oder auch im Verse sich allein Befreiung zu schaffen von
dem, was das Herz bedrückt. Dort tritt der Schreibende ganz hinter seinen
Stoff zurück, und das schöne Bild, der merkwürdige Vorgang beschäftigen uns
zunächst; hier stellt sich der Mitteilende mit seiner ganzen, leidenschaftlich bewegten
Persönlichkeit dem Leser vor die Augen. Dort erzeugt er, still gestaltend,
Schönes; hier kann nur die Summe seiner ganzen Erscheinung, und dies mir
dann, wenn sie sich ganz ehrlich und wahrhaftig in ihrem edeln Bestreben aus¬
spricht, dichterisch anmuten. Dort allein ist Kunst, hier Konfession. Und insofern
jeder Mensch, der nach Harmonie, nach Einheit mit sich selbst strebt, eine Welt
für sich ist, anziehend durch die eigenartige Gestaltung seines Naturells und
hingebender Betrachtung wert, insofern sind auch solche Konfessionen stets
interessant.

Zu dieser zweiten Art von Gedichtsammlungen gehören die Dichtungen
von Alberta von Puttkamer (Leipzig, 1885). Wohl ist diesen Dichtungen
ein Streben nach künstlerischer Form anzumerken, auch kann man einzelnen
Stücken, Stimmungsbildern, Hymnen, Gestalten, einen rein dichterischen Wert
zuerkennen. Aber im großen und ganzen ist doch die Frau interessanter als
ihre Kunst. Nach kurzer Lektüre merkt man, daß hier ein weiblicher Feuerkvpf
sich ausspricht, dem man nicht immer beizustimmen, aber stets zuzuhören geneigt
ist. Und wenn man näher zusteht und erkennt, wie wahr und ehrlich empfunden
meist die Schmerzen sind, denen hier Ausdruck verliehen wurde, wie organisch
einheitlich Erlebnis, Anschauung und Gesinnung sind, so ersteht vor einem un¬
willkürlich das ganze Bild dieser geistreichen Frau, mau glaubt eine Gestalt
aus dem Jean Paulschell Kreise oder eine aus seiner Phantasiewelt vor sich
zu sehen, und fühlt sich versucht, diese Persönlichkeit aus ihren Gedichten zu
konstruiren.

Ju der "Vision bei Geibels Tod" schildert sich die Dichterin selbst, indem
sie von der Wirkung seiner Werke ans ihr Gemüt berichtet.


Alberta von puttkamer.

s giebt Sammlungen von Gedichten, die interessanter sind durch
die Persönlichkeit, welche man aus ihnen kennen lernt, als durch
die Bedeutung der Kunst, die sie darbieten. Etwas andres ist
es, Empfindungen, Leidenschaften, Zustände, Erlebnisse mit der
ruhigen Beschaulichkeit des über seinein Stoffe schwebenden Künstlers
darzustellen, dem auch sein eignes Seelenleben Objekt war; etwas andres, im
schriftlichen Ausdruck oder auch im Verse sich allein Befreiung zu schaffen von
dem, was das Herz bedrückt. Dort tritt der Schreibende ganz hinter seinen
Stoff zurück, und das schöne Bild, der merkwürdige Vorgang beschäftigen uns
zunächst; hier stellt sich der Mitteilende mit seiner ganzen, leidenschaftlich bewegten
Persönlichkeit dem Leser vor die Augen. Dort erzeugt er, still gestaltend,
Schönes; hier kann nur die Summe seiner ganzen Erscheinung, und dies mir
dann, wenn sie sich ganz ehrlich und wahrhaftig in ihrem edeln Bestreben aus¬
spricht, dichterisch anmuten. Dort allein ist Kunst, hier Konfession. Und insofern
jeder Mensch, der nach Harmonie, nach Einheit mit sich selbst strebt, eine Welt
für sich ist, anziehend durch die eigenartige Gestaltung seines Naturells und
hingebender Betrachtung wert, insofern sind auch solche Konfessionen stets
interessant.

Zu dieser zweiten Art von Gedichtsammlungen gehören die Dichtungen
von Alberta von Puttkamer (Leipzig, 1885). Wohl ist diesen Dichtungen
ein Streben nach künstlerischer Form anzumerken, auch kann man einzelnen
Stücken, Stimmungsbildern, Hymnen, Gestalten, einen rein dichterischen Wert
zuerkennen. Aber im großen und ganzen ist doch die Frau interessanter als
ihre Kunst. Nach kurzer Lektüre merkt man, daß hier ein weiblicher Feuerkvpf
sich ausspricht, dem man nicht immer beizustimmen, aber stets zuzuhören geneigt
ist. Und wenn man näher zusteht und erkennt, wie wahr und ehrlich empfunden
meist die Schmerzen sind, denen hier Ausdruck verliehen wurde, wie organisch
einheitlich Erlebnis, Anschauung und Gesinnung sind, so ersteht vor einem un¬
willkürlich das ganze Bild dieser geistreichen Frau, mau glaubt eine Gestalt
aus dem Jean Paulschell Kreise oder eine aus seiner Phantasiewelt vor sich
zu sehen, und fühlt sich versucht, diese Persönlichkeit aus ihren Gedichten zu
konstruiren.

Ju der „Vision bei Geibels Tod" schildert sich die Dichterin selbst, indem
sie von der Wirkung seiner Werke ans ihr Gemüt berichtet.


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[0127] Alberta von puttkamer. s giebt Sammlungen von Gedichten, die interessanter sind durch die Persönlichkeit, welche man aus ihnen kennen lernt, als durch die Bedeutung der Kunst, die sie darbieten. Etwas andres ist es, Empfindungen, Leidenschaften, Zustände, Erlebnisse mit der ruhigen Beschaulichkeit des über seinein Stoffe schwebenden Künstlers darzustellen, dem auch sein eignes Seelenleben Objekt war; etwas andres, im schriftlichen Ausdruck oder auch im Verse sich allein Befreiung zu schaffen von dem, was das Herz bedrückt. Dort tritt der Schreibende ganz hinter seinen Stoff zurück, und das schöne Bild, der merkwürdige Vorgang beschäftigen uns zunächst; hier stellt sich der Mitteilende mit seiner ganzen, leidenschaftlich bewegten Persönlichkeit dem Leser vor die Augen. Dort erzeugt er, still gestaltend, Schönes; hier kann nur die Summe seiner ganzen Erscheinung, und dies mir dann, wenn sie sich ganz ehrlich und wahrhaftig in ihrem edeln Bestreben aus¬ spricht, dichterisch anmuten. Dort allein ist Kunst, hier Konfession. Und insofern jeder Mensch, der nach Harmonie, nach Einheit mit sich selbst strebt, eine Welt für sich ist, anziehend durch die eigenartige Gestaltung seines Naturells und hingebender Betrachtung wert, insofern sind auch solche Konfessionen stets interessant. Zu dieser zweiten Art von Gedichtsammlungen gehören die Dichtungen von Alberta von Puttkamer (Leipzig, 1885). Wohl ist diesen Dichtungen ein Streben nach künstlerischer Form anzumerken, auch kann man einzelnen Stücken, Stimmungsbildern, Hymnen, Gestalten, einen rein dichterischen Wert zuerkennen. Aber im großen und ganzen ist doch die Frau interessanter als ihre Kunst. Nach kurzer Lektüre merkt man, daß hier ein weiblicher Feuerkvpf sich ausspricht, dem man nicht immer beizustimmen, aber stets zuzuhören geneigt ist. Und wenn man näher zusteht und erkennt, wie wahr und ehrlich empfunden meist die Schmerzen sind, denen hier Ausdruck verliehen wurde, wie organisch einheitlich Erlebnis, Anschauung und Gesinnung sind, so ersteht vor einem un¬ willkürlich das ganze Bild dieser geistreichen Frau, mau glaubt eine Gestalt aus dem Jean Paulschell Kreise oder eine aus seiner Phantasiewelt vor sich zu sehen, und fühlt sich versucht, diese Persönlichkeit aus ihren Gedichten zu konstruiren. Ju der „Vision bei Geibels Tod" schildert sich die Dichterin selbst, indem sie von der Wirkung seiner Werke ans ihr Gemüt berichtet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/127>, abgerufen am 30.04.2024.