Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Liberalisinus und der prinzipielle Konservatismus.

Der Deutsche wehrt sich endlich seiner Haut gegen alle seine Bedränger, ob sie
nun Slawen oder Juden heißen, und wird sich weder durch tschechische uoch
durch jüdische Redensarten begütigen lassen.

Zur Signatur der Zeit gehört "och, daß die Liberalen nach deutschem
Vorbilde anfangen, mit Ostentation den Kronprinzen wegen seines Liberalismus
zu feiern. Wer nun noch nicht Respekt vor ihrer politischen Klugheit bekommt,
der ist unverbesserlich.




Der Liberalismus und der prinzipielle Konservatismus.

s ist uns einmal begegnet, daß entschieden konservative, in ihrer
Gegend an der Spitze der konservativen Bewegung stehende
Männer sich gleichwohl mit einer gewissen Leidenschaftlichkeit
dahin aussprachen, ein "ideales Prinzip" dürfe man im Konser¬
vatismus nicht suchen. Ein solches biete vielleicht der Liberalis¬
mus, vielleicht auch die Sozialdemokratin aber der Konservatismus, der
sei nur "praktisch" und befriedige nur gewisse, nicht abzuweisende Bedürf¬
nisse des Tages. Nun, da dachte doch selbst Macaulay, der im Konservatismus
den unerläßlichen Ballast eines der liberalen Segelkraft sonst gar zu sehr
preisgegebenen Schiffes erblickte, noch höher vom Konservatismus, als diese an¬
geblich konservativen Herren. Wer aber wird sich darüber wundern, daß der
Liberalismus einen so merkwürdigen moralischen Vorsprung hat und seine An¬
hänger mit einem so ganz andern Maße von Selbstbewußtsein und politischer
Energie auszurüsten vermag, als eine Partei, der von vielen ihrer eignen An¬
hänger die innere Berechtigung, die Idealität ihres Wesens abgesprochen wird?

Von welcher Bedeutung gerade dieser Punkt für die Stellung des Libe¬
ralismus zu der konservativen Partei und allen konservativen Neformbestrebunge"
ist, das war der Verfasser dieses Aussatzes oft in der Lage wahrzunehmen. In
der Polemik mit liberalen Blättern, in öffentlichen Diskussionen, im Privat¬
gespräche mit politischen Gegnern trat es ihm stets deutlich vor Augen, daß die
Leute gegen eine gewisse Art des Konservatismus ganz duldsam und konziliant
zu sein entschlossen waren, nämlich gegen ein resignirtcs Lobpreisen der guten
alten Zeit, gegen ein hoffnungsloses Kopfschütteln gegenüber zahlreichen uns
umgebenden Erscheinungen, gegen ein müdes, verdrießliches, verständnisloses
Sich-Abwenden von den modernen Grundsätzen, gleich als ob einer sagte:


Der Liberalisinus und der prinzipielle Konservatismus.

Der Deutsche wehrt sich endlich seiner Haut gegen alle seine Bedränger, ob sie
nun Slawen oder Juden heißen, und wird sich weder durch tschechische uoch
durch jüdische Redensarten begütigen lassen.

Zur Signatur der Zeit gehört »och, daß die Liberalen nach deutschem
Vorbilde anfangen, mit Ostentation den Kronprinzen wegen seines Liberalismus
zu feiern. Wer nun noch nicht Respekt vor ihrer politischen Klugheit bekommt,
der ist unverbesserlich.




Der Liberalismus und der prinzipielle Konservatismus.

s ist uns einmal begegnet, daß entschieden konservative, in ihrer
Gegend an der Spitze der konservativen Bewegung stehende
Männer sich gleichwohl mit einer gewissen Leidenschaftlichkeit
dahin aussprachen, ein „ideales Prinzip" dürfe man im Konser¬
vatismus nicht suchen. Ein solches biete vielleicht der Liberalis¬
mus, vielleicht auch die Sozialdemokratin aber der Konservatismus, der
sei nur „praktisch" und befriedige nur gewisse, nicht abzuweisende Bedürf¬
nisse des Tages. Nun, da dachte doch selbst Macaulay, der im Konservatismus
den unerläßlichen Ballast eines der liberalen Segelkraft sonst gar zu sehr
preisgegebenen Schiffes erblickte, noch höher vom Konservatismus, als diese an¬
geblich konservativen Herren. Wer aber wird sich darüber wundern, daß der
Liberalismus einen so merkwürdigen moralischen Vorsprung hat und seine An¬
hänger mit einem so ganz andern Maße von Selbstbewußtsein und politischer
Energie auszurüsten vermag, als eine Partei, der von vielen ihrer eignen An¬
hänger die innere Berechtigung, die Idealität ihres Wesens abgesprochen wird?

Von welcher Bedeutung gerade dieser Punkt für die Stellung des Libe¬
ralismus zu der konservativen Partei und allen konservativen Neformbestrebunge»
ist, das war der Verfasser dieses Aussatzes oft in der Lage wahrzunehmen. In
der Polemik mit liberalen Blättern, in öffentlichen Diskussionen, im Privat¬
gespräche mit politischen Gegnern trat es ihm stets deutlich vor Augen, daß die
Leute gegen eine gewisse Art des Konservatismus ganz duldsam und konziliant
zu sein entschlossen waren, nämlich gegen ein resignirtcs Lobpreisen der guten
alten Zeit, gegen ein hoffnungsloses Kopfschütteln gegenüber zahlreichen uns
umgebenden Erscheinungen, gegen ein müdes, verdrießliches, verständnisloses
Sich-Abwenden von den modernen Grundsätzen, gleich als ob einer sagte:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0158" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196258"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Liberalisinus und der prinzipielle Konservatismus.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_610" prev="#ID_609"> Der Deutsche wehrt sich endlich seiner Haut gegen alle seine Bedränger, ob sie<lb/>
nun Slawen oder Juden heißen, und wird sich weder durch tschechische uoch<lb/>
durch jüdische Redensarten begütigen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_611"> Zur Signatur der Zeit gehört »och, daß die Liberalen nach deutschem<lb/>
Vorbilde anfangen, mit Ostentation den Kronprinzen wegen seines Liberalismus<lb/>
zu feiern. Wer nun noch nicht Respekt vor ihrer politischen Klugheit bekommt,<lb/>
der ist unverbesserlich.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Liberalismus und der prinzipielle Konservatismus.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_612"> s ist uns einmal begegnet, daß entschieden konservative, in ihrer<lb/>
Gegend an der Spitze der konservativen Bewegung stehende<lb/>
Männer sich gleichwohl mit einer gewissen Leidenschaftlichkeit<lb/>
dahin aussprachen, ein &#x201E;ideales Prinzip" dürfe man im Konser¬<lb/>
vatismus nicht suchen. Ein solches biete vielleicht der Liberalis¬<lb/>
mus, vielleicht auch die Sozialdemokratin aber der Konservatismus, der<lb/>
sei nur &#x201E;praktisch" und befriedige nur gewisse, nicht abzuweisende Bedürf¬<lb/>
nisse des Tages. Nun, da dachte doch selbst Macaulay, der im Konservatismus<lb/>
den unerläßlichen Ballast eines der liberalen Segelkraft sonst gar zu sehr<lb/>
preisgegebenen Schiffes erblickte, noch höher vom Konservatismus, als diese an¬<lb/>
geblich konservativen Herren. Wer aber wird sich darüber wundern, daß der<lb/>
Liberalismus einen so merkwürdigen moralischen Vorsprung hat und seine An¬<lb/>
hänger mit einem so ganz andern Maße von Selbstbewußtsein und politischer<lb/>
Energie auszurüsten vermag, als eine Partei, der von vielen ihrer eignen An¬<lb/>
hänger die innere Berechtigung, die Idealität ihres Wesens abgesprochen wird?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_613" next="#ID_614"> Von welcher Bedeutung gerade dieser Punkt für die Stellung des Libe¬<lb/>
ralismus zu der konservativen Partei und allen konservativen Neformbestrebunge»<lb/>
ist, das war der Verfasser dieses Aussatzes oft in der Lage wahrzunehmen. In<lb/>
der Polemik mit liberalen Blättern, in öffentlichen Diskussionen, im Privat¬<lb/>
gespräche mit politischen Gegnern trat es ihm stets deutlich vor Augen, daß die<lb/>
Leute gegen eine gewisse Art des Konservatismus ganz duldsam und konziliant<lb/>
zu sein entschlossen waren, nämlich gegen ein resignirtcs Lobpreisen der guten<lb/>
alten Zeit, gegen ein hoffnungsloses Kopfschütteln gegenüber zahlreichen uns<lb/>
umgebenden Erscheinungen, gegen ein müdes, verdrießliches, verständnisloses<lb/>
Sich-Abwenden von den modernen Grundsätzen, gleich als ob einer sagte:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0158] Der Liberalisinus und der prinzipielle Konservatismus. Der Deutsche wehrt sich endlich seiner Haut gegen alle seine Bedränger, ob sie nun Slawen oder Juden heißen, und wird sich weder durch tschechische uoch durch jüdische Redensarten begütigen lassen. Zur Signatur der Zeit gehört »och, daß die Liberalen nach deutschem Vorbilde anfangen, mit Ostentation den Kronprinzen wegen seines Liberalismus zu feiern. Wer nun noch nicht Respekt vor ihrer politischen Klugheit bekommt, der ist unverbesserlich. Der Liberalismus und der prinzipielle Konservatismus. s ist uns einmal begegnet, daß entschieden konservative, in ihrer Gegend an der Spitze der konservativen Bewegung stehende Männer sich gleichwohl mit einer gewissen Leidenschaftlichkeit dahin aussprachen, ein „ideales Prinzip" dürfe man im Konser¬ vatismus nicht suchen. Ein solches biete vielleicht der Liberalis¬ mus, vielleicht auch die Sozialdemokratin aber der Konservatismus, der sei nur „praktisch" und befriedige nur gewisse, nicht abzuweisende Bedürf¬ nisse des Tages. Nun, da dachte doch selbst Macaulay, der im Konservatismus den unerläßlichen Ballast eines der liberalen Segelkraft sonst gar zu sehr preisgegebenen Schiffes erblickte, noch höher vom Konservatismus, als diese an¬ geblich konservativen Herren. Wer aber wird sich darüber wundern, daß der Liberalismus einen so merkwürdigen moralischen Vorsprung hat und seine An¬ hänger mit einem so ganz andern Maße von Selbstbewußtsein und politischer Energie auszurüsten vermag, als eine Partei, der von vielen ihrer eignen An¬ hänger die innere Berechtigung, die Idealität ihres Wesens abgesprochen wird? Von welcher Bedeutung gerade dieser Punkt für die Stellung des Libe¬ ralismus zu der konservativen Partei und allen konservativen Neformbestrebunge» ist, das war der Verfasser dieses Aussatzes oft in der Lage wahrzunehmen. In der Polemik mit liberalen Blättern, in öffentlichen Diskussionen, im Privat¬ gespräche mit politischen Gegnern trat es ihm stets deutlich vor Augen, daß die Leute gegen eine gewisse Art des Konservatismus ganz duldsam und konziliant zu sein entschlossen waren, nämlich gegen ein resignirtcs Lobpreisen der guten alten Zeit, gegen ein hoffnungsloses Kopfschütteln gegenüber zahlreichen uns umgebenden Erscheinungen, gegen ein müdes, verdrießliches, verständnisloses Sich-Abwenden von den modernen Grundsätzen, gleich als ob einer sagte:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/158
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/158>, abgerufen am 30.04.2024.