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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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war untergeordneter Schätzung; einige dort aufgereihte Dutzend Büchsen und
Flaschen wurden durch ihre Vignetten zwar als zu der Familie des kleinen
Magisteriniiis gehörige Weiße Tinkturen bezeichnet, aber statt Gold verhießen
sie nur Silber herstellen zu helfen, und gleich den übrigen Alchemisten beschäftigte
sich auch Francesco lieber mit der vornehmeren Gattung, welche den Mund
etwas voller nahm und neben unermeßlichen Schätzen Goldes auch noch zu
bequemem Genusse derselben Gesundheit und beliebiges Wiederanfziehen der ab¬
gelaufenen Lebensuhr versprach.




Achtunddreißigstes Kapitel.

Der Herzog war mit der Musterung noch nicht fertig, da glaubte er etwas
wie Glockentöne ungewohnter Art zu vernehmen. Aber in Mantua wie in den
meisten großem Städten auch schon des damaligen Italiens wurde zu oft und
in zu vielen Tonweisen nud bei zu unzähligen Veranlassungen geläutet, als daß
Fraucescos in andrer Richtung beschäftigter Geist sofort den Klang der Pestglocke
aus jenen ungewohnter,! Tönen herausgehört hätte.

Von neuem rief er nach dem Pagen, und da auch jetzt keine Nutwort als
das Echo aus der Camera degli Spvsi erfolgte, warf er mit einem Fluche den
Schrank zu.

, Seine Geduld war zu Ende, er stülpte sein Sammetbarett auf das dünne
Haupthaar und verließ eiligen Schrittes das Zimmer. Nie hatte er sich eine
ähnliche Dienstvernachlässigung bieten lassen müssen. Ich werde den Schollen
jungen Herrn unter die Hakenschützen stecken, grollte Francesco in sich hinein.

Beim Durchschreiten der Camera degli Sposi glaubte er Schritte zu hören
und stand still.

Bist du's endlich, Battista? rief er.

Sta! antwortete eine helle Stimme von der gewölbten Decke herab; verweile!

Das war das Echo gewesen, wie auch eben vorher, als es ihn mit seinen
eignen Schritten äffte.

Francesco zweifelte nicht, daß nur das Echo ihm Halt geboten hatte; aber
erfüllt von bösen Ahnungen, wie sein krankes Gemüt seit langem war, vor allem
seit der Geburt seines schwächlichen Sorgenkindes Lodovico, vermochte er nicht
weiter zu gehen: Sta! hörte er im Geiste von der Decke herab den Ruf wieder
und wieder erklingen, und Sta! sagte er zu sich selbst: Verweile und komme zur
Besinnung, vielleicht zieht ein schweres Verhängnis herauf!

Er blickte mit gefurchter Stirn empor. Es zitterten doch wunderliche Töne
in der Luft, und ihm war es, als blickten aus den acht Deckenmcdaillons die
acht dort vou Andrea Matcgnas Meisterhand vor anderthalb Jahrhunderten
verewigten römischen Kaiser mit unheimlich wissenden Ausdruck auf ihn herab;
aber auch die Götter und Halbgötter, die ihnen Gesellschaft leisteten, Herkules,


war untergeordneter Schätzung; einige dort aufgereihte Dutzend Büchsen und
Flaschen wurden durch ihre Vignetten zwar als zu der Familie des kleinen
Magisteriniiis gehörige Weiße Tinkturen bezeichnet, aber statt Gold verhießen
sie nur Silber herstellen zu helfen, und gleich den übrigen Alchemisten beschäftigte
sich auch Francesco lieber mit der vornehmeren Gattung, welche den Mund
etwas voller nahm und neben unermeßlichen Schätzen Goldes auch noch zu
bequemem Genusse derselben Gesundheit und beliebiges Wiederanfziehen der ab¬
gelaufenen Lebensuhr versprach.




Achtunddreißigstes Kapitel.

Der Herzog war mit der Musterung noch nicht fertig, da glaubte er etwas
wie Glockentöne ungewohnter Art zu vernehmen. Aber in Mantua wie in den
meisten großem Städten auch schon des damaligen Italiens wurde zu oft und
in zu vielen Tonweisen nud bei zu unzähligen Veranlassungen geläutet, als daß
Fraucescos in andrer Richtung beschäftigter Geist sofort den Klang der Pestglocke
aus jenen ungewohnter,! Tönen herausgehört hätte.

Von neuem rief er nach dem Pagen, und da auch jetzt keine Nutwort als
das Echo aus der Camera degli Spvsi erfolgte, warf er mit einem Fluche den
Schrank zu.

, Seine Geduld war zu Ende, er stülpte sein Sammetbarett auf das dünne
Haupthaar und verließ eiligen Schrittes das Zimmer. Nie hatte er sich eine
ähnliche Dienstvernachlässigung bieten lassen müssen. Ich werde den Schollen
jungen Herrn unter die Hakenschützen stecken, grollte Francesco in sich hinein.

Beim Durchschreiten der Camera degli Sposi glaubte er Schritte zu hören
und stand still.

Bist du's endlich, Battista? rief er.

Sta! antwortete eine helle Stimme von der gewölbten Decke herab; verweile!

Das war das Echo gewesen, wie auch eben vorher, als es ihn mit seinen
eignen Schritten äffte.

Francesco zweifelte nicht, daß nur das Echo ihm Halt geboten hatte; aber
erfüllt von bösen Ahnungen, wie sein krankes Gemüt seit langem war, vor allem
seit der Geburt seines schwächlichen Sorgenkindes Lodovico, vermochte er nicht
weiter zu gehen: Sta! hörte er im Geiste von der Decke herab den Ruf wieder
und wieder erklingen, und Sta! sagte er zu sich selbst: Verweile und komme zur
Besinnung, vielleicht zieht ein schweres Verhängnis herauf!

Er blickte mit gefurchter Stirn empor. Es zitterten doch wunderliche Töne
in der Luft, und ihm war es, als blickten aus den acht Deckenmcdaillons die
acht dort vou Andrea Matcgnas Meisterhand vor anderthalb Jahrhunderten
verewigten römischen Kaiser mit unheimlich wissenden Ausdruck auf ihn herab;
aber auch die Götter und Halbgötter, die ihnen Gesellschaft leisteten, Herkules,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/197>, abgerufen am 30.04.2024.