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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Gustav Ncichtigal in Tunis.

umgedreht und an die französische Revolution, an das Jahr 1848 u, s. w. als
an frühere liberale Leistungen erinnert wird, dann schreien die liberalen Herren
naturlich über Verleumdung und verlangen, nur nach ihren Programmen be¬
urteilt zu werden. Ihnen soll man also alles glauben, was sie sagen und
versprechen, den Konservativen aber darf man nichts glauben, sondern muß bei
jeder passenden und unpassenden Gelegenheit alte konservative Sünden (oder
was in recht oberflächlicher oder böswilliger Betrachtung für solche ausgegeben
wird) zur Beurteilung mit heranziehen. Das nennt mau dann Kampf der
Ideen und Fortschritt von Licht, Wahrheit und Freiheit.

Seine Unfähigkeit, gewissen Zeitfordernngen zu entsprechen, welche im
Bewußtsein des lebenden Geschlechtes zu durchaus wesentlichen geworden waren,
hat den Liberalismus, so hart dies auch bei der Länge der vorangegangenen
liberalen Herrschaft und bei den vielerlei günstigen Umständen, die derselben zu¬
gute kamen, hielt, einstweilen ans der Herrschaft verdrängt. Es mag sein, daß wieder
eine Periode kommen wird, die den Liberalismus in die nämliche günstige Lage
bringt, in der sich gegenwärtig der Konservatismus befindet: fast alle tüchtigen,
strebenden, einer Neugestaltung mutig entgegensehenden Elemente unsers Volks¬
lebens auf seiner Seite zu haben, und überzeugt sein zu dürfen, daß selbst die
achtungswerteren Gegner sich im Herzen ihm in vielen Punkten zuneigen. Aber
wenn dies eintreffen soll, so muß bis dahin der Liberalismus wesentliche Elemente,
die heute für konservativ gelten, in sich aufgenommen haben. Möchte er doch
bis dahin auch gelernt haben, daß nicht mir einzelne konservative Gesichtspunkte
berechtigt sind, sondern das daß Prinzip des Konservatismus dem seinigen völlig
gleichberechtigt ist! Dann wird die vielbeklagte Bitterkeit und Gehässigkeit
unsrer politischen Kämpfe von selbst aufhören.




Gustav Nachtigal in Tunis.
(Schluß.)

irklich gelang es der gegnerischen Clique, welche die Einmischung
eines so ehrlichen Menschen, als welchen das Renommee ihn be¬
zeichnete, in die ärztliche Beamtenzahl inkonvenabel fand, seine
Stellung beim Minister einstweilen zu hintertreiben. Schon die
Anstellung als Flottenarzt hatte solcher Eventualität vorbeugen
sollen. Er schreibt darüber:


Gustav Ncichtigal in Tunis.

umgedreht und an die französische Revolution, an das Jahr 1848 u, s. w. als
an frühere liberale Leistungen erinnert wird, dann schreien die liberalen Herren
naturlich über Verleumdung und verlangen, nur nach ihren Programmen be¬
urteilt zu werden. Ihnen soll man also alles glauben, was sie sagen und
versprechen, den Konservativen aber darf man nichts glauben, sondern muß bei
jeder passenden und unpassenden Gelegenheit alte konservative Sünden (oder
was in recht oberflächlicher oder böswilliger Betrachtung für solche ausgegeben
wird) zur Beurteilung mit heranziehen. Das nennt mau dann Kampf der
Ideen und Fortschritt von Licht, Wahrheit und Freiheit.

Seine Unfähigkeit, gewissen Zeitfordernngen zu entsprechen, welche im
Bewußtsein des lebenden Geschlechtes zu durchaus wesentlichen geworden waren,
hat den Liberalismus, so hart dies auch bei der Länge der vorangegangenen
liberalen Herrschaft und bei den vielerlei günstigen Umständen, die derselben zu¬
gute kamen, hielt, einstweilen ans der Herrschaft verdrängt. Es mag sein, daß wieder
eine Periode kommen wird, die den Liberalismus in die nämliche günstige Lage
bringt, in der sich gegenwärtig der Konservatismus befindet: fast alle tüchtigen,
strebenden, einer Neugestaltung mutig entgegensehenden Elemente unsers Volks¬
lebens auf seiner Seite zu haben, und überzeugt sein zu dürfen, daß selbst die
achtungswerteren Gegner sich im Herzen ihm in vielen Punkten zuneigen. Aber
wenn dies eintreffen soll, so muß bis dahin der Liberalismus wesentliche Elemente,
die heute für konservativ gelten, in sich aufgenommen haben. Möchte er doch
bis dahin auch gelernt haben, daß nicht mir einzelne konservative Gesichtspunkte
berechtigt sind, sondern das daß Prinzip des Konservatismus dem seinigen völlig
gleichberechtigt ist! Dann wird die vielbeklagte Bitterkeit und Gehässigkeit
unsrer politischen Kämpfe von selbst aufhören.




Gustav Nachtigal in Tunis.
(Schluß.)

irklich gelang es der gegnerischen Clique, welche die Einmischung
eines so ehrlichen Menschen, als welchen das Renommee ihn be¬
zeichnete, in die ärztliche Beamtenzahl inkonvenabel fand, seine
Stellung beim Minister einstweilen zu hintertreiben. Schon die
Anstellung als Flottenarzt hatte solcher Eventualität vorbeugen
sollen. Er schreibt darüber:


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[0167] Gustav Ncichtigal in Tunis. umgedreht und an die französische Revolution, an das Jahr 1848 u, s. w. als an frühere liberale Leistungen erinnert wird, dann schreien die liberalen Herren naturlich über Verleumdung und verlangen, nur nach ihren Programmen be¬ urteilt zu werden. Ihnen soll man also alles glauben, was sie sagen und versprechen, den Konservativen aber darf man nichts glauben, sondern muß bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit alte konservative Sünden (oder was in recht oberflächlicher oder böswilliger Betrachtung für solche ausgegeben wird) zur Beurteilung mit heranziehen. Das nennt mau dann Kampf der Ideen und Fortschritt von Licht, Wahrheit und Freiheit. Seine Unfähigkeit, gewissen Zeitfordernngen zu entsprechen, welche im Bewußtsein des lebenden Geschlechtes zu durchaus wesentlichen geworden waren, hat den Liberalismus, so hart dies auch bei der Länge der vorangegangenen liberalen Herrschaft und bei den vielerlei günstigen Umständen, die derselben zu¬ gute kamen, hielt, einstweilen ans der Herrschaft verdrängt. Es mag sein, daß wieder eine Periode kommen wird, die den Liberalismus in die nämliche günstige Lage bringt, in der sich gegenwärtig der Konservatismus befindet: fast alle tüchtigen, strebenden, einer Neugestaltung mutig entgegensehenden Elemente unsers Volks¬ lebens auf seiner Seite zu haben, und überzeugt sein zu dürfen, daß selbst die achtungswerteren Gegner sich im Herzen ihm in vielen Punkten zuneigen. Aber wenn dies eintreffen soll, so muß bis dahin der Liberalismus wesentliche Elemente, die heute für konservativ gelten, in sich aufgenommen haben. Möchte er doch bis dahin auch gelernt haben, daß nicht mir einzelne konservative Gesichtspunkte berechtigt sind, sondern das daß Prinzip des Konservatismus dem seinigen völlig gleichberechtigt ist! Dann wird die vielbeklagte Bitterkeit und Gehässigkeit unsrer politischen Kämpfe von selbst aufhören. Gustav Nachtigal in Tunis. (Schluß.) irklich gelang es der gegnerischen Clique, welche die Einmischung eines so ehrlichen Menschen, als welchen das Renommee ihn be¬ zeichnete, in die ärztliche Beamtenzahl inkonvenabel fand, seine Stellung beim Minister einstweilen zu hintertreiben. Schon die Anstellung als Flottenarzt hatte solcher Eventualität vorbeugen sollen. Er schreibt darüber:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/167>, abgerufen am 30.04.2024.