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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Das richterliche Urteil und die Phrase.

und nicht wünscht, und was es zu bieten hat, wenn man ihm dabei, soweit man
sich dadurch nicht selbst anderswo ins Licht tritt, Unterstützung zu gewähren
bereit ist.




Das richterliche Urteil und die Phrase.

"laß zu dieser Besprechung giebt uns ein in jüngster Zeit ent-
schiedner Strafprozeß, der Prozeß wider den Redakteur der in
Berlin erscheinenden "Freien Zeitung" wegen Beleidigung des
Hofpredigers Stöcker, ein Prozeß, der, nächst dem vor elf Jahren
verhandelten Prozeß Arnim, wohl mehr als jeder andre die
öffentliche Aufmerksamkeit in Deutschland auf sich gezogen hat. Die Tages¬
blätter haben ausführliche Mitteilungen über die Verhandlungen in diesem Pro¬
zesse gebracht, auch das von dem Vorsitzenden des Gerichts verkündete Urteil um¬
fassend wiedergegeben. Wenn auch nach § 267 der Strafprozeßordnung bei
erfolgter Aussetzung der Entscheidung die Urteilsgrüude zur Zeit der Verkün¬
digung schon schriftlich festgestellt sein mußten, so scheint doch, wie man nach
Inhalt der Verkündigung annehmen muß, der Vorsitzende von der Befugnis
Gebrauch gemacht zu haben, die Urteilsgründe, statt sie aus der schriftlichen
Aufzeichnung zu verlesen, "ihrem wesentlichen Inhalte nach" in freier mündlicher
Rede mitzuteilen, und es wird daher die veröffentlichte Entscheidung auf einer
stenographischen Aufzeichnung dieser mündlichen Rede beruhen. Da nun aber
einmal das Urteil in dieser Form in die Öffentlichkeit gelangt ist, so werden
wir diese Form einstweilen auch als die authentische betrachten und an sie unsre
Bemerkungen knüpfen dürfen.

Von vornherein wollen wir aussprechen, daß es uns hier nicht um eine
Verteidigung des Hvfprcdigers Stöcker zu thun ist. Wir bekennen offen, daß
wir keine Anhänger dieses Mannes sind. Wenn wir auch glauben, daß derselbe
in voller Überzeuguugstrcue für Zwecke, die er für gut hält, in die Bewegung
der Zeit eingetreten ist, so erachten wir doch die von ihm gewählten Mittel und
Wege nicht für die richtigen. Das, was uns zur Feder greifen läßt, ist allein
der Wunsch, daß in Prozessen dieser Art die Gerichte stets eine ihrer völlig
würdige Haltung einnehmen und nicht -- wenn auch nur unbewußt -- sich zu
Werkzeugen politischer Agitation hergeben möchten.

Seitdem die Redekunst in den Parlamenten zu großer Bedeutung gelangt
ist, ist sie natürlich bemüht gewesen, sich aller derjenigen oratorischen Mittel zu


Das richterliche Urteil und die Phrase.

und nicht wünscht, und was es zu bieten hat, wenn man ihm dabei, soweit man
sich dadurch nicht selbst anderswo ins Licht tritt, Unterstützung zu gewähren
bereit ist.




Das richterliche Urteil und die Phrase.

«laß zu dieser Besprechung giebt uns ein in jüngster Zeit ent-
schiedner Strafprozeß, der Prozeß wider den Redakteur der in
Berlin erscheinenden „Freien Zeitung" wegen Beleidigung des
Hofpredigers Stöcker, ein Prozeß, der, nächst dem vor elf Jahren
verhandelten Prozeß Arnim, wohl mehr als jeder andre die
öffentliche Aufmerksamkeit in Deutschland auf sich gezogen hat. Die Tages¬
blätter haben ausführliche Mitteilungen über die Verhandlungen in diesem Pro¬
zesse gebracht, auch das von dem Vorsitzenden des Gerichts verkündete Urteil um¬
fassend wiedergegeben. Wenn auch nach § 267 der Strafprozeßordnung bei
erfolgter Aussetzung der Entscheidung die Urteilsgrüude zur Zeit der Verkün¬
digung schon schriftlich festgestellt sein mußten, so scheint doch, wie man nach
Inhalt der Verkündigung annehmen muß, der Vorsitzende von der Befugnis
Gebrauch gemacht zu haben, die Urteilsgründe, statt sie aus der schriftlichen
Aufzeichnung zu verlesen, „ihrem wesentlichen Inhalte nach" in freier mündlicher
Rede mitzuteilen, und es wird daher die veröffentlichte Entscheidung auf einer
stenographischen Aufzeichnung dieser mündlichen Rede beruhen. Da nun aber
einmal das Urteil in dieser Form in die Öffentlichkeit gelangt ist, so werden
wir diese Form einstweilen auch als die authentische betrachten und an sie unsre
Bemerkungen knüpfen dürfen.

Von vornherein wollen wir aussprechen, daß es uns hier nicht um eine
Verteidigung des Hvfprcdigers Stöcker zu thun ist. Wir bekennen offen, daß
wir keine Anhänger dieses Mannes sind. Wenn wir auch glauben, daß derselbe
in voller Überzeuguugstrcue für Zwecke, die er für gut hält, in die Bewegung
der Zeit eingetreten ist, so erachten wir doch die von ihm gewählten Mittel und
Wege nicht für die richtigen. Das, was uns zur Feder greifen läßt, ist allein
der Wunsch, daß in Prozessen dieser Art die Gerichte stets eine ihrer völlig
würdige Haltung einnehmen und nicht — wenn auch nur unbewußt — sich zu
Werkzeugen politischer Agitation hergeben möchten.

Seitdem die Redekunst in den Parlamenten zu großer Bedeutung gelangt
ist, ist sie natürlich bemüht gewesen, sich aller derjenigen oratorischen Mittel zu


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[0015] Das richterliche Urteil und die Phrase. und nicht wünscht, und was es zu bieten hat, wenn man ihm dabei, soweit man sich dadurch nicht selbst anderswo ins Licht tritt, Unterstützung zu gewähren bereit ist. Das richterliche Urteil und die Phrase. «laß zu dieser Besprechung giebt uns ein in jüngster Zeit ent- schiedner Strafprozeß, der Prozeß wider den Redakteur der in Berlin erscheinenden „Freien Zeitung" wegen Beleidigung des Hofpredigers Stöcker, ein Prozeß, der, nächst dem vor elf Jahren verhandelten Prozeß Arnim, wohl mehr als jeder andre die öffentliche Aufmerksamkeit in Deutschland auf sich gezogen hat. Die Tages¬ blätter haben ausführliche Mitteilungen über die Verhandlungen in diesem Pro¬ zesse gebracht, auch das von dem Vorsitzenden des Gerichts verkündete Urteil um¬ fassend wiedergegeben. Wenn auch nach § 267 der Strafprozeßordnung bei erfolgter Aussetzung der Entscheidung die Urteilsgrüude zur Zeit der Verkün¬ digung schon schriftlich festgestellt sein mußten, so scheint doch, wie man nach Inhalt der Verkündigung annehmen muß, der Vorsitzende von der Befugnis Gebrauch gemacht zu haben, die Urteilsgründe, statt sie aus der schriftlichen Aufzeichnung zu verlesen, „ihrem wesentlichen Inhalte nach" in freier mündlicher Rede mitzuteilen, und es wird daher die veröffentlichte Entscheidung auf einer stenographischen Aufzeichnung dieser mündlichen Rede beruhen. Da nun aber einmal das Urteil in dieser Form in die Öffentlichkeit gelangt ist, so werden wir diese Form einstweilen auch als die authentische betrachten und an sie unsre Bemerkungen knüpfen dürfen. Von vornherein wollen wir aussprechen, daß es uns hier nicht um eine Verteidigung des Hvfprcdigers Stöcker zu thun ist. Wir bekennen offen, daß wir keine Anhänger dieses Mannes sind. Wenn wir auch glauben, daß derselbe in voller Überzeuguugstrcue für Zwecke, die er für gut hält, in die Bewegung der Zeit eingetreten ist, so erachten wir doch die von ihm gewählten Mittel und Wege nicht für die richtigen. Das, was uns zur Feder greifen läßt, ist allein der Wunsch, daß in Prozessen dieser Art die Gerichte stets eine ihrer völlig würdige Haltung einnehmen und nicht — wenn auch nur unbewußt — sich zu Werkzeugen politischer Agitation hergeben möchten. Seitdem die Redekunst in den Parlamenten zu großer Bedeutung gelangt ist, ist sie natürlich bemüht gewesen, sich aller derjenigen oratorischen Mittel zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/15>, abgerufen am 30.04.2024.